Der Auftakt in die neue Weltcupsaison erfolgt standesgemäss auf dem Rettenbachgletscher in Sölden. Doch danach ist schon vieles ungewiss. Die neue Weltcupabfahrt in Zermatt steht wegen Schneemangels auf der Kippe. Die FIS rechnet zudem wegen der drohenden Energiekrise mit kurzfristigen Absagen und Verschiebungen. Trotz dieser schwierigen Vorzeichen ist das Schweizer Team für den Winter gut gerüstet.
Dieses Wochenende. Am Samstag 22. Oktober (10 und 13 Uhr) fahren die Frauen den traditionellen Riesenslalom zum Saisonauftakt in Sölden. Am Sonntag sind dann die Männer zu denselben Zeiten dran.
Ähnlich wie in den Jahren zuvor. Es gibt dank der Abfahrten in Zermatt/Cervinia insgesamt vier Rennen mehr als bisher. Der Super-G am Lauberhorn im Vorjahr war ein grosser Erfolg, weshalb auch dieses Jahr in Wengen wieder ein Super-G ausgetragen wird.
Besonders auffallend ist, dass die Männer Ende Februar noch einmal nach Nordamerika zurückkehren und dort in Palisades Tahoe und Aspen je ein Rennwochenende abhalten. Vom 6. bis 19. Februar finden die Weltmeisterschaften im französischen Meribel statt.
Das Schweizer Fernsehen überträgt weiterhin alle Skirennen der Saison live – auch während der Fussball-WM 2022 in Katar. Die Kommentatoren für die kommende Saison sind Stefan Hofmänner und Adrian Arnett (Männer-Rennen) sowie Marco Felder und Men Marugg (Frauen-Rennen).
Beim Experten-Team hat es eine Ergänzung gegeben: Stefan Abplanalp – von 2004 bis 2012 Speed-Trainer der Schweizer Frauen – bildet gemeinsam mit Tina Weirather das Experten-Duo bei den Frauen. Bei den Männer-Rennen setzt das SRF weiterhin auf Marc Berthod und Didier Plaschy als Experten.
Beim Blick auf den Rennkalender fallen da natürlich besonders neue Austragungsorte auf. Bereits eine Woche nach Sölden sollte in Zermatt und Cervinia der Speed-Auftakt der Männer mit einer Grenzgänger-Abfahrt (von der Schweiz nach Italien) erfolgen. Eine Woche später fahren die Frauen am gleichen Ort. Noch ist allerdings unklar, ob diese Rennen tatsächlich über die Bühne gehen – das warme Wetter in den letzten Tagen verunmöglichte eine Präparierung des untersten Streckenteils.
Die weiss-blau-roten Rennanzüge von Swiss Ski sind zudem Geschichte. Der neue Swiss-Ski-Hauptsponsor Sunrise hat auch für einen neuen Look gesorgt. Neu rasen die Schweizerinnen und Schweizer in einem markanten Orange-Rot über die Pisten.
Marco Odermatt hat vergangenen Winter als erster Schweizer seit Carlo Janka 2010 den Gesamtweltcup gewonnen. Der Nidwaldner setzte sich dabei mit fast 500 Punkten Vorsprung auf Aleksander Aamodt Kilde durch.
Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass Odermatt seinen Titel verteidigt – sofern er ohne Verletzungen bleibt. Im Riesenslalom war er letzte Saison mit Abstand der Beste seines Fachs und im Super-G (2. der Disziplinenwertung) und in der Abfahrt (4.) dürfte der 25-Jährige mit zunehmender Erfahrung noch besser werden. Als eher Speed-orientierter Fahrer ist Odermatt im Kampf um die grosse Kugel natürlich etwas mehr vom Wetter abhängig als Technik-Spezialisten.
Wer kann Marco Odermatt im Kampf um den Gesamtweltcup gefährden? Oberster Anwärter ist natürlich Aleksander Kilde. Der Freund von Mikaela Shiffrin feierte letzte Saison ein starkes Comeback nach einem Kreuzbandriss und gewann die kleine Kugel in der Abfahrt und im Super-G. Gut möglich, dass der Norweger dieses Jahr auch im Riesenslalom wieder öfter an den Start geht, um Odermatt anzugreifen.
Und sonst? Henrik Kristoffersen bräuchte eine riesige Slalom- und Riesenslalomsaison, um an Odermatt und Kilde heranzukommen. Der Norweger fährt neu auf der von Marcel Hirscher entwickelten «Van Deer» Skimarke. Wenn Loic Meillard endlich mal etwas Konstanz findet, kommt die Konkurrenz für Odermatt vielleicht bald aus dem eigenen Lager.
