271 Tage sind vergangen, seit Roger Federer den Rücktritt verkündet hat. Seither war er Gastgeber der Met-Gala, besuchte mit der ganzen Familie Lesotho, wo er mit seiner Stiftung Bildungsprojekte unterstützt. Er trat in der satirischen Nachrichtensendung «The Daily Show» seines Freundes Trevor Noah auf, war beim Fischen, sass beim Formel-1-GP in Miami in einem Mercedes und kündigte an, bald Sonnenbrillen zu verkaufen.
Aus der Öffentlichkeit verschwunden ist Roger Federer zwar nicht, doch Interviews hat er seit seinem Abschied im September 2022 nicht gegeben, schon gar nicht im Umfeld eines Tennisturniers. Bis zum heutigen Tag. Für die Rückkehr hat er sich Halle in Ostwestfalen ausgesucht, wo er mit zehn Titeln Rekordsieger ist – und wo er lebenslang unter Vertrag steht.
CH Media war als einziges Schweizer Medium beim ersten Interview von Roger Federer seit dem Rücktritt dabei. Protokoll einer Begegnung.
Roger Federer, was ist es für ein Gefühl, erstmals seit Ihrem Rücktritt wieder bei einem Tennisturnier zu sein?
Roger Federer: Es ist ein mulmiges Gefühl, es ist ja das erste Mal seit dem Laver Cup. Wenn du mal aufgehört hast, brauchst du einen Grund, hier zu sein. Hier habe ich diesen mit dem 30-jährigen Jubiläum und meinen zehn Siegen. Deshalb habe ich mir gedacht, es sei ein schöner, ein passender Moment, weil es immer auch speziell war, mit der ganzen Familie nach Halle zu kommen.
Sie wirken sehr ausgeglichen und entspannt. Ist die Karriere so zu Ende gegangen, wie Sie sich das immer vorgestellt hatten?
Es war meine grosse Angst, dass es irgendwie nicht so über die Bühne geht, wie ich mir das gewünscht hatte. Ich wollte nicht, dass es ein trauriger Abschied wird. Für mich ist ein riesiger Teil weggefallen, der mein Leben dominiert hat. Anderseits kann ich auch sagen: Ich habe es kommen sehen mit Corona, mit den Verletzungen. Am Ende war es eine Erlösung, nicht mehr trainieren, nicht mehr Matches spielen zu müssen, weil ich wusste, dass der Körper das nicht mehr mitmacht. Wie es beim Laver Cup geendet hat, war ein Traum, umgeben von Freunden, Familie, mit den Kindern und Legenden. Das war toll. Es war immer meine Horrorvorstellung, alleine auf dem Platz zu stehen.
Haben Sie immer noch die Absicht, dereinst Schaukämpfe zu spielen?
Ich würde das immer noch gerne machen. Nach dem Laver Cup habe ich mir gesagt: Ich muss und will mir Zeit geben und nehmen, bis sich alles etwas beruhigt hat. Ich werde weiter am Körper arbeiten, will in Form bleiben und bin vier, fünf Mal in der Woche im Fitness. Ich bin aber auch einmal glücklich, nicht auf dem Platz zu stehen.
Sie beendeten die Karriere wegen Knieproblemen, wie geht es Ihrem Körper rund acht Monate nach dem letzten Spiel?
Der Körper ist okay, ab und zu habe ich einen steifen Rücken. Das kann aber auch vom Golfen sein (lacht). Das Aufwachen am Morgen ist völlig okay. Wenn es für den Rest des Lebens so bleiben sollte, würde ich sofort unterschreiben. Was wegfällt, ist der grosse Stress, am Tag X bereit zu sein. Diesen Stress nun nicht mehr zu haben, war eine grosse Erlösung. Und das Ende hat sich ja länger abgezeichnet.
Wie hat sich Ihr Leben seit dem Rücktritt verändert, haben Sie wirklich mehr Zeit für die Familie, wie Sie sich das gewünscht hatten?
Ich bin einen Tick entspannter, weil ich weiss, dass ich mehr Zeit habe. Logistisch war es immer eine grosse Aufgabe, andererseits waren die letzten Jahre auch schon sehr ruhig. Insofern ist es nicht so, dass ab September ein total neues Leben begonnen hat. Es war sehr fliessend. Ich hatte auch schon davor vieles geplant. Die Zeit mit den Kindern ist anders geworden. Die Mädchen sind gewachsen, haben noch mehr Schulstoff, die Buben sind aus dem Babyalter draussen. Unser Leben hat sich eher dadurch verändert als durch den Rücktritt.
Und was hat sich für Sie persönlich verändert?
Für mich ist der Alltagsstress weggefallen. Ich kann mehr planen und habe gemerkt, dass ich das auch muss. Sonst lebe ich nach dem, was gerade auf mich zukommt, statt mich zu fragen, was wir machen wollen und was unsere Bedürfnisse sind. Ich hatte tolle Reisen mit meinen Eltern und den Kindern. Meinen Eltern habe ich zum Beispiel eine Fahrt mit dem Orient Express geschenkt. Und mit den Kindern waren wir in Lesotho, wo auch meine Mutter und Mirka dabei waren. Das hat grossen Spass gemacht. Es war eine fantastische Erfahrung.
