Del-Curto-Knatsch und Mafia-Methoden: Robin Grossmann in der abenteuerlichen Hockey-Welt
Ende September feierte Robin Grossmann ein besonderes Jubiläum. Im Spiel zwischen dem EHC Biel und den SC Rapperswil-Jona Lakers überschritt der Aargauer die magische 1000er-Marke. Es war der 1000. Einsatz des Dintikers in der höchsten Schweizer Eishockey-Liga. Grund genug, mit ihm zusammen auf eine inzwischen fast 20 Jahre dauernde Profi-Karriere zurückzublicken. Im Gespräch mit dem Podcast von aargauersport.ch gibt der 38-Jährige faszinierende Einblicke in die Welt des Eishockeys.
Sie haben kürzlich Ihr tausendstes Spiel in der höchsten Schweizer Eishockey-Liga absolviert. Von aussen klingt das nach einem sehr grossen Meilenstein.
Grossmann: Ja, es ist sicher eine sehr schöne Zahl. Aber ich bin immer noch mitten in der Saison, mitten in der Karriere. Es war mega schön, meine Kinder und meine Familie dabei zu haben – das war sicher etwas Spezielles. Aber Zeit, das wirklich zu verarbeiten, habe ich momentan gar nicht. Wir spielen dreimal pro Woche. Vielleicht kann ich am Ende meiner Karriere zurückblicken und sagen: Das war ein Meilenstein. Jetzt ist es schwierig zu fassen, ehrlich gesagt.
Der 1000er-Klub des Schweizer Eishockeys
Wie hat sich das 1000er-Spiel angefühlt? War das einfach ein Spiel wie jedes andere – oder doch speziell?
Die Teamkollegen haben 77 Franken aufgehängt – meine Rückennummer – für den Sieg. Das macht man so im Eishockey. Ansonsten hat vielleicht die Kamera einmal mehr auf mich gezeigt, aber für mich war’s ein Spiel wie jedes andere. Das Spiel gegen Ajoie, als meine Kinder vor dem Match aufs Eis durften und ich geehrt wurde, hat mich viel mehr berührt. Weil eben meine Kinder dabei waren.
Wird einem in so einem Moment bewusst, dass man schon so lange dabei ist? 20 Jahre auf höchstem Niveau – das ist ja nicht nichts.
Ich glaube, das wird einem vor allem dann bewusst, wenn man plötzlich einen 15-Jährigen im Team hat. Ich habe ausgerechnet: Der ist 22 Jahre jünger als ich – ich könnte sein Vater sein! (lacht) Ich erinnere mich noch, als ich mit 16, 17 bei Kloten in die Garderobe kam, mit dem Gitterhelm. Und da sassen die Routiniers. Jetzt bin ich der Älteste. Es ging extrem schnell. Es ist meine 21. Profisaison – und obwohl ich weiss, dass ich alt bin, fühle ich mich jung und gut.
Haben Sie das Gefühl, die Jungen heute gehen ähnlich mit den Älteren um, wie Sie früher mit den Routiniers umgegangen sind?
Nein, das ist heute ganz anders. Es ist eine neue Generation – nicht nur im Sport. Der Respekt gegenüber Trainern und älteren Spielern war früher viel grösser. Früher war das alles eher militärisch. Wenn der Trainer etwas sagte, hast du zugehört, nicht diskutiert. Jetzt ist es offener. Die Jungen haben viele Fragen – das ist positiv, aber es braucht als Führungsspieler ein anderes Gespür. Früher war man als junger Spieler einfach still. Heute ist das anders – mit guten und schlechten Seiten.
Wenn Sie Ihre erste Profi-Saison mit der aktuellen vergleichen – was hat sich am meisten verändert?
Tag und Nacht! Ich habe kürzlich ein Spiel von 2009 gesehen, Davos gegen Kloten – das sah aus wie eine andere Sportart. Heute ist alles viel schneller, athletischer, die Spieler sind besser ausgebildet. Und die sechs Ausländerplätze haben nochmals Qualität gebracht – viele Topspieler aus Schweden, Tschechien oder Finnland haben wegen des Ukraine-Kriegs die russische Liga verlassen und sind in die Schweiz gekommen. Das hebt das Niveau extrem.
