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Rad-WM: Marlen Reusser über ihren Asketismus und einen Schweizer Irrtum

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Mit dem Schweizerkreuz auf dem Trikot will Marlen Reusser auch in Ruanda jubeln.Bild: fxp-fr-sda-rtp

Marlen Reusser: «Wir in der Schweiz glauben, wir seien die Neutralen, die Gutmenschen»

Die 33-jährige Bernerin sinniert über ihre Grenzen, ihr asketisches Leben in Andorra, gesellschaftliche Denkmuster und darüber, wie sie mit ihren eigenen Vorurteilen umgeht.
19.09.2025, 06:0519.09.2025, 06:05
Simon Häring / ch media

Sie gewann die Tour de Suisse und zwei Etappen, triumphierte bei der Burgos-Rundfahrt, wurde bei der Vuelta und beim Giro d'Italia Zweite. Schon jetzt blickt Marlen Reusser auf die beste Saison ihrer Karriere zurück, obwohl sie immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Nun greift die 33-Jährige ab dem Wochenende bei den Weltmeisterschaften in Ruandas Hauptstadt Kigali nach einer Medaille.

Vorbereitet hat sich Reusser am Berninapass, wo sie ein kleines Zimmer bezog und sich aufs Wesentliche konzentrierte: Training, Essen, Schlaf – und dazwischen ein Buch. CH Media hat sie besucht und mit ihr über körperliche Grenzen, Vorurteile, Literatur und Ziele gesprochen.

Marlen Reusser, 2014 haben Sie als 22-jährige Medizinstudentin und damals jüngste Schweizer Frau beim Alpenbrevet teilgenommen. Damals sagten Sie: «Ich will mich selber herausfordern und will spüren, was bei mir drin liegt.»
Marlen Reusser: (lacht). Das war in meiner Sturm-und-Drang-Phase.

«Ich bin noch nicht an meiner Grenze angelangt.»

Sie fuhren in 5 Stunden und 36 Minuten über die Pässe Grimsel, Furka und Susten. Haben Sie inzwischen herausgefunden, wo Ihre Grenze liegt?
Stimmt, das habe ich immer gesagt und dieser Gedanke hat mich immer angetrieben. Ich habe schon früh gespürt, dass ich einen grossen Motor besitze und ich habe mich gefragt: Was könnte möglich sein, wenn ich mehr trainiere? Aber auch heute, elf Jahre später, kann ich diese Aussage noch unterschreiben: Ich bin noch nicht an meiner Grenze angelangt.

Overall winner Moviestar Team racer Marlen Reusser of Switzerland poses with the trophy on the podium after the fourth and final stage, a 129.4 km race with start and finish in Kuessnacht, Switzerland ...
Im Juni gewann Marlen Reusser zum zweiten Mal die Tour de Suisse.Bild: keystone

Sie sagten damals ebenfalls: «Die wahre Grenze liegt im Kopf. Alles ist nur eine Frage des Willens.» Als Ärztin wissen Sie aber, dass der Körper eine natürliche Grenze hat…
Als junge Frau hatte ich eine ganz andere Vorstellung davon, wie man im Ausdauersport zum Erfolg kommt. Ich las das Buch der Triathletin Chrissie Wellington, kennen Sie das?

Gelesen habe ich es nicht, aber kürzlich trafen wir Daniela Ryf, die mit Brett Sutton den gleichen Trainer hatte wie Wellington…
Oder die Schwimm-Olympiasiegerin Britta Steffen, die ebenfalls mit Sutton zusammenarbeitete. In einem Beitrag wurde beschrieben, wie sie in einem Keller trainiert haben, zwölf Stunden vor einer weissen Wand. Diese Geschichten habe ich verschlungen und sie haben in mir das Bild entstehen lassen, dass man nur Erfolg hat, wenn man sich extrem quält. Ich habe mir damals richtig auf die Kappe gegeben. Das mache ich heute nicht mehr in der Form.

Es geht also nicht nur um den Kopf und die Willenskraft?
Das würde ich heute nicht mehr sagen, nein. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Kopf ist sehr wichtig. Aber anders, als man vielleicht denkt. Es geht weniger um den Wettkampf als ums Training, wo man diszipliniert und konstant arbeiten muss. Natürlich muss man auch auf die Zähne beissen können. Aber am Ende gewinnt diejenige, die am fittesten ist.

