Arina Sabalenka schweigt, weil sie die Fragen nicht mehr ertragen kann: Wie sie zum Krieg in der Ukraine steht, bei dem ihre Heimat Belarus den Steigbügelhalter für Russland spielt. Oder weshalb sie einst den «letzten Diktator Europas» unterstützt hat, Präsident Alexander Lukaschenko.
Elinas Switolina sagt: «Ich empfinde Wut und Trauer, Dunkelheit und Schmerz im Herzen. Es ist eine Schwere, der ich mich nicht entziehen kann, der sich niemand in der Ukraine entziehen kann. Aber ich bin auch dankbar, dass ich eine Stimme habe, die ich erheben kann.» Eine Flagge, für die sie Spiele, für ein ganzes Land, die Ukraine. «Ukrainer kämpfen für ihre Werte, für die Freiheit. Und ich kämpfe hier an meiner Frontlinie.»
Elina Switolina erlebt in Paris Tage zwischen Himmel und Hölle. Derzeit bestreitet die 28-Jährige ihr erstes Grand-Slam-Turnier seit der Geburt ihrer Tochter Skai im Oktober 2022. Und weil bei den French Open sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen keine Einheimischen mehr dabei sind, ist sie auch so etwas wie «die letzte Französin». Denn verheiratet ist Switolina mit dem Franzosen Gaël Monfils (36). Das ist der Himmel.
Ihre Heimatstadt Odessa am Schwarzen Meer trotzt russischen Vorstössen, ist aber immer wieder Ziel von Bombardements, weil sie als strategisch wichtig gilt. «Meine Freunde, meine Familie - sie sind an den Fliegeralarm gewöhnt, an die schlaflosen Nächte, an Stunden im Luftschutzbunker. Es ist schrecklich, aber dieser Horror ist Teil ihres Lebens.» Das ist die Hölle.
Nun treffen Elina Switolina und Arina Sabalenka im Viertelfinal der French Open aufeinander. Für Switolina ist es die dritte Partie mit Brisanz, nach ihren Siegen gegen die Russinnen Anna Blinkowa und Daria Kassatkina.
Elina Switolina war einst die Nummer 3 der Welt, gewann 17 Turniere, darunter 2018 die WTA Finals. 2021 holte sie an den Olympischen Spielen in Tokio die Bronzemedaille. Zwei Mal stand sie im Halbfinal eines Grand-Slam-Turniers, und nun zum vierten Mal im Viertelfinal der French Open.
Wenn Switolina und Sabalenka am Dienstagnachmittag den Court Philippe Chatrier betreten, werden die Sympathien einseitig verteilt sein. Hier die Belarussin, die sich der Öffentlichkeit entzieht, von der es Bilder gibt, wie sie Diktator Lukaschenko die Hand schüttelt. Dort die Ukrainerin, die ihr Herz auf der Zunge trägt und für ein ganzes Land und dessen Werte spielt, dazu verheiratet ist mit einem französischen Publikumsliebling.
«Ich könnte nicht dankbarer sein für all die Unterstützung - es ist etwas sehr Besonderes. Ich kann mir jetzt vorstellen, wie sich Gaël fühlt, wenn er auf dem Platz steht», sagte Svitolina nach ihrem Erfolg gegen Kasatkina.
Auch diesmal verzichtete Switolina, wie bei allen anderen russischen Gegnerinnen, auf den Handschlag am Netz, wie sie es auch gegen Arina Sabalenka tun wird. Zuvor hatte die Ukrainerin Kasatkina aber für ihren «Mut» gedankt, sich klar gegen den Krieg in der Ukraine zu positionieren.
Dass sie nach der Geburt ihres ersten Kindes zurückkehren will, war für Elina Switolina immer klar. Einerseits, weil sie noch Ziele habe, die sie erreichen wolle. Andererseits, weil sie damit auf die Situation in der Ukraine aufmerksam machen kann. Sie sagt: «Der Krieg ist immer noch da. Meine Siege bringen den Menschen Momente der Freude. Kindern, die ihre Eltern verlieren. Frauen, die ihre Männer verloren haben, weil sie für die Ukraine kämpfen.» Wie Switolina, die in Paris den Krieg mit jedem Sieg wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen in Westeuropa rückt.
Erst im April kehrte Switolina in den Tenniszirkus zurück. Zuletzt gewann sie in Strassburg ein WTA-250-Turniere, ihr erstes seit August 2021, was sie in der Weltrangliste einen Sprung auf Position 192 machen liess und die Hoffnung nährt, wieder an die absolute Weltspitze zu gelangen.
Denn je besser sie spielt, je öfter sie im Rampenlicht steht, je öfter Elina Switolina an «meiner Frontlinie kämpft» und siegt, desto stärker wird ihre Botschaft von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen. (aargauerzeitung.ch)