Sechs Medaillen hat der Schweizerische Leichtathletik-Verband Swiss Athletics für die EM in Rom als Ziel ausgegeben. Geworden sind es gleich deren neun. Damit ist die Schweiz auf Platz 5 des Medaillenspiegels. Wer sind all diese Personen, dank denen die Sportart in unserem Land einen nie dagewesenen Höhenflug erlebt?
Im Herzen ist er ein Zehnkämpfer. In dieser Disziplin hat er sich im März gar zum Hallen-Weltmeister gekrönt. Doch Simon Ehammer hat in Rom auf den Weitsprung, seine stärkste Disziplin, gesetzt. Es gehe um die richtige Belastungssteuerung. Erst vor wenigen Wochen hatte er im österreichischen Götzis einen Zehnkampf absolviert gehabt.
Der Plan ging auf: Mit einem starken Sprung auf 8,31 Meter beim dritten Versuch holte sich der Appenzeller die Bronzemedaille. Nur der Grieche Miltiadis Tentoglou (8,65 Meter) und der Italiener Mattia Furlani (8,38 Meter) sprangen weiter.
Ehammers Medaille kommt nicht überraschend, denn er hat seine gute Form in diesem Jahr bereits gezeigt und auch in der Vergangenheit bei Grossanlässen im Weitsprung bereits abgeliefert.
Lange war sie die kleine Schwester von Mujinga Kambundji. Doch spätestens seit zwei Jahren und ihrer EM-Bronzemedaille setzt Ditaji Kambundji über 100 Meter Hürden eigene Marken.
Nachdem sie in Bern im August 2023 den Schweizer Rekord zweimal am gleichen Tag unterbieten konnte, sagte sie, dass sie sich zutraue, noch schneller zu laufen. Wahr werden lassen hat sie diese Ankündigung im EM-Final. Sie brauste in 12,40 Sekunden über die Bahn und verbesserte ihre eigene Bestmarke um sieben Hundertstelsekunden. Als Belohnung gibt es die Silbermedaille. Und wer weiss, wo der Weg der Ditaji Kambunji noch hinführt?
Kambundjis Medaille kommt nicht allzu überraschend, hat sie doch in jüngster Zeit immer wieder von sich reden gemacht. Aber dass sie im schnellsten EM-Hürdenfinal der Geschichte so schnell wie noch nie laufen musste, war selbst für sie nicht selbstverständlich.
Jason Joseph sitzt nach dem Final über 110 Meter Hürden auf dem Boden, der Kopf ist gesenkt. Man könnte meinen, er habe das Rennen komplett verhauen. Und doch hat er den 3. Platz ersprintet. Die Zufriedenheit darüber hält sich indes in Grenzen.
Er war der Meinung, die Zeit von 13,43 Sekunden «auch mit Jeans und Turnschuhen» laufen zu können. Einerseits mag das vielleicht etwas arrogant rüberkommen, wenn sich einer nicht über eine EM-Medaille freut, andererseits zeigt es auch, wie ehrgeizig der Basler ist. Und sich nur mit dem Besten zufrieden gibt. Irgendwann kam die Freude aber dennoch auf, verbunden mit der Erinnerung an die EM vor zwei Jahren. Damals hatte es in München den ärgerlichen 4. Platz gegeben.
Josephs Medaille durfte man erwarten. In der Halle über 60 m war er vor einem Jahr sogar Europas Bester und diesen Anspruch hat er an sich selbst auch im Freien über 110 m.
Ein langes Hin und Her war es für den Mann, der aus dem Südsudan stammt. Darf er für die Schweiz laufen oder nicht? Mitte Mai ist klar: Dominic Lobalu, der Flüchtling, darf für die Schweiz starten, auch wenn er keinen Schweizer Pass besitzt. Ob diese Regelung auch bei den Olympischen Spielen in Paris gilt, ist noch in Abklärung.
Das Hickhack kümmert den Langstreckenläufer aber scheinbar wenig. Er läuft bereits über 5000 m taktisch hervorragend und zur Bronzemedaille. Hinterher zeigte er sich «sehr, sehr zufrieden» in seinem ersten Rennen für seine «neue Heimat». Lobalu fügt an: «Ich danke der Schweiz dafür, dass sie mir diese Chance gegeben hat.»
Das Husarenstück liefert der 25-Jährige dann am letzten Abend der EM ab. Über 10'000 m ist er – wie es Experte Viktor Röthlin ausdrückt – «der Chef im Feld». Wieder ist seine Renntaktik überaus schlau und sein Endspurt diesmal unwiderstehlich.