Zur Person
Marlen Reusser kam 1991 zur Welt, stammt aus einer Bauernfamilie im Emmental und spielte bis 16 Geige und studierte an der Hochschule der Künste Bern. Nach dem Medizinstudium arbeitete sie als Assistenzärztin, engagierte sich bei den Jungen Grünen und wechselte nach Verletzungen vom Laufen über das Schwimmen zum Radsport. Heute ist sie eine der besten Radfahrerinnen der Welt: Sie ist dreifache Europameisterin im Zeitfahren, Olympia-Zweite 2021 und Vize-Weltmeisterin 2020. Zweimal gewann sie die Tour de Suisse (2023, 2025) und wurde in diesem Sommer Zweite beim Giro d'Italia. Seit diesem Jahr steht Reusser beim spanischen Team Movistar unter Vertrag und lebt in Andorra.
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Bild: fxp-fr-sda-rtp

Wie sehr quälen Sie sich denn im Training?
Nicht sehr. Es gibt verschiedene Philosophien. Mein erster Trainer, Bruno Guggisberg, hat sehr, sehr hart mit mir trainiert. Als ich 2021 zu Marcello Albasini gewechselt bin, sagte er zu mir: Jetzt hast du Schwein gehabt. Jetzt hätten die richtigen harten Trainings begonnen. Aber auch bei Albasini arbeiteten wir teils in extremen Bereichen.

Wie arbeiten Sie mit Ihrem heutigen Trainer und Partner Hendrik Werner?
Seine Philosophie ist, die Zitrone nie ganz auszupressen. Er gibt mir Trainings, die ich immer bewältigen kann, ohne mich komplett abzuschiessen. Ich komme aus einer Mentalität, dass es immer extrem hart sein, dass man Grenzen überschreiten muss, um sich zu verbessern. Gerade zu Beginn hat das zu vielen Diskussionen zwischen uns geführt.

«Wie ich beim Alpenbrevet 2015 gefahren bin, das war wirklich absurd. Ich wurde sogar ohnmächtig.»

Der Erfolg gibt Ihnen Recht
Es scheint so. Wobei man nie mit absoluter Gewissheit weiss, ob etwas anderes noch mehr Erfolg bringen würde. Ich trainiere sehr hart, aber nicht mehr wie vor zehn Jahren. Wie ich beim Alpenbrevet 2015 gefahren bin, das war wirklich absurd. Ich wurde sogar ohnmächtig.

Sie wurden im Rennen ohnmächtig?
Ja. Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung, hatte mich zu wenig gut verpflegt und es war 32 Grad heiss, ich war komplett dehydriert. Ich habe schon gemerkt, dass mir die Lampe ausgeht, habe es aber nicht ernst genommen. Irgendwann lag ich erschöpft im Strassengraben. Ich war schon sehr, sehr hart mit mir selber.

Wer hat sich um Sie gekümmert?
Ich war sehr traurig und enttäuscht, nachdem ich im Jahr davor gewonnen hatte. Mir half dann eine junge Frau mit Familie, deren Mann mitgemacht hat. Sie hat mir erzählt, dass sie gerade eine MS-Diagnose erhalten hat. Das war sehr berührend und hat alles relativiert.

Die Berner Radrennfahrerin Marlen Reusser, rechts, und ihr Partner und Coach Hendrik Werner aus Deutschland, am Rand eines Mediengespraechs, am Dienstag, 10. Juni 2025 in Bern. Vom 12. - 15. Juni best ...
Hendrik Werner ist Marlen Reussers Trainer und Partner zugleich.Bild: keystone

Sie leben ein asketisches Leben aus dem Dreiklang «Training, Essen, Schlafen». Sie sagten mit 22, man müsse dafür sehr gut mit sich selber auskommen und gerne alleine sein. Wie sehr muss man Einzelgängerin sein?
Nicht zwingend. Aber es ist ein mega spezielles Leben, völlig absurd eigentlich. Ich glaube, der Mensch ist dafür gemacht, in einem sozialen Gefüge zu funktionieren und seine Rolle zu haben. Ich muss mich da ausnehmen. Ich funktioniere nicht wirklich in einem sozialen Gefüge. Ich funktioniere nur in einer Zweierkiste mit Hendrik, der nur das Ziel hat, möglichst gut fürs Training zu leben. Das ist wohl nicht unbedingt die beste Menschenhaltung.

«Ewig will ich das nicht mehr machen.»

