Rund um die Piste in Morgins – einem kleinen Dorf im Kanton Wallis – versammeln sich doch einige Leute mit Kuhglocken und Schweizer Fahnen und feuern die Athletinnen und Athleten an. Dass es sich aber um eine Weltmeisterschaft handelt, ist nicht wirklich erkennbar. Eine Tribüne im Ziel wie etwa zuletzt an der Ski-alpin-WM in Saalbach-Hinterglemm, auf welcher rund 15'000 Fans Platz nehmen konnten, gibt es hier nicht. Wer beim Spektakel zusehen möchte, muss selber neben der steilen Piste den Aufstieg wagen. Da fehlt einem der Atem erstmals.
Auch im Dorf ist von Wettkampf-Euphorie nur wenig zu spüren. Plakate hängen kaum. Zwar gibt es eine kleine Bühne, auf welcher die Rangverkündigungen stattfinden, mit Raclette- und Getränkestand, aber gross ist das Ganze nicht. Und das bei einer Sportart, welche nächstes Jahr bei den Olympischen Winterspielen in Cortina d'Ampezzo im Programm steht.
Mit den Tourenski durch den Tiefschnee, auf die höchsten Punkte der Berge und anschliessend eine Abfahrt – am besten weit weg, abseits der Piste – ohne andere nervige Skifahrerinnen und Skifahrer auf der Strecke. So stellen sich die meisten das Skitouren vor. Im Wettkampfsport (auch Ski Mountaineering genannt) in der Sprint-Disziplin läuft das Ganze aber etwas anders ab. Sechs Athletinnen beziehungsweise Athleten starten gleichzeitig auf dem präparierten Kurs. Einen Teil der Strecke absolvieren sie mit den Skiern an den Füssen, einen anderen Abschnitt ohne. An der WM, gut ein Jahr vor Olympia, zeigen die Schweizerinnen und Schweizer, dass sie zu den Medaillen-Kandidatinnen und -Kandidaten gehören.
Olympisch werden drei Events: der Sprint der Männer und der Frauen und die Mixed-Staffel. Pro Land dürfen zwei Frauen und zwei Männer gemeldet werden. «Wir haben in der Schweiz sehr viele gute Athletinnen und Athleten», sagt Esteban Hofer, Trainer des Eliteteams von Swiss Ski Mountaineering. Mit dem Weltmeistertitel erhält Marianne Fatton bei den Frauen einen Quotenplatz für die Schweiz. Heisst aber nicht, dass sie in Cortina am Start sein wird. Das entscheidet das Trainerteam. An der WM gewinnt bei den Männern Jon Kistler die Bronzemedaille. Ebenfalls in der Mixed-Staffel wird das Schweizer Team, bestehend aus Marianne Fatton und Robin Bussard, Dritter. Die Schweiz hat bis Ende Dezember weitere Möglichkeiten, sich Quotenplätze zu holen.
«Da müsste aber einiges passieren, dass die Schweiz, nebst Frankreich und Spanien, als eine der Topnationen, keinen Platz erhält», meint Arno Lietha, Schweizer Profi-Skitourer. Vor zehn Jahren begann der Prättigauer, nachdem er zuerst Skirennen gefahren war, mit dem Skitouren. Bereits in seiner ersten Saison wurde er Weltmeister in der U-18-Kategorie. «Ein Sport in der Turnhalle wäre nichts für mich», sagt Lietha mit einem Schmunzeln im Gesicht. «Spezifisch im Sprint gefällt mir die Vielfalt, die man haben muss. Heisst, du brauchst Ausdauer, Technik, musst die Abfahrt fahren können», erklärt der 26-Jährige. Lietha führt die Sprint-Disziplinen-Wertung an und empfiehlt sich damit als Olympiateilnehmer für die Schweiz. An der WM ging er als Vierter aber leer aus.
Der interne Konkurrenzkampf bringt Lietha nicht aus dem Konzept. «Es ist schon speziell, aber am Ende läuft jeder für sich selbst. Man sieht, dass bei den Ländern, die intern den grössten Kampf haben, auch am meisten davon profitieren. Der interne Druck fördert die Leistungen der Einzelnen. Wenn man allein in der Nation ist, hast du vielleicht weniger Motivation, um noch mehr zu machen.»
Apropos Konkurrenzkampf: Sechs Athleten bestreiten den Kurs gleichzeitig. Werden da manchmal die Ellenbogen ausgefahren? «In die Quere kommen wir uns eigentlich nicht. Wirklich harte Zweikämpfe hat es noch nie gegeben. Aber es gibt schon Situationen, in welchen man für sich kämpfen muss und sich etwas breiter machen muss», sagt Lietha.
Gerade die Sprint-Athleten müssen komplette Sportler sein: «Nebst der Ausdauer braucht es koordinative Fähigkeiten für die Wechsel. Für die Abfahrt musst du auch gut Ski fahren können», sagt Esteban Hofer. «Und mental fit sein», wirft Lietha ein. «Die Gedanken musst du so setzen, dass du weisst: ‹Ich kann die anderen schlagen.›» Anders als bei den meisten Sportarten fährt die Konkurrenz wortwörtlich neben dir. «Und in diesen kurzen drei Minuten musst du von Anfang bis Schluss liefern. Machst du einen Fehler, bist du weg vom Fenster. Da weisst du am Start: Jetzt muss ich mir wehtun.»
Weder auf dem Schnee noch daneben ist das Leben als Profi-Skitourer leicht. Allein mit dem Preisgeld würde Lietha nicht über die Runden kommen. Für den Sieger an der Weltmeisterschaft gibt es um die 2000 Euro. Zum Vergleich: An der Ski-alpin-WM in Saalbach-Hinterglemm erhielten die Weltmeisterinnen und Weltmeister 57'600 Franken. 80 Prozent seines Einkommens kann Arno Lietha übers Skitouren einholen. Nebst seinen Sponsoren wird er von der Sporthilfe und der Schweizer Armee unterstützt. «Ohne diese Unterstützung müsste ich sicher 50 bis 60 Prozent arbeiten», erklärt Lietha. Im Sommer hilft er bei seinen Eltern auf dem Bauernhof.
Zwar wächst das Interesse am Ski Mountaineering, insbesondere dadurch, dass die Sportart olympisch wird. Dennoch sind die Athletinnen und Athleten die Aufmerksamkeit der Menschen und der Medienschaffenden nicht gewohnt. «Für uns wäre es fast störender, wenn jetzt ein riesiger Rummel um uns wäre», sagt Lietha. Dennoch: «Wir müssen versuchen, es als Chance zu sehen. Eine gute Show in Cortina zeigen und hoffen, dass wir im Jahr 2030 weiterhin dabei sind. Vielleicht sogar noch mit mehr Disziplinen.»
Der Kampf Mann gegen Mann sei das Attraktive für die Zuschauerinnen und Zuschauer. So Lietha: «Bis zum Schluss weisst du nicht, wer gewinnt. Es heisst nicht, dass der Topfavorit gewinnt. Bis zur Überquerung der Zielgeraden kann alles passieren.» Vom Ablauf her erinnert die Disziplin an Skicross. Doch auch dort: Trotz des speziellen Rennens, trotz der guten Schweizer, ist die Sportart längst nicht so bekannt, wie man es vor einigen Jahren hätte denken oder hoffen können. Wird sich Ski Mountaineering durchsetzen können? (aargauerzeitung.ch)