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Schweizer EM-Märchen in Rom: Das sind unsere Medailllen-Helden

epa11406731 Gold medalist Dominic Lobalu of Switzerland celebrates during the men's 10000 meters final at the European Athletics Championships 2024 at Olimpico Stadium in Rome, Italy, 12 June 202 ...
Dominic Lobalu holt sich gleich zwei Medaillen in Rom.Bild: keystone

Schweizer EM-Märchen in Rom: Das sind unsere Medailllen-Heldinnen und -Helden

Die Leichtathletik-Europameisterschaften sind auch zu Schweizer Festspielen geworden. Insgesamt fliegt die Delegation von Swiss Athletics mit neun Medaillen nach Hause. Wir stellen die Edelmetallgewinnerinnen und -gewinner kurz vor und sagen, ob ihre Medaille einkalkuliert war oder aus heiterem Himmel kommt.
13.06.2024, 03:4113.06.2024, 03:41
Rainer Sommerhalder, Alessandro Crippa / ch media
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Sechs Medaillen hat der Schweizerische Leichtathletik-Verband Swiss Athletics für die EM in Rom als Ziel ausgegeben. Geworden sind es gleich deren neun. Damit ist die Schweiz auf Platz 5 des Medaillenspiegels. Wer sind all diese Personen, dank denen die Sportart in unserem Land einen nie dagewesenen Höhenflug erlebt?

  • Weitsprung: Simon Ehammer, Bronze
  • 100 Meter Hürden: Ditaji Kambundji, Silber
  • 110 Meter Hürden: Jason Joseph, Bronze
  • 10'000 Meter und 5000 Meter: Dominic Lobalu, Gold und Bronze
  • Stabhochsprung: Angelica Moser, Gold
  • 200 Meter: Timothé Mumenthaler, Gold
  • 200 Meter: William Reais, Bronze
  • 200 Meter: Mujinga Kambundji, Gold

Weitsprung: Simon Ehammer, Bronze

Bronze medalist Simon Ehammer of Switzerland for the men's long jump, poses after the medals ceremony at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy, Sunday, June ...
Simon Ehammer mit seiner Medaille.Bild: keystone

Im Herzen ist er ein Zehnkämpfer. In dieser Disziplin hat er sich im März gar zum Hallen-Weltmeister gekrönt. Doch Simon Ehammer hat in Rom auf den Weitsprung, seine stärkste Disziplin, gesetzt. Es gehe um die richtige Belastungssteuerung. Erst vor wenigen Wochen hatte er im österreichischen Götzis einen Zehnkampf absolviert gehabt.

Der Plan ging auf: Mit einem starken Sprung auf 8,31 Meter beim dritten Versuch holte sich der Appenzeller die Bronzemedaille. Nur der Grieche Miltiadis Tentoglou (8,65 Meter) und der Italiener Mattia Furlani (8,38 Meter) sprangen weiter.

Ehammers Medaille kommt nicht überraschend, denn er hat seine gute Form in diesem Jahr bereits gezeigt und auch in der Vergangenheit bei Grossanlässen im Weitsprung bereits abgeliefert.

100 Meter Hürden: Ditaji Kambundji, Silber

Silver medalist Ditaji Kambundji of Switzerland for the women's 100 meters hurdles, poses after the medals ceremony at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy ...
Ditaji Kambundji freut sich über Silber.Bild: keystone

Lange war sie die kleine Schwester von Mujinga Kambundji. Doch spätestens seit zwei Jahren und ihrer EM-Bronzemedaille setzt Ditaji Kambundji über 100 Meter Hürden eigene Marken.

Nachdem sie in Bern im August 2023 den Schweizer Rekord zweimal am gleichen Tag unterbieten konnte, sagte sie, dass sie sich zutraue, noch schneller zu laufen. Wahr werden lassen hat sie diese Ankündigung im EM-Final. Sie brauste in 12,40 Sekunden über die Bahn und verbesserte ihre eigene Bestmarke um sieben Hundertstelsekunden. Als Belohnung gibt es die Silbermedaille. Und wer weiss, wo der Weg der Ditaji Kambunji noch hinführt?

Kambundjis Medaille kommt nicht allzu überraschend, hat sie doch in jüngster Zeit immer wieder von sich reden gemacht. Aber dass sie im schnellsten EM-Hürdenfinal der Geschichte so schnell wie noch nie laufen musste, war selbst für sie nicht selbstverständlich.