Bei den Frauen hat Mikaela Shiffrin die grosse Kugel gewonnen – zum vierten Mal in ihrer Karriere. Auch wenn bei den Frauen die Konkurrenz etwas dichter beisammen war als bei den Männern, steigt die Amerikanerin wieder als Kronfavoritin in den Winter. Zumal Shiffrin letzte Saison die zweitschlechteste Abfahrtssaison ihrer Karriere einzog, keine einzige kleine Kugel gewann und trotzdem die Grosse holte.
Die grösste Konkurrenz wird auch dieses Jahr von Petra Vlhova kommen. Die Slowakin war letztes Jahr die konstanteste Slalomfahrerin bei den Frauen, zog aber im Speed-Bereich gegen Shiffrin deutlich den Kürzeren. Federica Brignone kann ebenfalls in allen vier Disziplinen punkten und hat 2020 zuletzt die grosse Kugel geholt.
Auch aus dem Schweizer Lager gibt es Kandidatinnen, die im Kampf um den Gesamtweltcup ein Wörtchen mitreden können. Michelle Gisin war 2021/22 die fünftbeste Fahrerin, obwohl ihr Körper nach dem pfeifferschen Drüsenfieber noch geschwächt war. Die Engelbergerin ist in allen vier Disziplinen Podestfahrerin.
Lara Gut-Behrami will in diesem Winter ebenfalls wieder angreifen. Die Tessinerin kämpfte die ganze letzte Saison mit einer Lungenentzündung und bekam deshalb weniger Luft als üblich. Nun fühlt sich die 31-jährige Super-G-Weltmeisterin und -Olympiasiegerin wieder fit. Wendy Holdener verpasste letztes Jahr aufgrund einer doppelten Handfraktur einen wichtigen Teil der Vorbereitung. Nach einem guten Sommer wird die Schwyzerin diesen Winter wieder voll angreifen.
Nachdem die Schweiz 2019/20 und 2020/21 Österreich im Nationen-Weltcup endlich wieder schlagen konnte, schlug unser östlicher Nachbar vergangenen Winter zurück. Nach einem grossen Kampf über die ganze Saison holte das ÖSV-Team den Titel mit 257 Punkten Vorsprung. Zum Vergleich: In den Jahren zuvor verwies Swiss Ski den Erzrivalen um 1038 respektive 876 Punkte auf den zweiten Platz.
Eines ist klar: Die Schweiz braucht ihre Spitzenfahrerinnen und -Fahrer bei bester Gesundheit. Letztes Jahr waren es der komplette Ausfall von Mauro Caviezel, sowie die gesundheitlichen Probleme bei Michelle Gisin, Lara Gut-Behrami und Wendy Holdener, die der Schweiz wichtige Punkte kosteten. Das ÖSV-Team braucht seine besten Athleten natürlich auch. Aber auch wenn die Mal nicht nach Wunsch punkten, hat der Schweizer Erzrivale meist immer noch viele Fahrerinnen und Fahrer in den Punkten. Bleiben Odermatt, Feuz, Meillard, Gisin, Suter, Gut-Berahmi und Holdener gesund, stehen die Schweizer Chancen sehr gut.
Aus dem Schweizer Lager sind Jasmina Suter und Justin Murisier die ersten Verletzungsopfer des Winters. Suter verpasst mit einem Kreuzbandriss die gesamte Saison. Murisier hofft nach einer Rückenoperation auf eine baldige Rückkehr.
Die Slowenin Andreja Slokar wird ebenfalls kein Rennen bestreiten. Sie fällt mit einem Kreuzbandriss genauso aus wie die Österreicherin Katharina Gallhuber mit der gleichen Diagnose. Noch unklar ist der Status der Tschechin Ester Ledecka. Die Tschechin soll sich im August eine Verletzung am Schlüsselbein zugezogen haben. Trotzdem wird erwartet, dass sie rechtzeitig für die neue Saison bereit ist. Die österreichische Riesenslalom-Hoffnung Stefan Brennsteiner dürfte den Saisonauftakt in Sölden verpassen, sollte danach aber wieder einsatzfähig sein.
Der Internationale Skiverband (FIS) rechnet diesen Winter mit kurzfristigen Absagen und Verlegungen von Rennen aufgrund der drohenden Energiekrise. Generalsekretär Michel Vion sagt: «Wir wissen um die Problematik in Bezug auf Schneeproduktion und Flutlichtveranstaltungen. Es ist nicht einfach, wenn Menschen Wasser und Strom sparen müssten, nebenan aber Wettbewerbe vorbereitet und durchgeführt werden.»
Die FIS prüft deshalb, wie man den Energieverbrauch insbesondere bei der Beleuchtung reduzieren könne. Etwa indem man bei Tagesrennen auch bei schlechterem Licht die Scheinwerfer nicht einschalte oder gegebenenfalls mit einer Reduzierung der Wattzahl.
Das Coronavirus soll in diesem Skiwinter nach der Vorstellung der FIS keine prägende Rolle mehr spielen. Zum Saisonauftakt in Sölden gibt es keine Bubble und keine obligatorischen Tests für die Athleten und Betreuer.