Als John Isner und Nicolas Mahut am 22. Juni 2010 kurz nach 18 Uhr Ortszeit den Court Nummer 18 bei den All England Championships im Südwesten Londons betraten, konnte noch niemand ahnen, dass die Begegnung zwischen dem als Nummer 23 gesetzten Amerikaner und dem französischen Qualifikanten in einem Drama mit Hollywood-Charakter enden würde.
Erst zwei Tage später stand der Sieger fest. 11 Stunden und 5 Minuten duellierten sich die beiden auf dem heiligen Rasen, ehe sich Isner mit 6:4, 3:6, 6:7 (7:9), 7:6 (7:3), 70:68 durchsetzte. Alleine der fünfte Satz wäre mit einer Spielzeit von 8:11 Stunden als längster Tennis-Match aller Zeiten durchgegangen. Das zuvor längste Einzel in der Open-Ära zwischen Fabrice Santoro und Arnaud Clément am French Open 2004 war nach gut sechseinhalb Stunden entschieden.
Für Tennis-Ästheten mag das Duell Isner gegen Mahut kein besonderer Leckerbissen gewesen sein. Für die Geschichtsbücher war die epische Schlacht, die zweimal wegen einbrechender Dunkelheit unterbrochen werden musste, aber allemal interessant. Im Abnützungskampf fielen zahlreiche Rekorde, einige halten wohl für die Ewigkeit. Auch weil 2019 in Wimbledon das Tiebreak im fünften Satz (bei 12:12) eingeführt wurde.
Isner machte 478 Punkte und schlug 113 Asse, Mahut kam auf 502 Punkte und 103 Asse. Nie zuvor hatte ein Spieler in einem Match mit Assen die 100er-Marke geknackt. Auch die 183 Games, die umgerechnet 18 (!) Sätzen entsprechen, sind eine Bestmarke. Ab dem 2:0 für Mahut im zweiten Durchgang brachten die beiden Spieler 168 Mal hintereinander den Aufschlag durch.
Nicht nur die beiden Protagonisten waren bereits am zweiten Tag mit ihren Kräften am Ende, auch die Technik stiess an ihre Grenzen. Beim Stand von 47:47 versagte die Anzeigetafel ihren Dienst. Selbst Schiedsrichter Mohamed Lahyani bekam bei sommerlichen Temperaturen die Anstrengungen zu spüren. Der Schwede verliess zwischendurch seinen Hochstuhl, um sich auf dem Rasen die Beine zu vertreten. Etwas Erholung gab es erst bei 59:59, als die Partie am späten Mittwochabend erneut unterbrochen wurde.
«Was diese beiden Spieler gezeigt haben, zählt zum Grössten, was es in diesem Sport je gegeben hat. Das war pures Heldentum», versuchte der dreimalige Wimbledon-Champion John McEnroe das Gesehene in Worte zu fassen. Tatsächlich faszinierte der historische Marathonmatch weit über die Tennis-Szene hinaus. Jedenfalls rückte die gleichzeitig stattfindende Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika zumindest für ein paar Stunden in den Hintergrund.
Jeder wollte plötzlich Teil dieses Spektakels sein. Weil das Reglement vorschrieb, dass ein Spiel auf demselben Platz zu Ende gespielt werden muss, wo es begonnen hat, kam eine Verlegung auf den Centre Court jedoch nicht in Frage. Auf dem Court Nummer 18, der nur für wenige hundert Zuschauer Platz bietet, erinnert noch heute eine Tafel an das denkwürdige Spiel.
«Ich bin ein bisschen müde», sagte Isner nach seinem fünften Matchball, den er mit einem Rückhand-Passierball zum 70:68 verwandelt hatte. Danach fiel er überglücklich zu Boden. Dem 2,08 m grossen Aufschlagriesen waren die Anstrengungen besonders anzumerken. Er schleppte sich quälend über den Platz und schlug selbst dann noch Ass um Ass, als er beim Aufschlag nicht mehr richtig aufspringen konnte. «Ich habe mir nur noch gesagt, du musst auf beiden Beinen stehen bleiben. Deinem Gegner geht es nicht besser.»
Die Spieler wurden unmittelbar nach Spielschluss von der Turnierleitung für ihr Stehvermögen geehrt und von den Zuschauern mit einer Standing Ovation gefeiert. Alle waren sich einig: Diese Partie hätte eigentlich keinen Verlierer verdient gehabt. Mahut, der nach dem für ihn bitteren Ende lange unter einem Handtuch verschwand, musste irgendwie mit der Niederlage klar kommen.
Der Franzose hatte sich zuvor schon durch die Mühlen der Qualifikation gequält und beim 3:6, 6:3, 24:22-Sieg gegen den Briten Alex Bogdanovic schon einmal vier Stunden auf dem Platz verbracht. Isners Matchball habe ihn «wie ein Messerstich ins Herz» getroffen, sagte Mahut. Er sei teilweise wie «ein Betrunkener» über den Platz geirrt, «kaum noch bei Besinnung».
Isner war nach dem über elfstündigen Kraftakt derart ausgepumpt, dass er in der nächsten Runde sang- und klanglos ausschied. Der 2,08-m grosse Aufschlagriese schaffte gegen den Niederländer Thiemo de Bakker während der ganzen Partie kein einziges Ass. Nach nur 74 Minuten stand das 0:6, 3:6, 2:6 aus Sicht des Amerikaners fest. Sein Tank sei leer gewesen, gestand Isner danach.
Wie es der Zufall wollte, standen sich Isner und Mahut ein Jahr später in Wimbledon erneut in der ersten Runde gegenüber. Isner behielt wiederum das bessere Ende für sich, benötigte diesmal aber nur drei Sätze und gut zwei Stunden zum Sieg. (dab/sda)