110 Meter Hürden: Jason Joseph, Bronze

Bronze medalist Jason Joseph of Switzerland for the men's 110 meters hurdles, celebrates during the medals ceremony at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy ...
Jason Joseph wollte mehr als den 3. Rang.Bild: keystone

Jason Joseph sitzt nach dem Final über 110 Meter Hürden auf dem Boden, der Kopf ist gesenkt. Man könnte meinen, er habe das Rennen komplett verhauen. Und doch hat er den 3. Platz ersprintet. Die Zufriedenheit darüber hält sich indes in Grenzen.

Er war der Meinung, die Zeit von 13,43 Sekunden «auch mit Jeans und Turnschuhen» laufen zu können. Einerseits mag das vielleicht etwas arrogant rüberkommen, wenn sich einer nicht über eine EM-Medaille freut, andererseits zeigt es auch, wie ehrgeizig der Basler ist. Und sich nur mit dem Besten zufrieden gibt. Irgendwann kam die Freude aber dennoch auf, verbunden mit der Erinnerung an die EM vor zwei Jahren. Damals hatte es in München den ärgerlichen 4. Platz gegeben.

Josephs Medaille durfte man erwarten. In der Halle über 60 m war er vor einem Jahr sogar Europas Bester und diesen Anspruch hat er an sich selbst auch im Freien über 110 m.

10'000 Meter und 5000 Meter: Dominic Lobalu, Gold und Bronze

Gold medalist Dominic Lobalu of Switzerland celebrates during the men's 10000 meters final at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy, Wednesday, June 12, 202 ...
Überflieger: Dominic Lobalu gewinnt nur einen Monat, nachdem er die Starerlaubnis erhielt, zwei Medaillen für die Schweiz.Bild: keystone

Ein langes Hin und Her war es für den Mann, der aus dem Südsudan stammt. Darf er für die Schweiz laufen oder nicht? Mitte Mai ist klar: Dominic Lobalu, der Flüchtling, darf für die Schweiz starten, auch wenn er keinen Schweizer Pass besitzt. Ob diese Regelung auch bei den Olympischen Spielen in Paris gilt, ist noch in Abklärung.

Das Hickhack kümmert den Langstreckenläufer aber scheinbar wenig. Er läuft bereits über 5000 m taktisch hervorragend und zur Bronzemedaille. Hinterher zeigte er sich «sehr, sehr zufrieden» in seinem ersten Rennen für seine «neue Heimat». Lobalu fügt an: «Ich danke der Schweiz dafür, dass sie mir diese Chance gegeben hat.»

Das Husarenstück liefert der 25-Jährige dann am letzten Abend der EM ab. Über 10'000 m ist er – wie es Experte Viktor Röthlin ausdrückt – «der Chef im Feld». Wieder ist seine Renntaktik überaus schlau und sein Endspurt diesmal unwiderstehlich.

Lobalus zwei Medaillen sind aufgrund seines Potenzials keine Überraschung, denn er hat seine Ambitionen vor wenigen Wochen in Oslo angemeldet, als er den 40 Jahre alten Schweizer Rekord über 5000 Meter gebrochen hat. Aber dass er bei seinen ersten Meisterschaftsrennen, wo es mehr um Taktik als um Tempo geht, gleich so abliefert, ist keinesfalls selbstverständlich.

Stabhochsprung: Angelica Moser, Gold

Gold medalist Angelica Moser of Switzerland for the women's pole vault poses after the medals ceremony at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy, Tuesday, Ju ...
Die ewige Vierte springt nach ganz oben: Angelica Moser.Bild: keystone

Angelica Moser überwindet hohe Hürden. Nicht nur im Stabhochsprung, wo sie die auf 4,78 Metern aufgelegte Latte überquerte und so die Goldmedaille abstaubte. Nein, Moser hat schon andere Schwierigkeiten überwunden, etwa eine Essstörung. Verfiel sie früher noch sogenannten Belohnungsessen oder exzessiven Essattacken, hat sie dies dank einer Therapie in den Griff bekommen.

Und dann war da noch der fürchterliche Unfall im Sommer 2021, als ihr im Training der Stab bricht. Dass sie heute noch Spitzensport betreiben kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Vielleicht glänzt die goldene Medaille, die sie aus Rom mit nach Hause nimmt, noch stärker.

Dass Moser eine Medaille holt, ist nicht überraschend, dass es die goldene ist, hingegen schon. Sie galt trotz ihres Sieges am Diamond-League-Meeting in Marokko nicht als Topfavoritin.

