Und dann musste einfach alles raus. Die Anspannung, der Druck, die Wut über sich selbst. Die Enttäuschung, dass sie gerade fünf Matchbälle vergeben hatte. Vielleicht auch ein wenig Verzweiflung.
Belinda Bencic blickte konsterniert in die Zuschauerränge, wo ihr Vater Ivan, ihr Mann Martin Hromkovic und Trainer Iain Hughes sassen. «Halt die Klappe», blaffte Bencic den Briten unzimperlich an, als dieser ihr mit Anweisungen dabei helfen wollte, in den Viertelfinal von Wimbledon vorzustossen.
Nicht zum ersten Mal flogen zwischen diesen beiden in Wimbledon die Fetzen.
Wobei: Iain Hughes, ein 52-Jähriger mit sehr grosser Erfahrung als Trainer auf der Frauentour, liess den Ausbruch stoisch über sich ergehen und verzog keine Miene. In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat er ein halbes Dutzend Spielerinnen betreut, zwischen Herbst 2017 und Sommer 2018 auch Bencic.
Auch wenn die Trennung damals nicht in Minne erfolgte, die gemeinsame Zeit war erfolgreich. Nach einer Operation am linken Handgelenk war sie bis auf Rang 318 des Rankings zurückgefallen. Als sie sich neun Monate später von Hughes trennte, gehörte sie bereits wieder zu den 50 Besten der Welt.
Die Erfahrung von damals ist mit ein Grund, weshalb Bencic Hughes – er betreute zuvor Elina Switolina, Xinyu Wang, Anastasia Potapowa, Katerina Siniakowa und Magda Linette – Ende des vergangenen Jahres zurückholte. Wieder ist es eine Erfolgsgeschichte.
Hughes kennt Bencic, vor allem aber seine Rolle. Sie will sich nicht mehr neu erfinden. Bencic sagte vor dem Turnier: «Ich bin eine komplette, ausgeglichene Spielerin.» Es gehe darum, auf Stärken zu bauen und Schwächen zu kompensieren. Hughes akzeptiert das.
Das hat Bencic weit gebracht. Sie ist Olympiasiegerin, war die Nummer 4 der Welt, erreichte 2019 den Halbfinal der US Open und steht nun in Wimbledon erstmals im Viertelfinal.
Doch darauf, dass in Erfüllung geht, wovon sie träumt, seit ihr Vater ihr als Zweijährige auf dem Garagen- und später auf dem Tennisplatz Bälle zuwarf, wartet Bencic noch: einen Grand-Slam-Titel, und am liebsten in Wimbledon, bei ihrem Lieblingsturnier.
Dort bestreitet Bencic bereits ihr 35. Grand-Slam-Turnier. Ein Halbfinal, drei Viertelfinals stehen zu Buche. Für eine Spielerin ihres Kalibers ist das ein bescheidener Palmarès. Sinnbildlich dafür: In 15 Anläufen gewann Bencic auf dieser Stufe nur 6 Mal gegen eine Spielerin aus den Top Ten, letztmals vor vier Jahren. In Wimbledon trifft sie auf die 18-jährige Russin Mirra Andreewa, die Nummer 7 der Welt.
Trotz alledem glaubt Bencic unbeirrt an ihren Weg. Ist es Sturheit? Ist es der konsequente Glaube an sich selbst? Fakt ist: Nur einmal liess sie sich auf ein Experiment ein. 2023 war das, als sie mit dem Russen Dimitri Tursunow einen Trainer verpflichtete, der von ihr verlangte, alles infrage zu stellen.
«Man muss gnadenlos ehrlich zu sich selbst sein, in den Spiegel schauen und sich sagen: Okay, ich bin nicht gut genug», sagte der Russe damals. Um sich zu verbessern, müsse Bencic bereit sein, zu leiden. Und ihr Spiel nicht nur etwas weiterentwickeln, sondern es fundamental umbauen.
Nach nur acht Monaten brach Bencic das Experiment Anfang April 2023 und trotz Erfolgen bereits wieder ab. Über die Gründe, die zur Trennung führten, sprach sie nie. «Ich will nicht zu viele private Details preisgeben. Es ist auch für mich eine grosse Enttäuschung, die ich verdauen musste», sagte Bencic.
Sie habe sehr grosse Hoffnungen in Tursunow gesetzt. «Doch auf einmal tauchten Probleme auf, die ich nicht hatte kommen sehen. Es waren Dinge, die schwer zu ignorieren sind», sagte Bencic damals. Differenzen habe es bei sportlichen Fragen gegeben, aber auch im Zwischenmenschlichen. Am Ende sei die Trennung alternativlos gewesen.
Seither vertraut Bencic auf das, was ihr Erfolg gebracht hat – und hofft, damit zum Grand-Slam-Titel zu kommen. Nur in etwas, das dürfte auch sie so sehen, hatte Tursunow wohl recht. Als er sagte, Bencic müsse aufhören, sich selbst zu bekämpfen und damit anfangen, ihre eigene Freundin zu sein.
Notfalls, indem sie ihre Emotionen nicht an sich, sondern eben an ihrem Trainer auslässt. Und damit an Iain Hughes. (riz/aargauerzeitung.ch)
Es könnte aber schon sein, dass sie mental zu wenig stabil ist. Das war interessant zu sehen in den Anfangsjahren von Federer. Er wurde erst zum Weltklassespieler, nachdem er seine negativen Emotionen in den Griff bekommen hatte.