Die Schmerzen am rechten Handgelenk lassen derzeit nicht zu, dass sie so spielt, wie sie spielen will: kreativ, überraschend, unkonventionell. Man könnte meinen, es gehe dabei nur um Nebensächliches, um Nuancen in einem Spiel. Doch im Fall von Timea Bacsinszky geht es um mehr als das.
Sie versteht ihr Spiel als Teil ihrer Identität, als Spiegel ihrer Persönlichkeit auch. Kann sie nicht so Tennis spielen, wie sie sich das vorstellt, ist sie nicht mehr sich selbst. Für jemanden, der seine Kindheit einmal als Hölle bezeichnet und mit psychologischer Hilfe aufgearbeitet hat, für jemanden, der sich das Recht auf die eigene Identität erst erkämpft hat wie sie, muss dieser Kontrollverlust schwer zu ertragen sein.
Nun sitzt sie in einer schmucklosen Mehrzweckhalle an der Viale Castagnola in Lugano, an der Decke hängen zwar Kronleuchter, aber das Licht ist schummrig, die Szenerie trist. An der rechten Hand trägt die Romande eine Manschette. Die Nachrichten sind schlecht. Beim Heimturnier in Lugano kann Timea Bacsinszky nicht spielen.
«Der Bauch sagt ja, doch der Kopf sagt nein», erklärt sie. Die Diagnose: Sehnenscheidenentzündung, dazu zwei Zysten, die Probleme bereiten. Es sind die Folgen von Überbelastung, vielleicht auch einer Fehlbelastung. Und nach ihrer Operation im vergangenen Jahr sucht die 28-Jährige noch das Vertrauen in ihren Körper. Der Wegist länger und steiniger, als sie gehofft hatte.
Sie hätte spielen können, sagt sie. Das Adrenalin hätte geholfen, die Schmerzen auszublenden – wie in Indian Wells, oder wie in Miami, wo sie immerhin einen Satz gewinnen konnte. Doch sie stellte sich die Frage: Zu welchem Preis? «Dann bekomme ich vielleicht ein Problem mit der Schulter,weil ich etwas kompensiere.
«Ich habe Angst, dass ich in eine Spirale gerate und dort nicht mehr rausfinde», sagt Bacsinszky. Schmerzmittel würden helfen, doch dazu ist sie nicht mehr bereit. «Ich habe in meinem Leben schon zu oft Schmerzmittel genommen. Jetzt will ich das nicht mehr.»
Sie sei nicht mehr zwanzig, müsse intelligente Entscheidungen treffen. «Denn der Teil meiner Karriere, der noch vor mir liegt, ist kürzer als derjenige, der hinter mir liegt.» Also wählt sie die Ungewissheit. Die Ungewissheit, wann sie wieder auf den Platz zurückkehren kann.
Timea Bacsinszkys Verletzung ist komplex, aber nicht verheerend, das ist das Perfide an der Situation. Ein Muskel war gerissen, Bänder am rechten Handgelenk hatten sich vom Knochen gelöst, Sehnen waren beschädigt. Der Mailänder Chirurg Marco Lanzetta rettete Bacsinszky mit seinem Eingriff wohl die Karriere.
Er sagt, es sei erstaunlich, dass seine Patientin mit diesen Schäden überhaupt habe Tennis spielen können. Er habe so etwas noch nie gesehen. Doch gegen die Überbelastung hilft nur eines: Geduld. «Das ist schwierig. Ich bin gerne zu Hause, aber ich wäre lieber im Ausland und würde meinen Beruf ausüben. Denn ich liebe dieses Spiel.» Für jemanden wie Timea Bacsinszky muss Nichtstun und Warten eine Tortur sein.
Drei Spiele hat sie seit Juli bestritten und alle verloren. Noch ist sie geduldig. Noch sagt sie, Comebacks seien immer schwierig. Noch sieht sie darin eine Lektion fürs Leben. Eine, die sie stärker machen werde.
Viel schlimmer scheint für sie die Vorstellung, auf dem Platz zu stehen und nicht sich selbst zu sein. Die Schmerzen behinderten sie primär beim Slice auf der Vorhand und beim Volley. Rhythmuswechsel, Variation beim Drall – es ist die Essenz ihres Spiels. «Fällt das weg, bin ich eine normale Spielerin. Und das möchte ich nicht sein.»
Würde sie in Konformismus verfallen, sie sähe es als Abkommen vom Weg, den sie nicht für ihren Beruf, sondern auch für ihr Leben gewählt hat. Nach Jahren der Fremdbestimmung, gemessen an Martina Hingis, ist sie in ihrer Mitte angekommen.
Mit ein Grund für diese Balance ist Freund Andreas. Im Dezember hat er um ihre Hand angehalten «Ja, für immer! Ich bin so glücklich und stolz, seit fast fünf Jahren ein Teil deines Lebens zu sein. Ich kann die Zukunft mit dir kaum erwarten», schrieb sie damals.
Es ist nicht so, dass sie das Glück in der Liebe nicht schätzt, doch: Es ist nicht genug. Timea Bacsinszky, 28-jährig, einst die Nummer 9 der Welt, zweifache Halbfinalistin bei den French Open und vierfache Turniersiegerin, wünscht sich eines: endlich auch wieder Glück im Spiel.