200 Meter: Timothé Mumenthaler, Gold

Gold medalist Timothe Mumenthaler of Switzerland celebrates during the men's 200 meters final at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy, Monday, June 10, 202 ...
Mit 21 Jahren an Europas Spitze: Timothé Mumenthaler.Bild: KEYSTONE

Er kommt aus dem Nichts. Timothé Mumenthaler, der 21-jährige Sprinter aus Genf, war bei den wenigsten auf der Rechnung vor dieser EM. Und dann sprintet er zu EM-Gold über 200 Meter. Sein Trainer Kevin Widmer sagt hinterher: «Eigentlich ist unglaublich, was passiert ist. Dieser Athlet ist erst 21 Jahre alt.»

Auch er hat keinen einfachen Weg hinter sich: Seine Muskeln machen das gesteigerte Training bei den Junioren nicht immer mit und so muss Mumenthaler immer wieder verletzt zuschauen. Vor drei Jahren wechselt er, der Ingenieurwissenschaften studiert, den Trainer. Es geht dank angepasstem Laufstil aufwärts und gipfelt nun in EM-Gold.

Mumenthalers Medaille ist die mit Abstand überraschendste, die die Schweizer Delegation in Rom einheimst.

200 Meter: William Reais, Bronze

Bronze medalist William Reais of Switzerland poses after the medals ceremony for the men's 200 meters at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy, Tuesday, Jun ...
William Reais lief quasi im Windschatten von Timothé Mumenthaler zu Bronze.Bild: keystone

Neben Mumenthalers Goldmedaille geht William Reais fast ein bisschen vergessen. Er holt sensationell Bronze. Nach dem Zieleinlauf gibt er zu Protokoll, dass er sich nicht erinnern kann, wie das Rennen gelaufen sei, aber er wisse, dass er Bronze gewonnen habe. Er feiert mit Teamkollege Mumenthaler.

Reais ist Teil eines Teams, das bei Florian Clivaz trainiert. Zum Team gehören auch Mujinga und Ditaji Kambundji. Er profitiere sehr von ihnen, sagt der 25-Jährige. Ein guter Freund ist auch Jason Joseph, mit dem er an der EM auch das Zimmer teilte. Nachdem beide Bronze holen, hätten sie eigentlich zusammen feiern können. Doch Joseph ist schon abgereist. Im TV-Interview bezeichnet Reais den Basler deshalb spasseshalber als «Sauhund».

Auch die Medaille von Reais kommt sehr überraschend für die Schweizer Leichtathletik-Delegation.

200 Meter: Mujinga Kambundji, Gold

Gold medalist Mujinga Kambundji of Switzerland poses after the medals ceremony for the women's 200 meters at the European Athletics Championships, in the Olympic stadium, in Rome, Italy, Wednesda ...
Ihre Goldmedaille kam überraschend: Mujinga Kambundji schnitt über 100 Meter nicht gut ab.Bild: keystone

Im Final über 100 Meter wird Mujinga Kambundji Achte. Letzte. Wenn man das hört, könnte man sagen: Für die Silber-Gewinnerin von München 2022 eine Enttäuschung. Doch weit gefehlt. Nach einer schwierigen Saison 2023 mit einer hartnäckigen Fussverletzung und ohne Rennen über 200 Meter ist die Finalqualifikation ein Erfolg. Dort habe es schliesslich Klick gemacht, wie es Kambundji sagt.

Und siehe da: Im Halbfinal über 200 Meter knallt sie die zweitbeste Zeit auf die Bahn, nur um im Final einen Tag später dann dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen und eine Hundertstelsekunde vor der Britin Daryll Neita über die Ziellinie zu sprinten. Damit kann sie den EM-Titel von München in dieser Disziplin verteidigen.

Die Farbe von Kambundjis Medaille ist überraschend. Dass sie gut genug für Edelmetall über 200 m ist, wusste man hingegen bereits nach dem Eindruck im Halbfinal über 100 m. (aargauerzeitung.ch)

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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The oder ich
13.06.2024 07:51registriert Januar 2014
Ein toller Anlass mit einer grandiosen Stimmung und ein Schweizer Palmarès, das in diesem Umfang über alle Erwartungen hinausgeht.

Leider war auf watson während der EM bis auf kleine Einzelmeldungen kaum etwas zu erfahren, und die Resultate waren versteckt und lückenhaft. Wenn ich daneben sehe, wie für das Rasenbälleligumpen noch die 95. Liga aus Hinterpfupfingen kommentiert und dokumentiert wird, fühle ich mich als Leichtathletikfan schon etwas wenig ernst genommen.
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Mrs. Bonsai
13.06.2024 07:08registriert Februar 2014
Gratulation an alle. Tolle Teamleistung wie auch Einzelleistungen.
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