Mögen Sie dieses Leben?
Ich schätze es und mag es, mein eigenes Projekt zu sein, meine eigene Chefin. Ich muss auch hinstehen, wenn ich es vergeige. Ich bin gerne alleine, bin gerne diszipliniert an etwas, ich habe das in mir. Aber es ist eine Art abstraktes Leben. Ewig will ich das nicht mehr machen.

Was heisst das, Sie wollen das nicht mehr ewig machen?
Es gibt Momente, da würde ich lieber in einer Kinderkrippe oder in einem Altersheim arbeiten, einfach unter Leuten sein. Das vermisse ich manchmal schon. Aber das ist normal. Man kann nicht alles haben, den Fünfer und das Weggli. Ich will mich auch nicht beklagen…

Ist das ein Opfer?
Nein, das ist kein Opfer.

Und das Leben in Andorra, weit weg von Zuhause, von der Familie, von den Freunden? Empfinden Sie das nicht als Opfer?
Nein, so fühlt sich das nicht an. Ich habe mich für den Moment sehr bewusst für dieses Projekt entschieden, auf das ich Lust habe. Das heisst nicht, dass es keine Momente gibt, in denen ich meine Zweifel daran habe. Aber nein, das Projekt stimmt für den Moment.

Und dass Sie kaum Pausen haben, weil die Saison von Januar bis Oktober geht?
Es ist sehr intensiv. Ich habe im vergangenen Jahr durch die Long-Covid-Erkrankung ungewollt eine Pause erhalten, was nicht nur schlecht ist. Ich kam frisch zurück, mit neuem Schwung. Es ist, als hätte ich ein neues Leben geschenkt bekommen. Ich kann mir schon vorstellen, dass ich eine Weile etwas anderes mache, wenn ich das Bedürfnis danach habe. Das wäre doch normal. Ich frage mich, weshalb das nicht mehr so machen.

Switzerland's Marlen Reusser competes on her way to win the 1st stage of the Giro d'Italia women's cycling race, from Bergamo to Bergamo, Italy Sunday, July 6, 2025. (Marco Alpozzi/LaPr ...
Im Juli gewann Reusser das Zeitfahren des Giro d'Italia und klassierte sich im zweiten Schlussrang, trotz Krankheit.Bild: keystone

Was würden Sie tun?
Keine Ahnung (lacht).

Jetzt dreht sich alles um Rennkalender, um Training, um Leistungstests. Mit dem Velofahren haben Sie aber angefangen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Damals war das Velofahren Ablenkung, heute ist es mein Beruf. Heute habe ich Freude, wenn ich einmal etwas anderes machen kann. Vielleicht kann man das mit der Musik, mit Tanz oder Turnen vergleichen. Für mich ist es wie bei allen Leidenschaften, die man zum Beruf macht. Das ist ein schwieriger Prozess, der mir nicht immer leicht fällt.

Sie sagten einmal: «Auf dem Velo habe ich Momente erlebt, in denen ich dachte: Jetzt könnte ich sterben. Ich meine das nicht im suizidalen Sinn. Ich empfand Glück, war mir selbst so nah wie nie zuvor.» Erleben Sie dieses Gefühl heute noch?
Mein Verhältnis zum Velofahren hat sich sehr stark verändert, seit es mein Beruf, meine Geldquelle ist, an der Anerkennung und Status hängen. Aber derzeit gelingt es mir gut, mir die Freude zu bewahren. Deshalb bin ich absolut überzeugt: Auch wenn ich einmal vom Sport zurückgetreten bin, werde ich sehr viel Velo fahren. Ich liebe es nach wie vor.

Sie spielten Geige, studierten Medizin, setzten sich in der Politik ein. Jetzt fahren Sie Velo, arbeiten vor allem mit dem Körper. Wie stimulieren Sie das Gehirn?
Interessante Frage. Früher war mein Alltag kopflastig, da brauchte es das Körperliche. Aber wenn man Sport auf diesem Level macht, so intensiv trainiert, dann macht das Kopf und Körper leer. Das heisst: Ich habe gar nicht gross Lust, mich zu sehr zu fordern.

Lesen?
Ja, ich lese gerne.

Kürzlich haben Sie das Buch «Böse Delphine» empfohlen. Worum geht es da?
Um unsere Gesellschaft, Delphine kommen darin keine vor (lacht). Ich erkläre mir den Titel so: Delphine werden als freundliche Tiere wahrgenommen…

Ich habe nachgeschaut, wie die Autorin den Titel erklärt: «Delphine wirken naiv und gaga – doch niemand weiss, was in ihnen vorgeht.» Ähnlich sei es bei der Hauptfigur Halina. Sie stehe für das Lebensgefühl einer Generation, die verloren wirke und sich keinem Milieu zugehörig fühle.
Interessant.

