Mitte Februar schaffte der achtjährige Ashwath Kaushik aus Singapur Erstaunliches. Am Stadthaus Open in Burgdorf bezwang das Schachtalent den 37-jährigen Polen Jacek Stopa und wurde zum jüngsten Spieler, der jemals einen Grossmeister bezwingen konnte. Lange wird er diesen Titel womöglich nicht halten können – denn die «Wunderkinder» des Schachsports werden immer jünger.
Den letzten Rekord in dieser Sparte stellte vor erst zwei Monaten der Serbe Leonid Ivanovic auf. Mit acht Jahren und elf Monaten brach er den Rekord, der bis dahin zehn Jahre Bestand gehalten hatte. Nur etwas mehr als einen Monat später wurde er nun vom fünf Monate jüngeren Kaushik abgelöst.
8-year-old chess prodigy, Ashwath Kaushik breaks record after defeating 37-year-old grandmaster pic.twitter.com/xgAbkeglMn
— Pubity (@pubity) February 21, 2024
Vor drei Jahren wurde auch ein anderer Rekordhalter vom Thron gestossen. Der Russe Sergei Karjakins errang im Alter von zwölf Jahren und sieben Monaten den Titel des Grossmeisters und hielt 19 Jahre lang den Rekord als jüngster Schach-Grossmeister der Welt. 2021 wurde diese Marke vom zwei Monate jüngeren US-Amerikaner Abhimanyu Mishra unterboten.
Im Jahr 1950 war der jüngste Grossmeister noch 26 Jahre alt, über die Jahre hat sich diese Marke immer weiter nach unten verschoben. Auch der aktuell beste Schachspieler der Welt, Magnus Carlsen, war schon früh auf einem Topniveau. 2004 wurde der Norweger mit 13 Jahren, 4 Monaten und 27 Tagen zum Grossmeister, mit 22 kürte er sich zum jüngsten Schach-Weltmeister der Geschichte – ein Titel, den er zehn Jahre lang hielt.
Dass sich die Altersrekorde in den letzten Jahren immer wieder nach unten verschieben, liegt an verschiedenen Entwicklungen, die den Schachsport in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert haben.
Wie die Zahlen zu den jüngsten Grossmeistern zeigen, ist es tatsächlich so, dass Spieler tendenziell in jüngerem Alter ein Topniveau erreichen, als dies früher der Fall war. Dies hat auch damit zu tun, dass der Sport für mehr Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zugänglich geworden ist. War Schach lange Zeit ein Sport der Elite, da sich nur relativ wohlhabende Eltern die Kosten für die Förderung ihrer Kinder leisten konnte, ist diese heute einer breiteren Masse zugänglich.
Haben mehr Kinder Zugang zu diesem über tausend Jahre alten Spiel, ist die Chance natürlich auch höher, dass sich darunter das eine oder andere Supertalent befindet. Einen grossen Anteil an der «Demokratisierung» des Sports hat das Internet. Lehrmittel und Tipps sind online relativ einfach zu finden und oftmals gratis verfügbar. Auf Schachplattformen haben die Kinder zudem die Möglichkeit, gegen andere Spielerinnen und Spieler anzutreten und können so auch abseits der offiziellen Turniere Erfahrungen sammeln.
Doch für einen Erfolg, wie ihn Ashwath Kaushik in Burgdorf feiern konnte, braucht es vor allem eines: viel Übung. Der Junge aus Singapur soll pro Tag zwei Stunden trainieren, an Wochenenden sogar bis zu sieben Stunden täglich.
Schachsport wird generell populärer. Auch hier spielt das Internet eine Rolle. Brauchte man früher immer einen physisch verfügbaren Partner, kann man heute über Online-Plattformen mit wenig Aufwand gegen Spielerinnen und Spieler aus der ganzen Welt antreten. Durch die Netflix-Serie «Das Damengambit», die schon im ersten Monat der Veröffentlichung bereits 60 Millionen Mal gestreamt wurde, fand der Sport zudem Eingang in die Popkultur. Die stärkere Präsenz der Topspielerinnen und -Spieler auf Social Media kurbelt den Trend zusätzlich an – der langjährige Schach-Weltmeister Magnus Carlsen zählt auf Instagram 1,4 Millionen Follower.
Auch die Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass Schach in den Wohnzimmern dieser Welt präsenter wurde. Nicht nur Gaming-Plattformen, sondern auch Lernplattformen verzeichneten während der Lockdowns ein Wachstum. Die E-Learning-Plattform Chessable konnte ihre Userzahl von 2020 bis 2021 vervierfachen. Diese steigende Popularität dürfte auch dazu führen, dass sich immer mehr junge Menschen mit dem Sport auseinandersetzen.
Aktuell zählt der internationale Schachverband (FIDE) 1519 Grossmeister. Diese Liste schliesst auch Frauen mit ein, denn den Titel «Grossmeisterin» gibt es offiziell nicht. Die Anzahl an Personen, die sich mit diesem Titel schmücken dürfen, stieg in den letzten Jahren stetig an – 1978 gab es erst 88 Grossmeister. Der Titel ist also weniger exklusiv als noch vor einigen Jahrzehnten und die Hürde, um diesen zu erreichen, liegt tiefer.
Da der Titel auf Lebzeiten ausgesprochen wird, dürfen sich Schachspielerinnen und -Spieler auch dann noch Grossmeister nennen, wenn sie ihren Zenit bereits überschritten haben und eigentlich nicht mehr zur Weltspitze gehören. Bei der Beurteilung des tatsächlichen Leistungsniveaus einer Spielerin oder eines Spielers ist deshalb die sogenannte Elo-Zahl, welche die Ergebnisse der jeweiligen Person exakter abbildet, ausschlaggebender.
Diese beiden Faktoren – die grössere Anzahl an Grossmeistern und die Vergabe des Titels auf Lebzeiten – führen dazu, dass junge Spieler auch mal auf weniger starke Gegner treffen und die Wahrscheinlichkeit höher liegt, dass sie in diesen Partien einen Sieg einfahren können.
Obschon Kinder wie Ashwath Kaushik schon früh grosse Erfolge feiern können: Den Peak haben sie noch lange nicht erreicht. Am leistungsfähigsten sind Schachspielerinnen und -Spieler laut einer Studie aus dem Jahr 2020 nämlich zwischen 35 und 45 Jahren.
Ist aber schon krass, wenn man sich so überlegt, was man mit 8 so gemacht hat. Und dann gibt es solche Kids, die in dem Alter bereits auf höchstem Niveau Schach spielen.