Es wäre ja schade, den ganzen «Chlepfmoscht» zu verspritzen: Gisin gönnt sich einen Schluck. Bild: keystone
Im Nachtslalom von Semmering hat Michelle Gisin am Dienstagabend ihren ersten Weltcupsieg gefeiert. Die Olympiasiegerin 2018 in der Kombination beendete mit ihrem Sieg zugleich eine lange Schweizer Durststrecke.
Steht für den ersten Weltcupsieg der Engelbergerin. 144 Rennen Anlauf benötigte Gisin, im 145. Versuch klappte es. In Semmering siegte sie elf Hundertstel vor der Österreicherin Katharina Liensberger und Mikaela Shiffrin aus den USA.
«Es zeigt sich, dass es sich lohnt, durchzuhalten», stellte Gisin fest. Sie sagte dies auch mit Blick auf die mehreren Teamkolleginnen, die derzeit wegen eines Kreuzbandrisses ausfallen – und sie spannte gleich den ganz grossen Bogen: «Auf einmal kann alles aufgehen. Das kann uns allen viel Mut geben fürs neue Jahr nach diesem verkorksten 2020.»
Diesen Rang belegt Michelle Gisin sowohl im Gesamt- wie im Slalomweltcup. In beiden Rennen um die grosse und um die kleine Kristallkugel führt die Slowakin Petra Vlhova. 88 Punkte Vorsprung hat sie im Gesamtweltcup, 25 Zähler beträgt ihre Marge in der Disziplinenwertung. Gisin ist als momentan Vierte auch im Riesenslalom top.
Vor Jahresfrist noch ohne Schutzmasken: Gisin (rechts) mit den Slalom-Königinnen Vlhova (links) und Shiffrin. Bild: EPA
Am Zauberberg in Semmering startete Michelle Gisin als 19-Jährige erstmals im Weltcup – auf den Tag genau acht Jahre vor ihrem ersten Sieg. Damals schaffte sie es auf Anhieb in den 2. Lauf, schied als Halbzeit-17. dann aus.
Der erste Auftritt im Weltcup: 2012 in Semmering. Bild: EPA
«Ich war damals so nervös, dass ich kaum wusste, wo vorne und hinten ist», blickte sie im SRF zurück. «Wenn ich daran denke, was sich in den vergangenen acht Jahren alles ereignet hat … es ist absolut verrückt und schön, dass ich es nun geniessen darf.»
Da war sie noch «nur» die kleine Schwester: Michelle Gisin mit Eltern und Bruder Marc beim Empfang von Dominique Gisin, der Abfahrts-Olympiasiegerin 2014. Bild: KEYSTONE
So oft stand Wendy Holdener schon auf einem Slalom-Podest im Weltcup – 13 Mal als Zweite, 11 Mal als Dritte. «Heute ist es nicht Wendy, heute bin ich es», sagte Gisin, sich beinahe ein wenig entschuldigend, «aber sie hat alles, was es braucht, um auch einmal zuoberst stehen zu können.»
Holdener lobte ihre Teamkollegin: «Es ist unglaublich, was Michelle heute gezeigt hat, Hut ab. Sie ist sackstark gefahren», so die Schwyzerin. «Ich sagte ihr vorhin: ‹Hey, ich versuche es schon lange und bei dir sieht das so einfach aus!› Ich freue mich sehr für sie.»
So viele Slaloms in Folge wurden entweder von Mikaela Shiffrin oder Petra Vlhova gewonnen. Nun ist diese eindrückliche Serie des Erfolgsduos beendet. Fast vier Jahre nach Frida Hansdotters Erfolg im Januar 2017 stand wieder einmal eine andere Fahrerin zuoberst auf dem Podest.
Siegerin im Konfettiregen: Die Schwedin Frida Hansdotter am 10. Januar 2017 in Flachau. Bild: EPA
Die Schweiz ist nicht ganz hundert – wenn es nach Slalomsiegen geht. Denn Gisins Erfolg war Sieg Nummer 99 für Swiss Ski in einem Weltcupslalom, beide Geschlechter zusammengezählt. Damit ist das Rennen um den Jubiläumssieg lanciert: In Zagreb steht am 3. Januar ein Frauen-Slalom auf dem Programm, am 6. Januar stehen dort die Herren mit den Schweizer Favoriten Daniel Yule und Ramon Zenhäusern im Einsatz.
Gemeinsam Team-Olympiasieger, Weltcupsieger im Slalom: Daniel Yule und Ramon Zenhäusern. Bild: KEYSTONE
So viele Rennen mussten die Schweizer Frauen auf einen Weltcupsieg im Slalom warten. Beinahe 19 Jahre lang war Marlies Oester die letzte Siegerin, die Adelbodnerin gewann im Januar 2002 in Berchtesgaden.
Zeitgleiche Siegerinnen: Marlies Oester (links) und die Amerikanerin Kristina Koznick am 20. Januar 2002. Bild: EPA DPA
Michelle Gisin ist froh, dass diese lange Durststrecke endlich beendet ist: «Das Wichtigste ist, dass Wendy und ich nicht mehr immer danach gefragt werden. Ich glaube, mein Sieg kann eine Befreiung für das ganze Team sein, das seit vielen Jahren perfekt arbeitet und alles daran setzt, dass das möglich ist.»
Am 4. Januar 1968 war Edy Bruggmann im Riesenslalom im deutschen Bad Hindelang der erste Schweizer Sieger im Weltcup. Michelle Gisin steuerte den Schweizer Erfolg Nummer 593 bei. Es war bereits der fünfte Sieg für Swiss-Ski in diesem Winter. Halten Beat Feuz, Corinne Suter, Marco Odermatt und Co. ihr Niveau, darf die Schweiz noch in dieser Saison den Jubiläumssieg Nummer 600 feiern.
Edy Bruggmann in Aktion: 1972 gewann er in Sapporo Olympia-Silber im Riesenslalom. Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV
Die Österreicher liegen mit 908 Weltcupsiegen weit, weit vor der Schweiz. Schauen wir deshalb lieber auf die Gegenwart. Die zeigt uns, dass der Schweizer Vorsprung in der Nationenwertung mittlerweile schon 648 Punkte beträgt. Sowohl die Frauen wie die Männer grüssen von Platz 1 – und der Ski-Erzrivale wartet nach wie vor auf einen Saisonsieg.