Gleichzeitig wird man älter. Haben Sie das Gefühl, man muss heute mehr machen, um mithalten zu können?
Ich habe das Glück, dass ich gut Schlittschuh laufen kann. Ich habe als Kind in der Eiskunstlaufschule gelernt – das hilft mir bis heute. Ich kann mich gut bewegen, das Tempo war nie ein Problem. Wenn ausländische Spieler nicht gut auf den Schlittschuhen sind, haben sie in der Schweiz Mühe, weil hier alles extrem schnell ist.
Eiskunstlaufschule? Erzählen Sie!
Wir hatten damals im Aargau einmal pro Woche Eiskunstlauftraining bei einer älteren Dame. Wir machten Kantenarbeit, Balance, Figuren – das war anstrengend, aber extrem hilfreich. Viele aus meinem Jahrgang profitierten davon.
Wie sind Sie überhaupt zum Eishockey gekommen? Das ist ja im Kanton Aargau nicht gerade die populärste Sportart.
(lacht) Ich hatte als Kind einen Helm-Tick. Ich trug immer Helme – Velohelm, Töffhelm, Footballhelm. Eines Tages fuhren wir an der offenen Eisbahn in Wohlen vorbei, da sah ich Kinder mit Helm auf dem Eis. Ich sagte zu meinen Eltern: «Das will ich auch!» Und seither trage ich einen Eishockey-Helm – bis heute!
Sie haben in Wohlen angefangen mit Eishockey und sind dann nach Kloten gewechselt. Wie war das?
Ich habe mit vier Jahren angefangen, spielte bis zwölf in Wohlen. Dann kam der Wechsel zu Kloten, weil wir dort bessere Trainingsbedingungen hatten. Wir waren fünf Jungs aus dem Aargau und konnten so eine Fahrgemeinschaft bilde. Schule am Morgen, dann mit dem Velo heim, und ab ins Training. Manchmal standen wir zwei Stunden im Stau. Ich habe dann eine KV-Lehre gemacht, erst voll gearbeitet, später halbtags, um morgens mit der ersten Mannschaft trainieren zu können. Es war streng, aber es hat funktioniert.
Was fasziniert Sie an diesem Sport so sehr?
Es ist ein unglaublich komplexer Sport. Du musst Schlittschuh fahren können, körperlich robust sein, technisch stark, gleichzeitig ist es ein Teamsport. Du kannst als Einzelner viel erreichen, aber Erfolg gibt es nur zusammen. Das fasziniert mich bis heute.
1000 Spiele – und kaum grosse Verletzungen. Glück oder Können?
Sicher beides. Ein Teil ist Genetik, aber auch Erfahrung. Manchmal ist weniger mehr. In Davos haben wir extrem hart trainiert – wer das überstanden hat, wurde robust. Und ich glaube, meine Art zu spielen, hilft: Ich laufe nicht in jeden Check rein, sondern kann auch mal ausweichen oder wegfahren.
Die Zeit beim HC Davos war mit zwei Meistertiteln und einem Spengler-Cup-Sieg sehr prägend für Sie. Wie erlebten Sie Ihre Jahre bei diesem Traditionsklub?
Davos hat mich zu dem Spieler gemacht, der ich bin. Mit meinem damaligen Trainer Arno Del Curto hatte ich eine Hassliebe. Er hat mich jeden Tag gepusht, provoziert, gefordert. Ich war jung, frech, er hat mich gebraucht – und ich ihn. Ich habe von grossartigen Spielern gelernt, was Siegermentalität heisst. Das war prägend.
Wieso sind Sie dann gegangen?
