Sie waren kürzlich bei den Swiss Indoors in Basel und trafen dort Roger Federer. Wie war das Zusammentreffen zweier Sportgrössen?
Christian Stucki: Ihn live zu sehen und mit ihm zu sprechen war ein Highlight.
Worüber habt Ihr gesprochen?
Smalltalk halt. Ich habe ihm gesagt, er solle mal an ein Schwingfest kommen.
Und, kommt er?
Er meinte, es sei schwierig mit den Terminen.
Sie müssen nur so lange weitermachen, bis er zurückgetreten ist.
Ob ich so lange durchhalten werde, weiss ich nicht.
Roger Federer konnte sich also mal mit einem König unterhalten.
Roger Federer ist schon in einer anderen Sphäre. Er ist auch für mich eine aussergewöhnliche Persönlichkeit. Und ich kenne ja auch ein paar Leute.
Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen Euch beiden.
So?
Sie sind in Ihrer Sportart die Nummer eins, er nicht mehr.
Aber er war sehr lange die Nummer eins und Chapeau für das, was er geleistet hat und immer noch leistet.
Sie dürften in der Schweiz so bekannt sein wie er.
Das kann ich nicht beurteilen. Wir waren noch nie zusammen unterwegs. Aber klar, wir sind beide bekannt wie bunte Hunde. Aber er ist sicherlich noch bekannter als ich.
Aber Sie sind markanter.
Was die Grösse und die Postur betrifft, haben Sie recht. Er könnte sich wohl etwas besser verstecken. Ich kann ja nichts dafür, dass ich so gross und so breit bin.
Wie ist es als König mit den Sponsoren. Haben Sie viele neue Anfragen?
Die Verträge laufen noch und ich möchte mit den gleichen Partnern weiterarbeiten.
Über Geld reden die Schwinger nicht gerne. Geht es Ihnen auch so?
Da gibt es eigentlich keine Geheimnisse. Dass ich für den Siegermuni von Zug 30'000 Franken bekommen habe, ist offiziell bekannt. Ob man mehr preisgeben will oder nicht, ist jedem überlassen. Ich gehe mit meinen Verträgen nicht hausieren.
Ist der König nun Millionär?
Ach, Sie und Ihre Million. Es geht gar nicht um Beträge. Ich habe sehr viel erreicht. Ich konnte ein Haus bauen und eine Familie gründen. Das ist schon sehr viel und damit bin ich glücklich.
Aber Sie arbeiten nach wie vor?
Ja, natürlich. Ich bleibe im Arbeitsleben. Irgendwann muss ich ja wieder 100 Prozent arbeiten. Dies fällt mir leichter, wenn ich nicht vorher jahrelang ganz weg war. Ich arbeite an drei Tagen in der Woche als Chauffeur einer Metzgerei. Meine Frau arbeitet ebenfalls und so können wir uns bei der Kinderbetreuung abwechseln.
Sie müssten aber derzeit nicht unbedingt arbeiten?
Es ginge schon ohne. Aber ich will nicht Profi sein. Arbeiten ist für mich fast wie Erholung. Wenn ich mit dem Laster unterwegs bin, kann ich abschalten und ein wenig meinen Gedanken nachhängen. Ich kann dann sogar über die Freisprechanlage Interviews geben. Dann ist das auch gleich erledigt und ich habe mehr Zeit für etwas anderes.
Sie sind sehr kommunikativ, mit Sinn für Humor. Haben Sie eine Medienschulung durchlaufen?
Nein, nie. Du musst einfach dich selber bleiben. Mit ein bisschen Selbstironie kommt man sowieso besser durchs Leben als wenn man alles todernst nimmt.
Sind Sie noch nie in ein Fettnäpfchen getreten?
Nein, eigentlich nicht. Ich rede gern Berndeutsch und versuche mich präzis auszudrücken. Nur einmal gab es Wirbel. In einem Interview mit einem Magazin – ich glaube, es war ein SBB-Magazin – kam die Frage, als was ich mich fühle. Ich antwortete, als Eidgenosse.
Das wurde Ihnen übelgenommen? Wie ist das möglich?
Ich weiss es nicht. Vermutlich, weil da einige Leute etwas hineininterpretieren könnten. Aber entschuldigen Sie, ich bin im Emmental heimatberechtigt, ich bin hier auf die Welt gekommen, schon meine Urururgrossväter lebten hier und wir leben in der Eidgenossenschaft.
Und Sie sind ja auch im Schwingen ein Eidgenosse!
Ja, sogar ein sechsfacher.
Als Sie zum Schlussgang den Sägemehlring betraten, war Ihre Entschlossenheit förmlich zu spüren. Es gab keinen Zweifel mehr.
So? Dabei hatte ich eine Stunde vorher in der Garderobe noch geweint.
Wie jetzt? Vor Ihren Kollegen?
Ja. Die wunderten sich wohl schon ein wenig. Sie liessen mich jedoch in Ruhe. Mein Trainer hat mich dann beruhigt.
Was ist denn über Sie gekommen?
Da war diese ganze Anspannung. Ich war plötzlich doch noch im Schlussgang. Es musste wohl einfach alles raus. Es wirkte wie eine Befreiung. Gut möglich, dass es genau dies gebraucht hat, damit ich anschliessend erfolgreich sein konnte. Sie haben schon recht: ich war entschlossen. Ich wusste, dass es in den ersten fünf, sechs Minuten einfacher sein würde.
Haben Sie damals in Burgdorf gar nicht so richtig dran geglaubt?
