Wäre der Plan von Granit Xhakas Familie aufgegangen, würde er heute für Schweden spielen
Freitagabend, WM-Qualifikation, Schweiz gegen Schweden. Natürlich wird Granit Xhaka wie immer das Nati-Dress tragen. Was hierzulande aber kaum jemand weiss: Wenn in der Familie Xhaka alles nach Plan gelaufen wäre, dann würde Granit jetzt für Schweden spielen – nicht für die Schweiz.
Wie ist das möglich? Xhakas Eltern, Eli und Ragip, stammen aus dem Kosovo. Als die Spannungen zwischen Serben und Albanern in den 1980er-Jahren zunehmen, beteiligt sich auch der Gärtner-Lehrling Ragip Xhaka an Demonstrationen. Bei einer dieser Demonstrationen wird Ragip Xhaka verhaftet. Er landet ohne Rechtsverfahren im Gefängnis. Amnesty International erwirkt seine Freilassung. Und hilft bei der Flucht aus dem Kosovo.
Was dann geschieht, erzählt Granit Xhaka erstmals 2024, als sich der damalige Leverkusener für das offizielle Magazin der Bundesliga porträtieren lässt. «Meine Eltern wollten aus dem Kosovo nach Schweden. In Basel machten sie Halt bei kosovarischen Bekannten meiner Grossmutter.» Aus dem Zwischenstopp wird eine Woche. Noch eine Woche. Noch ein Monat. Noch ein Jahr. Und schon ist Basel die neue Heimat von Eli und Ragip Xhaka. 1991 erblickt Taulant das Licht der Welt. 1992 Granit.
Im Rückblick sagt Granit Xhaka: «Wenn meine Eltern nicht aus dem Kosovo geflohen wären, wäre ich niemals Fussballprofi geworden – keine Chance.» Im Februar 1998 bricht der Krieg zwischen Serben und Albanern aus. Nur fünf Jahre später, im Januar 2003 wechselt Xhaka vom FC Concordia Basel in den Nachwuchs des FC Basel, wo seine herausragende Karriere beginnt.
Der WM-Achtelfinal 2018 gegen Schweden als grosse Enttäuschung
Interessant: Hätten Eli und Ragip Xhaka tatsächlich den Weg nach Schweden gefunden, wären sie in ein Land gekommen, das damals im Fussball zur erweiterten Weltspitze gehörte. Die Schweden erreichten sowohl an der EM 1992, wie auch an der WM 1994 den Halbfinal. Derweil war die WM 1994 für die Schweiz das erste grosse Turnier seit 28 Jahren.
Spätestens in den letzten 15 Jahren entwickelten sich die beiden Nationen dann in unterschiedliche Richtungen. Während die Schweiz an sämtlichen vier letzten Weltmeisterschaften dabei war, nahm Schweden nur einmal Teil: 2018.
Jedoch kommt es 2018 in Russland im Achtelfinal zum Direktduell, welches zu einer von Xhakas grössten Enttäuschungen im Nati-Dress wird. Schweden besiegt die Schweiz im WM-Achtelfinal 1:0. Für die Nati ist es das Ende einer Kampagne, die vor allem wegen des Doppeladlers in Erinnerung bleibt. Auslöser ist Granit Xhaka, der den Adler nach seinem Tor gegen Serbien erstmals zeigt. Xherdan Shaqiri und Stephan Lichtsteiner ziehen nach.
Es entsteht riesiger Wirbel. Und es scheint, als würden sich die Schweizer von diesen Turbulenzen nicht erholen – auch darum der blutleere Auftritt gegen Schweden. Nun bietet die WM-Qualifikation Gelegenheit zur Revanche.
Das Debüt 2011 mit 18 Jahren im Wembley
Dass Xhaka dereinst eine tragende Rolle im Schweizer Dress spielen kann, wird erstmals an der U17-WM 2009 in Nigeria sichtbar. Xhaka ist Teil des ersten Schweizer Fussballteams, das Weltmeister wird. Vor dem Final gegen den Gastgeber bricht in Abuja der Verkehr zusammen. Der Schweizer Teambus steckt im Stau, es ist der Moment, als Trainer Dany Ryser ein bisschen Angst bekommt, wie seine Spieler diese Situation verkraften. Da kommt Xhaka im Bus nach vorne zu Ryser und sagt: «Keine Sorge, Trainer, die können ja nicht ohne uns anfangen!» Die Schweiz gewinnt 1:0.
Sein A-Nati-Debüt folgt dann gut eineinhalb Jahre später, im Juni 2011. Xhaka ist damals 18-jährig. Die Schweiz steht vor einem Umbruch. Während der missglückten Qualifikation für die EM 2012 – bis heute verpasst die Nati zum letzten Mal ein grosses Turnier! – treten Alex Frei und Marco Streller zurück. Die Jungen rücken nach. Im Wembley trifft die Schweiz auf England. Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld fragt Xhaka am Tag vor dem Spiel: «Bist du bereit, in diesem Stadion vor 80'000 Menschen aufzulaufen?» Xhaka entgegnet: «Kein Problem, dafür bin ich ja da.»
Es ist das erste von mittlerweile 139 Nati-Spielen. Keiner hat mehr. Seit Xhaka fester Bestandteil der Nati ist, hat die Schweiz nicht nur sämtliche grosse Turniere erreicht. Sondern jeweils auch die Vorrunde überstanden. Es ist eine bemerkenswerte Bilanz.
Tritt Xhaka nach der WM 2026 zurück?
Es gibt viele Stimmen, die schon jetzt sagen: Granit Xhaka ist der beste Schweizer Fussballer der Geschichte. Xhaka ist Ende September 33 geworden. Die WM könnte sein siebtes grosses Turnier werden. Darum lautet die Frage jetzt: Tritt er im Sommer 2026 aus dem Nationalteam zurück? Zwei Jahre nach Xherdan Shaqiri. Aus körperlicher Sicht wäre es Xhaka zuzutrauen, dass er über den Sommer 2026 hinaus weitermacht. Mit seinem jetzigen Klub Sunderland wird er vermutlich auch künftig keine Europacup-Spiele bestreiten. An Motivation fehlt es bei ihm sowieso nie. Und wie der Kroate Luka Modric gerade beweist, ist es auch mit 40 Jahren noch möglich, den Strategen zu geben.
Vorerst aber gilt es, die Qualifikation für die WM zu schaffen. Nächster Schritt: in Schweden. Mit Xhaka im Schweizer Dress. (aargauerzeitung.ch)