Obwohl er mit dem Giro d'Italia und der Tour de France zwei dreiwöchige Rundfahrten bestritten hat, kommt Tadej Pogacar in diesem Jahr bisher nur auf 55 Renntage, das ist ein Einsatz alle fünf Tage. 19 Mal gewann er, zuletzt gestern das Strassenrennen an der Weltmeisterschaft in Zürich. Dazu kommen die Gesamtsiege bei der Katalonien-Rundfahrt (vier Etappensiege), beim Giro d'Italia und bei der Tour de France, wo Pogacar je sechs Etappen gewann.
Am Sonntag in Zürich ist er auch noch als erster Slowene Strassen-Weltmeister geworden und der dritte Radfahrer nach dem Belgier Eddy Merckx 1974 und dem Iren Stephen Roche 1987, der die Triple Crown of Cycling schafft – bestehend aus Gesamtsieg bei Giro, Tour und dem WM-Titel.
Pogacar beherrscht den Radsport wie keiner zuvor in diesem Jahrtausend. Lance Armstrong, Vincenzo Nibali, Alberto Contador oder Chris Froome gewannen mehrfach Grand Tours. Fabian Cancellara, Tom Boonen oder Mathieu van der Poel sammelten zahlreiche Siege bei den Monumenten des Radsports. Doch keiner war ein Alleskönner wie Pogacar. Er gewinnt Rundfahrten, Bergetappen, Zeitfahren und Eintagesrennen wie Lüttich-Bastogne-Lüttich, die Lombardei-Rundfahrt und die Flandern-Rundfahrt.
Erfolg ist das eine, die Fahrweise das andere. Lance Armstrong und sein Team US Postal kontrollierten die Etappen bei der Tour de France eisern, erstickten mögliche Angriffe im Keim und schläferten die Rennen damit ein. Das später immer wieder kopierte Drehbuch war immer gleich: Eine Ausreissergruppe fuhr voraus, und im letzten Anstieg riss Armstrong aus.
Pogacar aber fährt nach Instinkt, nicht nach Vorgabe und schon gar nicht nach Wattzahlen. Radrennen sind für ihn kein Existenzkampf, sondern ein Spiel, das Spass bereiten soll, auch wenn es um Sieg und Niederlage geht. Seinen Angriff gestern in Zürich 100 Kilometer vor dem Ziel bezeichnete er in Nachhinein als «Dummheit». Mit dieser Haltung hat er wesentlich dazu beigetragen, dass Radrennen heute aktiver gefahren werden. Sie sind unberechenbarer, spektakulärer, attraktiver geworden. Und der Sport dadurch wieder viel populärer.
Seine Popularität fusst nicht nur auf der Fahrweise, sondern auch darauf, dass Pogacar unbeschwert, zugänglich und nahbar ist. Unvergessen, wie er während des Giro d'Italia auf einer Soloflucht einem kleinen Jungen eine Trinkflasche reichte. Ein anderes Mal schenkte er Giulio Pellizzari seine rosa Brille, nachdem er zuvor den Etappensieg des Italieners verhindert hatte. Das Beispiel zeigt: Auch bei den Kollegen ist Tadej Pogacar beliebt.
Von der Strahlkraft des Radgiganten profitieren alle im Peloton, vor allem aber er selber. Laut «Gazzetta dello Sport» ist Pogacars bis 2027 laufender Vertrag beim Team UAE mit 6 Millionen Franken jährlich dotiert. Damit ist er der bestverdienende Radfahrer der Gegenwart. Landsmann Primoz Roglic kommt auf 4,5 Millionen. Der Belgier Remco Evenepoel, der Olympiasieger von Paris auf der Strasse und im Zeitfahren und Zeitfahren-Weltmeister von Zürich, kassiert «nur» 2,8 Millionen im Jahr.
Vor einem Jahr hat Ineos Grenadiers angefragt, ob Pogacar verfügbar sei. Nun: theoretisch ja, weil eine Ausstiegsklausel existiert. Praktisch nein. Denn wer diese aktivieren will, muss 100 Millionen auf den Tisch legen.
Neben dem fürstlichen Salär ist Pogacar als Werbeträger gefragt wie kein Zweiter im Radsport. Sein jährliches Einkommen schätzt die «Gazzetta dello Sport», inklusive Lohn und Preisgelder, auf 15 Millionen Franken.
Der Mann, der Pogacar zur Marke geformt hat, heisst Alex Carera und hat den Slowenen unter Vertrag genommen, als dieser 18-jährig war. Bereits seit 1997 im Geschäft, vertritt der Italiener auch die Interessen der Sprinter Jasper Philipsen und Biniam Girmay und des Schweizers Fabio Christen.
Zusammen mit seinem Bruder Johnny führt er die Agentur A&J All Sports, die ihren Hauptsitz an der Via Giuseppe Motta in Chiasso in der Schweiz unweit der Grenze zu Italien hat. Zwar beträgt das Vermögen Pogacars, der seinen Wohnsitz Ende 2019 ins Steuerparadies Monaco verlegt hat, gegen 50 Millionen Franken, doch Carera sagt: «Tadej verdient sehr gut, aber für seinen Wert und für alles, was er tut, verdient er immer noch nicht genug.»
Doch wo ist die Grenze für den slowenischen Radgiganten, der mit seinem Landsmann Alen Milavec einen Privatfotografen auf der Lohnliste hat, einen Onlineshop unterhält, in dem neben Velokleidung auch Socken, Schals, T-Shirts, Brillen und sogar Babystrampler gekauft werden können?
Glaubt man der «Gazzetta dello Sport», sind Vertreter des Teams UAE nach Pogacars Triumph beim Giro d'Italia an den Hauptsitz in Dubai gereist, um dem Besitzer des Radteams eine Verlängerung von Pogacars Vertrag bis 2030 schmackhaft zu machen. Die Rede ist von 8 Millionen Franken.
Dass er danach zum dritten Mal die Tour de France gewonnen und gestern auch noch das schier unfassbare Triple aus Tour, Giro und WM komplettierte, dürfte den Preis noch weiter in die Höhe getrieben haben.
Einer, der das gelassen sehen kann, ist Scheich Ahmed bin Saeed. Das Vermögen des Besitzers des Teams UAE beträgt 1,1 Milliarden Franken. (aargauerzeitung.ch)