Erkennen Sie sich darin wieder?
Halina, die Hauptfigur, und ich sind sehr unterschiedliche Charaktere. Aber ich finde ihre Überlegungen sehr spannend. Sie hält unserer Gesellschaft einen Spiegel vor. Was sie beschäftigt und ihr durch den Kopf geht, wie sie über Dinge denkt, das fasziniert mich.

Die Berner Radrennfahrerin Marlen Reusser spricht mit Medienleuten, am Dienstag, 10. Juni 2025 in Bern. Vom 12. - 15. Juni bestreitet Marlen Reusser die Tour de Suisse fuer ihr neues Team Movistar. (K ...
Marlen Reusser liest gerne – zuletzt «Böse Delphine» und «Andorra».Bild: keystone

Können Sie konkreter werden?
Vordergründig nett, super, toll, alles funktioniert, wie man sich das vorstellt. Aber jeder hat seinen Knorz im Leben. Ich finde wichtig, dass wir uns das vor Augen führen.

Sie haben gerade Andorra von Max Frisch gelesen. Was nehmen Sie daraus mit?
Jetzt, da ich in Andorra lebe, musste ich es noch einmal lesen. Für mich ist der Bezug zur Schweiz offensichtlich. Wir sind die Neutralen, die Gutmenschen, aber uns gelingt das gar nicht immer so gut, wie wir glauben. Ich finde das Buch brilliant. Kennen Sie die Geschichte?

Ja. Es ist eine Parabel über Vorurteile, Projektion und Antisemitismus. Letztlich geht es um kollektive Schuld. Alle Figuren tragen durch ihr Schweigen, Wegsehen oder aktives Mitmachen dazu bei, dass es am Ende zur Katastrophe kommt.
Es spielt in einem fiktiven Staat. Es geht um den von einem Lehrer angeblich adoptierten Jungen Andri, der angeblich Jude ist. Weil alle das glauben, behandeln sie ihn auch so. Erst später kommt aus, dass er Andorraner ist und der leibliche Sohn des Lehrers mit einer Frau aus dem verfeindeten Nachbarland. Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Andri werden gewisse Attribute zugeschrieben, weil alle davon ausgehen, er sei ein jüdisches Kind.

«Auch ich bin sexistisch und rassistisch. Wenn wir das verstehen und anerkennen, können wir Veränderungen anstossen.»

Am Ende wird Andri von den Besatzern als Jude abgeführt und getötet.
Sogar er selber glaubt am Ende, dass er Jude ist. Und wie alle anderen auch, dass man als Jude anders ist, was konstruiert ist. Das zeigt, welche Kraft Bilder haben, die in unserem Kopf entstehen, die real nicht existieren. Es hält einem wirklich den Spiegel vor.

Was nehmen Sie für sich aus dem Buch mit?
Zwei Dinge. Erstens, Zivilcourage zeigen. Zweitens, dass ich mir wieder bewusst mache, wie sehr unser Gehirn schubladisiert. Wie Werte und Stereotypen darüber bestimmen, wie wir die Welt sehen. Das sollten wir stärker hinterfragen. Das gilt für alle Themen – für Sexismus ebenso wie für Rassismus. Unsere Gesellschaft, unser Denken, auch ich. Auch ich bin sexistisch und rassistisch. Wenn wir das verstehen und anerkennen, können wir Veränderungen anstossen.

Viele im Radsport fordern klare Regeln, wenn es ums Gewicht geht. Angestossen hat diese Diskussion Pauline Ferrand-Prévot, die für ihren Sieg bei der Tour de France fünf Kilogramm abgenommen hat. Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Ich stelle mir folgende Fragen: Was ist gesund? Was ist ungesund? Wo sind die Grenzen? Und für mich persönlich vor allem: Was will ich mir und meinem Körper zumuten?

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Mountainbike-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin Pauline Ferrand-Prévot triumphierte auch bei der Tour de France. Dafür nahm sie fünf Kilogramm ab.Bild: keystone

Haben Sie auf diese letzte Frage eine Antwort?
Nein. Es ist ein schwieriges Thema. Wir werden uns sicher Gedanken machen. Ich schaue auf mein Gewicht, selbstverständlich. Aber ich drücke es nicht bewusst nach unten. Wie weit ich zu gehen bereit bin, mit dieser Frage muss ich mich schon auseinandersetzen.

