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Marlen Reusser gewinnt nach einer langen Leidenszeit WM-Gold

Switzerland's Marlen Reusser shows her gold medal of the women's elite individual time trial event, at the road cycling World Championships in Kigali, Rwanda, Sunday, Sept. 21, 2025. (Alex W ...
Marlen Reusser wurde am Sonntag zum ersten Mal Weltmeisterin.Bild: keystone

Nach langer Leidenszeit winkt der Millionen-Jackpot: Das bedeutet WM-Gold für Reusser

Vor einem Jahr wusste Marlen Reusser, 34, nicht einmal, ob sie je wieder ein normales Leben führen kann. Jetzt gewinnt sie erstmals WM-Gold. Die Geschichte einer Kämpferin.
23.09.2025, 22:0923.09.2025, 22:09
Etienne Wuillemin / ch media

Olympia-Silber. Zweimal WM-Silber. Und jetzt endlich Gold. Mit 34 Jahren krönt Radsportlerin Marlen Reusser mit dem Titel im WM-Zeitfahren ihre Karriere. Nach den Fussballerinnen und Leichtathletin Ditaji Kambundji sorgt der Schweizer Frauensport erneut für eine Euphorie-Welle.

Der Weg dahin ist interessant. Lange ist Radfahren für Reusser nur ein Hobby, die Profikarriere hat sie gar nicht im Visier. Sie studiert Medizin, arbeitet als Ärztin. Ehe sie sich 2019 mit 27 Jahren entscheidet, voll auf den Sport zu setzen. Wobei das durchaus eine Logik hat. Im Radsport ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen im Gegensatz zu Sportarten wie Leichtathletik, Tennis oder auch Ski alpin riesig. Ein echter Aufschwung setzte erst nach Corona ein.

Silver medal winner Marlen Reusser of Switzerland poses durinfg the victory ceremony after the women's cycling individual time trial at the 2020 Tokyo Summer Olympics at the Fuji International Sp ...
In Tokio gewann Marlen Reusser bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille.Bild: keystone

Der Aufschwung im Frauen-Radsport gibt es erst in der Nach-Corona-Ära

Es ist eine hypothetische, aber trotzdem spannende Frage: Wie hätte sich Reussers Karriere entwickelt, wenn schon früher mehr Aufmerksamkeit (und damit Geld) auf dem Radsport der Frauen gelegen hätte?

Nach dem WM-Gold im Zeitfahren richtet sich der Blick darum auch gegen vorne. Werden die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles für Reusser nochmals zum Thema? Sie wird dann knapp 37 Jahre alt sein. Wobei drei Jahre im Spitzensport eine kleine Ewigkeit sein können. Aber: Schon vor der Reise an die WM nach Ruanda sagte sie CH Media in einem Interview: «Ich bin noch nicht an meiner Grenze angelangt.»

Zur Geschichte von Reusser gehört auch, dass sie immer wieder Rückschläge einstecken muss. Körperlich, aber auch mental. Im Herbst 2023 steigt sie in Glasgow im WM-Zeitfahren vom Rad und offenbart, völlig ausgelaugt zu sein. Mensch statt Maschine. Ihr offener Umgang mit dem Tabuthema macht sie für viele Sportlerinnen, aber auch Sportler zum Vorbild. Dass sie auch kritische Reaktionen einstecken muss, nimmt sie in Kauf.

Die bange Frage: Kann Reusser je wieder ein normales Leben führen?

2024 erkrankt Reusser an Long Covid und dem chronischen Erschöpfungssyndrom. An manchen Tagen kommt sie kaum aus dem Bett. Es will und will nicht besser werden. Über ein halbes Jahr lang ist unklar, ob sie je wieder Sport treiben, ja sogar ein normales Leben führen kann. Reusser muss sowohl die Olympischen Spiele von Paris wie auch die Heim-WM in Zürich auslassen.

2025 geht es endlich wieder aufwärts. Long Covid ist dank Hypnose-Einheiten überwunden. Sie trainiert wieder. Und kehrt zurück an die Spitze. Sie gewinnt unter anderem zum zweiten Mal die Tour de Suisse. Noch immer klebt ihr aber das körperliche Pech am Leib. Nach dem zweiten Rang bei der Vuelta d’Espana steht sie kurz vor dem Gesamtsieg beim Giro d’Italia – ihrem ersten an einer Grand-Tour – ehe sie von Fieber und Durchfall gebremst wird. Die Tour de France muss sie wenige Tage später nach der ersten Etappe aufgeben, diesmal wegen einer Lebensmittelvergiftung. Im August ereilt sie auch noch eine Grippe.

Das WM-Zeitfahren in Ruanda ist darum Reussers erstes Rennen nach der Pause. Auch mit der WM vor Augen zwingt sich Reusser, den Körper vollständig genesen zu lassen. Etwas, das ihr früher nicht gelungen wäre. «Ich komme aus einer Mentalität, dass es immer hart sein muss, dass ich immer Grenzen überwinden muss, um besser zu werden», sagte sie im Interview mit CH Media. Ihr Trainer und Lebenspartner Hendrik Werner hat ihr diesbezüglich die Augen geöffnet.

Der Lohn dafür ist nun WM-Gold. Ein Titel, der auch finanziell das grosse Glück bedeutet? Nicht unbedingt. Es wäre jedenfalls vermessen, daraus gleich das Millionen-Los abzuleiten. Im Gegensatz zur Leichtathletik und Ditaji Kambundji ist Reusser primär nicht Einzelathletin, sondern Teil eines Teams (Movistar, Vertrag bis 2027). Ein Beispiel: Möchte Reusser gerne auf eigene Faust Schuhe vermarkten, ist das kompliziert. Weil ihr Team möglichst die eigene Marke repräsentiert sehen will.

Bei Reusser kommen weitere Faktoren hinzu: Bedingt durch das grosse Trainings- und Rennvolumen, ist sie häufig gar nicht in der Schweiz. Reusser wohnt und trainiert in Andorra. Zudem verzichtet sie aus ökologischen Gründen bewusst auf Flüge, die nicht zwingend notwendig sind. Für ein Shooting rasch in die Schweiz jetten? Undenkbar! Überhaupt achtet sie genaustens darauf, dass eine Marke oder ein Produkt zu ihr passt. Es kommt vor, dass sich Reusser vor der Unterschrift unter einen Vertrag persönlich beim Verwaltungsrat informiert, wie die Nachhaltigkeits-Standards aussehen.

Über allem steht bei Reusser das Radfahren. Training statt Shooting. Geist statt Geld. Es ist eine wohltuende Einstellung. Und sicher nicht falsch, wenn der sportliche Erfolg noch einige Jahre andauern soll.

Zunächst aber zählt die Gegenwart. Die WM in Ruanda geht noch weiter. Am Mittwoch mit dem Mixed-Teamzeitfahren. Am Samstag mit dem Strassenrennen. Es locken weitere Medaillen. (riz/aargauerzeitung.ch)

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