Was geben Sie bei der Einreise für einen Beruf an?
Gute Frage! (Lacht und überlegt.) Manchmal Tourist oder Tennisprofi.
Unternehmer?
Es ist ein bisschen von allem. Unternehmer, die Stiftung, ich habe jetzt auch mehr Zeit, Dinge für meine Sponsoren zu machen. Jetzt kann ich an Anlässen öfter vor Ort sein und das ist eine schöne Sache, weil sich die Menschen sehr darüber freuen. Dann hatte ich Zeit für andere Projekte. Und ich habe noch andere Sachen im Köcher. Es ist kein Tag gleich wie der andere. Das sagen zu können, ist ziemlich cool.
Wie viele Anfragen müssen Sie eigentlich ablehnen?
Die allermeisten, was ich nur ungern mache. Ich probiere immer mein Bestes, aber für die Stiftung sind zum Beispiel in einem halben Jahr 1200 Anfragen reingekommen. Das ist schon sehr viel. Das ist sicher auch mein Fehler: Ich habe immer allen gesagt, sie sollen sich bei mir melden, wenn ich einmal aufgehört habe. Und jetzt bricht natürlich die ganze Welle über mich herein (lacht). Das alles abzuarbeiten, braucht Zeit. Und ich brauche auch Zeit für mich, um zu entscheiden, wo meine Reise hingehen soll. Ich wollte mir dafür immer ein Jahr Zeit nehmen. Die Devise ist: Lieber weniger als mehr machen.
Haben Sie sich seit dem Rücktritt einen Wunsch erfüllt?
Skifahren war ein grosses Thema. Ich stand 2008 letztmals auf den Ski, dann hatte ich die Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber, d. Red.). Da sagte ich mir: kein Risiko mehr. Und im Jahr darauf kamen die Mädchen zur Welt. Bis vor ein paar Monaten haben Sie mich noch nie Ski fahren sehen. Deshalb war es ein Traum, mit ihnen den Winter zu verbringen und auf die Piste zu gehen. Sie fahren alle gut Ski.
Und Tennis haben Sie seither auch gespielt?
Mit den Kindern spiele ich viel und gerne, ja. Aber bisher habe ich noch nie einen Platz gemietet, um mit Freunden spielen zu gehen.
Haben die Kinder ähnlich viel Talent wie Sie?
Nein (lacht). Vielleicht. Ich weiss auch nicht, wie gut ich mit 9 oder 14 war. Aber sie haben natürlich bei weitem nicht so viel Tennis gespielt wie ich in ihrem Alter damals, auch wegen der vielen Reisen.
Gibt es etwas, das Sie vom Leben als Tennisprofi vermissen?
Ganz ehrlich? Nicht viel. Ich war gerne auf dem Platz. Natürlich würde ich diese Emotionen manchmal wieder gerne erleben, klar. Aber solange ich weiss, dass der Körper auf diesem Level nicht mitspielt, habe ich nicht das Bedürfnis, wieder auf dem Platz zu stehen. Wenn der Körper zu hundert Prozent bereit wäre, wäre es anders. Dann würde ich auch ein paar Exhibitions spielen, aber das ist nicht der Fall. Dass mir der Körper dieses Gefühl nicht gibt, ist hilfreich. Ich habe deshalb nicht das Gefühl, ich könnte doch eigentlich noch auf dem Platz stehen. Und ich habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen.
Wie sehr verfolgen Sie das Tennis noch?
Ich bin überrascht, wie sehr mich die Resultate interessieren, wie sehr sie mir etwas bedeuten. Ich schaue keine ganzen Matches am Stück, aber die Highlights schon. Ich hätte nie gedacht, dass mich das einmal so interessieren würde (lacht). Tennis bedeutet mir immer noch viel.
Dann sind Sie bestens vorbereitet auf einen Job als TV-Experte. Wie konkret sind diese Überlegungen inzwischen?
Ich habe ein paar Gespräche geführt, um herauszufinden, wie das aussehen könnte. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass ich einen Entscheid fällen will, das lieber nicht zu machen. Damit ist eine Last von meinen Schultern gefallen. Es wäre zwar irgendwie cool, Spiele von Kontrahenten aus meiner Generation zu kommentieren, gegen die ich selber noch gespielt habe. Andererseits hatte ich einfach das Gefühl, dass es im Jahr nach dem Rücktritt nicht der richtige Schritt wäre. Es fühlte sich nicht richtig an. Das kann alles noch warten. Ich weiss jetzt auch nicht, ob ich das jemals machen werde.
Standen Sie einmal mit dem Schweizer Fernsehen in Kontakt?
Nein, mit den Schweizern habe ich gar nie geredet.
Wie auch immer, schön dass es ihnen allen auch „nachher“ noch gut geht.