«Den Giro fuhr ich unter ganz krassen Bedingungen fertig. Ich litt unter einem Durchfallvirus, habe über zwei Kilo an Gewicht verloren.»

Sie gewannen die Tour de Suisse und wurden beim Giro d’Italia Zweite. Wie viel Grund haben Sie, überhaupt etwas zu verändern?
Den Giro fuhr ich unter ganz krassen Bedingungen fertig. Das hat mir alles abverlangt. Ich litt unter einem Durchfallvirus, fuhr drei Tage so, habe über zwei Kilo an Gewicht verloren. Es war ein riesiger Kampf. Ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt bei der Tour de France starten kann, weil mir nur noch zwei Wochen blieben.

Kurz vor der Tour de France hatten Sie erneut Pech.
Ja, eine Lebensmittelvergiftung. Ich musste mich übergeben und konnte drei, vier Tage gar nichts mehr essen ausser ein wenig Zwieback. Ich habe dabei erneut viel Gewicht verloren, war definitiv abgemagert und ausgehungert. Das war eine sehr schwierige Situation.

Weshalb sind Sie dennoch gestartet?
Unser Ziel war es, die Gesamtwertung zu gewinnen, mit mir als Leaderin. Alles war darauf ausgelegt, alle Fahrerinnen waren dafür im Höhentrainingslager, für mich. Deshalb wollte ich nicht sofort sagen: Leute, ich bin raus. Zudem wusste ich, dass ich eigentlich in der besten Form meines Lebens bin. Ich hätte gerne herausgefunden, was möglich gewesen wäre.

Sie gaben dann auf der ersten Etappe auf. Wie blicken Sie darauf zurück?
Uns allen war klar, dass es nicht vernünftig ist, so die Tour de France zu fahren. Kaum sass ich auf dem Velo, sah ich Sternchen. Deshalb ging ich nach Hause. Das war die richtige Entscheidung, sonst wäre ich komplett zugrunde gegangen. Es war einfach Pech.

Wegen Krankheiten musste Reusser die Tour de France abbrechen und verpasste die Tour de Romandie.

Sie sind dann auch noch gestürzt…
Wobei mir wichtig ist, klarzustellen, dass ich nicht wegen eines Sturzes ausgestiegen bin. Sondern weil ich einfach geschwächt von zwei Magen-Darm-Episoden war.

Seither haben Sie kein Rennen mehr bestritten. Wie fühlen Sie sich inzwischen?
Kaum hatte ich mich erholt und trainierte wieder ein wenig, hat Hendrik einen grippalen Infekt durchgemacht, der mich auch erwischt hat, während ich wohl noch nicht zu hundert Prozent genesen war. Deshalb lag ich im August erneut im Bett.

«Ich bin auch mit meinen 95 Prozent eine sehr schnelle Radfahrerin.»

Wie stehen die Vorzeichen für die Weltmeisterschaften in Ruanda?
Natürlich würde ich mir das anders wünschen. Aber ich bin auch mit meinen 95 Prozent eine sehr schnelle Radfahrerin. Ich werfe jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn.

Worauf liegt der Fokus: Zeitfahren oder Strassenrennen?
Beides. Obwohl ich hier vor allem am Zeitfahren arbeite.

Sie fahren zum ersten Mal ein Rennen in Afrika, welche Rolle spielt das?
Für die Menschen vor Ort, das Land und die Zuschauenden sind die Kulisse und die Atmosphäre natürlich wichtig. Für mich als Athletin stehen praktische Fragen im Vordergrund: Wie sind die Strassen? Wie sind die klimatischen Bedingungen? Wir sind ja nicht dort für eine Rundreise, und um Ferien zu machen. Leider.

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81 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P.
19.09.2025 06:51registriert August 2018
Danke, Marlen.

Ein Interview mit Substanz. Alles andere als langweilig.
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Zum Kommentar
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Vecchio Trombone
19.09.2025 08:52registriert Juni 2024
Warum hat es so viele negative Kommentare zu diesem Interview? Es ist schon klar, dass Frau Reusser einen Finger in die Wunde drückt aber aus meiner Sicht hat sie Recht. Ausserdem würde ich gerne nur schon einen Zehntel ihr Fähigkeiten (u. a. Disziplin) haben.
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Mario 66
19.09.2025 07:36registriert November 2015
Ich traue ihr nach ihrer sportkarriere eine sehr erfolgreiche laufbahn in der politik zu. Und das offensichtlich nicht in der svp…
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81
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