Ja, das war es wohl auch. So in dem Sinne: wenn ich verliere, dann halt. In Zug war ich fokussierter, aggressiver als in Burgdorf.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Christian Stucki, der den eidgenössischen Schlussgang 2013 in Burgdorf gegen Matthias Sempach verloren hat und dem Christian Stucki, der 2019 in Zug König geworden ist?
Ich wusste in Zug, dass es wohl die letzte Chance ist. Ich war in Burgdorf einfach noch zu locker. Hinzu kam, dass Mättu, den ich sehr gut mag, mir schwingerisch nicht besonders gut liegt. Er passt mir einfach nicht in die Finger. Zudem wusste ich, dass ich auch im Falle einer Niederlage Zweiter sein würde. Vielleicht war ich deshalb insgeheim schon fast zufrieden und habe deshalb möglicherweise etwas zu passiv geschwungen. In Zug aber wusste ich, dass ich noch einmal alles in diesen Schlussgang investieren muss.
Wer ist nun der wahre Christian Stucki? Der freundliche, etwas selbstzufriedene von Burgdorf oder der aggressive und fokussierte von Zug?
Ich bin eigentlich beides. Ich habe in Zug gezeigt, dass der Stucki Chrigu auch fokussiert und konzentriert sein kann.
Neigen die Leute wegen Ihrer gmögigen Art dazu, Sie zu unterschätzen?
Ja, das hat etwas für sich. Ich bin ja ein umgänglicher Typ, ich fühle mich als einer, der auch nur mit Wasser kocht. Ich hatte noch nie das Gefühl, ich sei etwas Spezielles, und ich möchte deshalb auch ganz normal behandelt werden. Es soll mir niemand Zucker in den Hintern blasen.
Sie machen bis zum nächsten Eidgenössischen 2022 in Pratteln weiter. Oder noch länger?
Das Ziel ist noch einmal ein Eidgenössisches. Dann bin ich 37. Ob ich dann noch weitermache, weiss ich noch nicht. Meine Frau meinte kürzlich, sie habe gehört, dass ich sechs Jahre weiterschwingen will. Aber ich glaube, da hat sie sich verhört. Ich will den rechtzeitigen Absprung nicht verpassen. Bei meinem Rücktritt will ich nicht da stehen, wo ich war, als ich angefangen habe. Ich will auch nicht viermal wie ein Käfer auf dem Rücken liegen und schon nach vier Gängen vorzeitig nach Hause gehen.
Wie Nöldi Forrer? Er schied in Zug schon nach vier Gängen aus.
Jeder muss es selbst wissen, wie er es machen will. Ich kann ihn verstehen. Er hat die magische Grenze von 150 Kränzen vor sich. Es fehlen ihm bis dahin nur noch drei Kränze. Das kann sehr wohl ein Ziel sein.
Hätten Sie nach Zug auch weitergemacht, wenn Sie nicht König geworden wären?
Ja, mein Ziel war so oder so, bis Pratteln dabei zu sein.
Es wäre aus kommerziellen Gründen nicht klug gewesen, als König nicht mehr weiterzuschwingen.
So? Der Autorennfahrer Nico Rosberg hat ja auch nach dem Gewinn des WM-Titels aufgehört.
Aber er hat zuvor wahrscheinlich mehr Geld verdient als Sie.
Ja, klar. Ich hätte wahrscheinlich Einbussen, wenn ich aufhören würde. So genau weiss ich das nicht. Ich habe mit Lidl schon vor dem Eidgenössischen den Vertrag um drei Jahre verlängert.
Was ist bei Ihnen nach dem «Gut» des Kampfrichters im Schlussgang vorgegangen?
Ich hörte das «Gut» und wusste, jetzt ist es geschafft. Jetzt hast du das Ei gelegt. Ein riesiger Stein fiel mir von den Schultern. Frauenfeld, Burgdorf, Zug – ich war ja schon bei früheren Eidgenössischen einer der Favoriten gewesen. Nun hatte es nach so langer Zeit endlich geklappt. Aber im Augenblick realisiert man das alles noch gar nicht richtig.
Wann sind Sie nach dem Eidgenössischen ins Bett gekommen?
Nun ja, wir haben noch etwas gefeiert, aber nicht übertrieben. Dann musste ich im Gabentempel noch meine Treichel holen, die wir im Auto meines Managers verstauten. Zum Schluss packte ich meine Sachen in der Garderobe zusammen und fuhr so gegen 2 Uhr früh im Schwingerhemd mit dem Fahrrad in die Wohnung, die wir während des Festes gemietet hatten und erst am Montag zurückgeben mussten.
Der frischgekürte König fuhr um 2 Uhr in der Früh mit dem Velo durch Zug?
Ja, so war es. Aber ich bin mir fast sicher, dass dies niemand bemerkte. In der Wohnung angekommen, schaute ich mir auf dem Smartphone noch einmal alle Gänge an. So gegen 4 Uhr schlief ich dann ein. Doch bereits um 7.10 Uhr weckte mich Sven Epiney schon wieder mit einem Anruf.
Sie sind König, Sie haben Unspunnen und den Kilchberg-Schwinget gewonnen. Bleiben da noch Ziele?
Ja. Die Festsiege auf der Schwägalp und am Nordostschweizer Schwingfest fehlen noch. Den wichtigsten Titel habe ich ja dieses Jahr gewonnen.
Sie haben 128 Kränze gewonnen. Auch Sie könnten die magische Grenze von 150 noch erreichen.
So? Dazu müsste ich aber noch recht Gas geben. Wir wollen nicht übertreiben.