Rote Wegweiser helfen dem Fremden, den Festplatz zu finden. Verkehrsstau gibt es keinen, der einem zeigt, wohin die Reise gehen soll. Das Oberbühl auf den sanften Hügeln im wilden Süden des bernischen Oberaargaus über dem Städtchen Huttwil. Hier wird jedes Jahr ein Klubschwinget durchgeführt. Dieses Jahr ist es das Eidgenössische der Frauen. Am Samstag bei den Männern waren gut 200 Männer, Frauen und Kinder gekommen. Nun sind es am Sonntag gut 1000. Statistik gibt es zwar keine. Der Festwirt freut sich über gut 600 verkaufte Steaks vom Grill. «Das bedeutet, dass gut 1000 Leute hier sind.»
Kommerz? Nein. Es geht zwar nicht ganz ohne. Aber mehr oder weniger so bescheiden wie zu Gotthelfs Zeiten. Das Budget des Eidgenössischen der Männer in einer Woche im glarnerischen Mollis beträgt mehr als 40 Millionen. Bei Eidgenössischen auf dem Oberbühl weniger als 10'000 Franken. Der Gabentempel in Mollis hat einen Wert von gut einer Million. Auf dem Oberbühl stehen Preise bereit für rund 17'000 Franken.
In Mollis wartet der Stier «Zibu» mit Hörnern und einem Gewicht von mehr als einer Tonne im Wert von schätzungsweise 25 000 Franken auf den König. Auf die hinter dem König klassierten «Bösen» warten acht Rinder und zwei Freiberger-Stuten. Der König hat die Wahl zwischen dem Muni oder dem Barwert. Die Schwinger auf den Rängen 2 und 3 können zwischen dem jeweiligen Lebendpreis oder dem entsprechenden Geldwert wählen.
Ach, wie geht es da auf dem Oberbühl bei den Frauen beschaulich und bescheiden zu und her. Ach, wie friedlich und schön ist es auf dem Oberbühl. Eine Oase der wahren, echten Schwinger-Romantik in wunderbarer Landschaft. Der erste Lebendpreis für die Tagessiegerin ist das Kalb «Dagmar» und für die Zweitplatzierte Federvieh: Je ein Hahn und ein Huhn.
Den Namen des Kalbes kann der Chronist erst nach intensiver Recherche herausfinden. «Wir haben halt keine Kalbstaufe gemacht», entschuldigt sich eine rührige Helferin. Das Huhn und der Hahn haben hingegen keine Namen. Dazu kommt eine Besonderheit: Es ist nicht gestattet – wie bei den Männern – statt des Lebendpreises Geld zu bekommen. So wäre es theoretisch möglich, dass die letztplatzierte Schwingerin mit dem Hauptreis nach Hause fährt, wenn vorher niemand das Kalb nimmt. Und Vorschrift ist auch: Die Königin bekommt als Preis einen grossen Spiegel, eingelassen in einer wunderschönen Holzschnitzerei. Nach dem Motto: «Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Königin im Land?»
Zwei Bauern, einer mit Meisterprüfung, der andere heute nicht mehr in der Landwirtschaft tätig, betrachten das Kalb in seinem Gehege und diskutieren über den Preis.
«Ein schönes Kalb. Das hat sicherlich einen Wert von gut 500 Franken.»
«Chlöisu, nimm die Sonnenbrille ab und schau doch mal genau hin. So ein mageres Räbeli. Das wiegt ja nicht einmal 100 Kilo. Für mich ist das eine Geiss, kein Kalb und keine 100 Stutz wert.»
Das Fachgespräch endet dann nach eingehender Erörterung doch versöhnlich: Es sei eben ein Kalb für Milch-Hochleistung. Die seien halt von den Genen her mager, leichter und nicht so prächtig im Fleisch. Also doch keine Ziege.
In der Festwirtschaft wird natürlich auch die Frage erörtert, wie «böse» die Frauen im Sägemehl eigentlich sind. Also wendet man sich an einen ehemaligen Kranzschwinger des organisierenden Schwingklubs Huttwil, dessen Name dem Chronisten grad entfallen ist: «Würdest Du die Königin bodigen?» Der 61-jährige, noch gut im Chut, ist sich seiner Sache nicht so sicher: «Ich glaube nicht, dass ich noch genug Pfupf hätte, um einen Gang durchzuhalten.» Wirft einer ein: «Dann müsstest Du halt gleich mit dem ersten Zug gewinnen.» – «Ja, müsste ich wohl. Aber unterschätzt die Frauen nicht, ich kann wahrscheinlich nicht mehr so explosiv kurz ziehen, um gleich die Entscheidung herbeizuführen …»
Die meisten Besucherinnen und Besuchern werden wir wohl in einer Woche in Mollis sehen. Es ist urchiges Schwingervolk, das sich über die Integration der Frauen in die Zwilchhosen-Kultur freut. Die Platzspeakerin nennt – wie es bei den Männern der Brauch ist – stets zuerst den Nachnamen und dann den Vornamen. Ehrendamen gibt es nicht, dafür rassige Ehrenherren im Kühermutz.
Es sollte allerdings bei der Gleichberechtigung nicht nur beim Gabentempel noch etwas nachgeholfen werden. Im Einteilungsbüro – also im Gremium, das bestimmt, wer gegen wen anzutreten hat – sitzen nur Männer. Und natürlich gibt es auch hin und wieder etwas despektierliche Sprüche. Die werden aber träf gekontert. Fragt doch ein älterer Herr, ob es bei den Frauen – ähnlich wie bei den Männern mit Sennen und Turner – auch zwei Kategorien gebe. Schürzen-Schwingerinnen als Bezeichnung für die, die sich mehr um den Haushalt kümmern und Emanzipations-Schwingerinnen. Da wird er aber von einer energischen Landfrau schön in den Senkel gestellt: «So öppis dumms. Wenn wir das bei den Männern machen würden, gäbe es in einer Woche Mollis wahrscheinlich mehr Schürzen-Schwinger als andere …»
Es ist ein fröhliches, unbeschwertes Fest, mit viel Geist (bodenständiger Folklore) und praktisch ohne Geld.