Wenn wir den Stellenwert des Frauenhockeys in der Schweiz erklären wollen, können wir das mit einer Personal-Posse beim Verband tun.
Daniela Diaz (39) ist die Schwester von Nationalmannschafts-Captain Raphael Diaz. Ihre Stelle als Sportmanagerin Frauenhockey ist im Frühjahr 2019 vom damaligen Verbands-Sportdirektor Reto Raffainer geschaffen worden.
Nun hat sie gekündigt. Offenbar aus Frustration. Der heutige Sportdirektor Lars Weibel lässt jedenfalls ausrichten, der Grund für die Trennung seien unterschiedliche Vorstellungen rund um ihren Job. Ob die Stelle wieder besetzt werde, sei offen. «Wir evaluieren.»
Wir können es poetisch auch so sagen: Durch den Abgang von Daniela Diaz werden die Frauen zu den Waisenkindern unseres Eishockeys. Sie haben ihre Mutter verloren. Einen Vater haben sie in den Verbandsbüros sowieso nicht.
Daniela Diaz ist die Architektin des Schweizer Frauen-Hockeywunders. Die ehemalige Nationalspielerin hat sich auf allen Ebenen engagiert, zeitweise auch als Nationaltrainerin und zuletzt als Verband-Sportdirektorin.
Mit Gleichberechtigung und Frauenförderung kann ein Sportverband heute auf allen Ebenen punkten. Auch beim Sponsoring. Jeder Franken, der in Frauenförderung investiert wird, rechnet sich mehrfach. Erst recht dann, wenn die Investitionen durch sportlichen Erfolg verzinst werden. So wie im Eishockey.
Die grösste, die beste Bühne für Randsportarten wie Frauen-Eishockey sind die Olympischen Spiele. Nun zeichnet sich in Peking ab, dass die Frauen zum dritten Mal nach Sotschi (2014) und Südkorea (2018) bei den Olympischen Spielen in jeder Beziehung besser sind als die Männer. In Sotschi holten sie Bronze (die erste Olympische Hockeymedaille seit 1948), in Südkorea erreichten sie den Viertelfinal und in Peking spielen sie am Mittwoch zur besten TV-Sendezeit (12.30 Uhr) um Bronze. Die Männer scheiterten 2014 und 2018 schon im Achtelfinal kläglich.
In keiner anderen Sportart wird aus so wenig so viel herausgeholt wie im Frauen-Eishockey. Kanada hat 101'879 lizenzierte Spielerinnen. Die Schweiz 2011. Kanada hat in der ganzen Geschichte des Olympischen Frauenhockeys (seit 1998) nur dreimal gegen europäische Teams drei Tore kassiert: 1998 gegen Schweden, 2002 gegen Finnland und nun im Halbfinal gegen die Schweiz.
Die Schweizerinnen sind gegen die Kanadierinnen – die bei Olympischen Spielen noch nie gegen ein europäisches Team verloren haben – im Halbfinal mit fliegenden Fahnen untergegangen (3:10).
Mit dem jüngsten Team des Turniers ist Nationaltrainer Colin Muller drauf und dran, wieder eine Medaille zu holen. Wenn es ein Team des Jahres gibt, dann sind es die Eishockey-Frauen. Wie sie sich nach drei Niederlagen in den Gruppenspielen (1:12 Kanada, 2:5 Russland, 0:8 USA) gesteigert und im Viertelfinal Russland besiegt haben (3:2), wie sie im Halbfinal gegen Kanada nach fünf Treffern in drei Minuten und einem 0:5-Rückstand nicht aufgaben, sich neu organisierten und für die restlichen 48 Minuten den himmelhohen Favoriten trotzten: begeisternd.
Der Mut, die Leidenschaft und die taktische Lernfähigkeit der Spielerinnen: grandios. Und die Verteidigerin Lara Christen gehört zu den Besten des Turniers. Lara Stalder und Alina Müller bilden das vielleicht beste Offensiv-Duo der Welt: Sie erzielten gegen Kanada drei Tore.
Aber dieses Wunder steht mit nur etwas mehr als 2000 lizenzierten Spielerinnen auf dünnem Eis. Colin Muller sagt, er wisse nicht, wie es nach Peking weitergehe. Wenn zwei oder drei der erfahrenen Spielerinnen aufhören, beginne alles wieder von vorne. «Ich weiss nicht, ob ich dann weitermachen werde.»
Der Verband verschweigt schamhaft, wie wenig bei einem Jahresumsatz von 75 Millionen und einem Personalaufwand von 12 Millionen ins Frauenhockey investiert wird. Es ist weniger als eine Million. Doch noch viel schwerer wiegt der fehlende hockeypolitische Support.
Colin Muller sagt: «Es wäre ein riesiger Fortschritt, wenn jeder NL-Klub dazu verpflichtet wäre, eine Frauenabteilung zu führen.» Eine entsprechende Regelung wäre problemlos machbar. Die NL-Klubs müssen ja auch zwingend eine Nachwuchsabteilung haben. Doch nur die ZSC Lions und Lugano investieren seit Jahren gezielt ins Frauenhockey.
Unser Hockey vergibt eine riesige Chance. Dank kurzer Distanzen, einer hohen Lebensqualität, exzellenten sportlichen Infrastrukturen und Bildungsmöglichkeiten könnten wir innert kurzer Zeit die beste Frauenliga Europas aufbauen und gute ausländische Spielerinnen anlocken, die das sportliche Niveau dynamisieren würden. Unser Hockey könnte so eine «Medaillen-Schmiede» aufbauen: Die Schweizer Frauen wären bei allen Titelkämpfen das führende europäische Team. Eine Medaille wäre nicht mehr ein Wunder. Eine Medaille könnte erwartet werden.
Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Die höchste Frauenliga umfasst gerade mal sechs Teams. Colin Muller sagt: «Der Unterschied zwischen der Meisterschaft und dem internationalen Niveau ist einfach zu gross.»
Die Titanen ZSC Lions und Lugano dominieren die Hockey-Romantikerinnen aus Thun, Neuenburg, dem Thurgau und Reinach nach Belieben. Die Zürcherinnen haben 52 Punkte Vorsprung auf Schlusslicht Reinach. Und Verband-Sportdirektor Lars Weibel ist noch nicht einmal sicher, ob die Stelle von Daniela Diaz überhaupt noch besetzt wird.
Erstaunlich ist, dass die Werbepartner des Verbandes in Zeiten der Gleichberechtigung nicht verlangen, dass ein Teil ihres Geldes zweckgebunden ins Frauenhockey investiert wird.
Alles in allem haben wir es hier mit der grössten sportlichen, politischen und wirtschaftlichen Torheit in der Geschichte unseres Hockeys zu tun.