Irgendwann hat es geknallt. Nach einem schlechten Spiel machten wir im Training intensive Laufübungen – hin und her, immer wieder. Arno fuhr ständig um mich herum und stichelte. Irgendwann, nach dem x-ten Sprint, fehlte mir der Sauerstoff im Kopf. Ich habe ihn angeschrien und gesagt, er sei ein «Mongo», er wisse sowieso alles besser und solle sich einen anderen «Dubbel» suchen. Dann habe ich meinen Stock in gefühlt 15 Teile geschlagen und bin vom Eis gegangen. Am nächsten Tag bin ich zu ihm ins Büro, habe mich entschuldigt – für mich war’s erledigt, bei ihm blieb es hängen. Rückblickend war mein folgender Wechsel zum EV Zug für beide Seiten richtig.
Wie war der Unterschied zwischen Davos und Zug?
Gross. Davos war brutal hart, Zug moderner. EVZ-Trainer Harold Kreis war ein «Players’ Coach», er hörte auf die Spieler, passte Trainings an. Das tat gut. Die vier Jahre dort sind mit guten Erinnerungen verbunden.
Danach kam Lausanne. Sie haben mal gesagt, dort habe «Mafia-Style» geherrscht. Was heisst das?
(lacht) Ja, die ersten zwei Jahre waren top. Dann kam Corona. Es hat einen Besitzerwechsel und das Chaos brach aus. Plötzlich hatten wir 50 Spieler im Kader. Und gleichzeitig sollten wir Lohn abgeben. Es gab offene Rechnungen, Respektlosigkeit, dauernde Unruhe. Ich war dauernd in Gesprächen mit Anwälten. Ich habe damals zwar viel gelernt, aber es hat viel Energie gekostet. Ich musste weg. Biel war dann der logische Schritt.
Und in Biel passte es wieder?
Ja, total. Biel ist familiär mit guten Leuten in den Führungspositionen. Ich kannte viele Spieler schon, unter anderem meinen besten Freund Damian Brunner. Wir wollten immer mal noch zusammenspielen. Das hat perfekt gepasst.
Welches ist in der laufenden Saison Ihre Rolle?
Ich bin der Älteste im Team, spiele oft mit einem jungen Verteidiger. Ich bringe Ruhe rein, rede mit den Jungs, wenn’s nicht läuft. Ich versuche, sie zu unterstützen, aber auch klar zu sein, wenn etwas nicht stimmt.
Wie weit plant man in Ihrem fortgeschrittenen Sportler-Alter noch voraus? Denken Sie schon an das Karriereende?
Ich plane nicht zu weit. Der Sport ist schnelllebig. Ich will sicher nach dieser Saison weiterspielen – aber nicht bis 53 (lacht). Familie, Schule der Kinder, das alles spielt mit. Wir fühlen uns wohl in Biel, meine Frau arbeitet in Bern. Es passt.
Wie schafft man es, nach all den Jahren motiviert zu bleiben?
Ganz einfach: Ich darf mein Hobby als Beruf ausüben. Ich spiele Hockey – und bekomme dafür einen Lohn. Solange ich Spass habe und mithalten kann, mache ich weiter. Wenn die Freude weg ist, höre ich auf.
In der Nationalmannschaft waren Sie auch, mit dem Höhepunkt des Gewinns der WM-Silbermedaille 2013. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Das war eine Wahnsinnserfahrung. Niemand hat an uns geglaubt, wir hatten viele WM-Neulinge, und dann holen wir Silber. Neun Siege in zehn Spielen – unglaublich. Dazu Spiele gegen absolute Superstars wie Sidney Crosby, Jaromir Jágr oder Alex Owetschkin. Olympia durfte ich auch erleben. Das war etwas ganz Besonderes.
Kehren Sie irgendwann in den Aargau zurück? Vielleicht für ein paar Spiele in der 1. Liga?
(lacht) Nein, das glaube ich nicht. Die 1. Liga ist ein gutes Niveau, aber du musst bereit sein, sonst wird’s gefährlich. Ich spiele vielleicht irgendwann bei den Senioren, irgendwo mit Kollegen, aber sicher nicht mehr professionell.
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