Lobalus zwei Medaillen sind aufgrund seines Potenzials keine Überraschung, denn er hat seine Ambitionen vor wenigen Wochen in Oslo angemeldet, als er den 40 Jahre alten Schweizer Rekord über 5000 Meter gebrochen hat. Aber dass er bei seinen ersten Meisterschaftsrennen, wo es mehr um Taktik als um Tempo geht, gleich so abliefert, ist keinesfalls selbstverständlich.
Angelica Moser überwindet hohe Hürden. Nicht nur im Stabhochsprung, wo sie die auf 4,78 Metern aufgelegte Latte überquerte und so die Goldmedaille abstaubte. Nein, Moser hat schon andere Schwierigkeiten überwunden, etwa eine Essstörung. Verfiel sie früher noch sogenannten Belohnungsessen oder exzessiven Essattacken, hat sie dies dank einer Therapie in den Griff bekommen.
Und dann war da noch der fürchterliche Unfall im Sommer 2021, als ihr im Training der Stab bricht. Dass sie heute noch Spitzensport betreiben kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Vielleicht glänzt die goldene Medaille, die sie aus Rom mit nach Hause nimmt, noch stärker.
Dass Moser eine Medaille holt, ist nicht überraschend, dass es die goldene ist, hingegen schon. Sie galt trotz ihres Sieges am Diamond-League-Meeting in Marokko nicht als Topfavoritin.
Er kommt aus dem Nichts. Timothé Mumenthaler, der 21-jährige Sprinter aus Genf, war bei den wenigsten auf der Rechnung vor dieser EM. Und dann sprintet er zu EM-Gold über 200 Meter. Sein Trainer Kevin Widmer sagt hinterher: «Eigentlich ist unglaublich, was passiert ist. Dieser Athlet ist erst 21 Jahre alt.»
Auch er hat keinen einfachen Weg hinter sich: Seine Muskeln machen das gesteigerte Training bei den Junioren nicht immer mit und so muss Mumenthaler immer wieder verletzt zuschauen. Vor drei Jahren wechselt er, der Ingenieurwissenschaften studiert, den Trainer. Es geht dank angepasstem Laufstil aufwärts und gipfelt nun in EM-Gold.
Mumenthalers Medaille ist die mit Abstand überraschendste, die die Schweizer Delegation in Rom einheimst.
Neben Mumenthalers Goldmedaille geht William Reais fast ein bisschen vergessen. Er holt sensationell Bronze. Nach dem Zieleinlauf gibt er zu Protokoll, dass er sich nicht erinnern kann, wie das Rennen gelaufen sei, aber er wisse, dass er Bronze gewonnen habe. Er feiert mit Teamkollege Mumenthaler.
Reais ist Teil eines Teams, das bei Florian Clivaz trainiert. Zum Team gehören auch Mujinga und Ditaji Kambundji. Er profitiere sehr von ihnen, sagt der 25-Jährige. Ein guter Freund ist auch Jason Joseph, mit dem er an der EM auch das Zimmer teilte. Nachdem beide Bronze holen, hätten sie eigentlich zusammen feiern können. Doch Joseph ist schon abgereist. Im TV-Interview bezeichnet Reais den Basler deshalb spasseshalber als «Sauhund».
Auch die Medaille von Reais kommt sehr überraschend für die Schweizer Leichtathletik-Delegation.
Im Final über 100 Meter wird Mujinga Kambundji Achte. Letzte. Wenn man das hört, könnte man sagen: Für die Silber-Gewinnerin von München 2022 eine Enttäuschung. Doch weit gefehlt. Nach einer schwierigen Saison 2023 mit einer hartnäckigen Fussverletzung und ohne Rennen über 200 Meter ist die Finalqualifikation ein Erfolg. Dort habe es schliesslich Klick gemacht, wie es Kambundji sagt.
Und siehe da: Im Halbfinal über 200 Meter knallt sie die zweitbeste Zeit auf die Bahn, nur um im Final einen Tag später dann dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen und eine Hundertstelsekunde vor der Britin Daryll Neita über die Ziellinie zu sprinten. Damit kann sie den EM-Titel von München in dieser Disziplin verteidigen.
Die Farbe von Kambundjis Medaille ist überraschend. Dass sie gut genug für Edelmetall über 200 m ist, wusste man hingegen bereits nach dem Eindruck im Halbfinal über 100 m. (aargauerzeitung.ch)
Leider war auf watson während der EM bis auf kleine Einzelmeldungen kaum etwas zu erfahren, und die Resultate waren versteckt und lückenhaft. Wenn ich daneben sehe, wie für das Rasenbälleligumpen noch die 95. Liga aus Hinterpfupfingen kommentiert und dokumentiert wird, fühle ich mich als Leichtathletikfan schon etwas wenig ernst genommen.