Auf die Pflastersteine bei der Flandern-Rundfahrt und bei Paris-Roubaix folgen die Rennen in den Ardennen. Los geht es an Ostern im südlichsten Zipfel der Niederlande mit dem Amstel Gold Race (Start am heutigen Sonntag um 12 Uhr). Am Mittwoch steht La Flèche Wallonne auf dem Programm und am Sonntag in einer Woche mit Lüttich-Bastogne-Lüttich das dritte von fünf Monumenten des Radsports.
Bei der Trilogie erstmals dabei ist das Schweizer Team Tudor Pro Cycling. Geht es nach Teamchef Raphael Meyer, stehen die Chancen gut, dass es mindestens in einem der drei Rennen einen Spitzenplatz zu bejubeln gibt.
Dafür zieht Tudor mit dem französischen Doppel-Weltmeister Julian Alaphilippe und dem Schweizer Marc Hirschi erstmals gleichzeitig seine beiden Asse aus dem Ärmel. Bei der Frage, wer in welchem Rennen der wichtigste Trumpf sein wird, lässt sich Meyer nicht in die Karten blicken. Er sagt: «Die Captainrolle werden wir jeweils am Abend vor dem Rennen in der Teambesprechung festlegen.» Wobei er von seinen Fahrern nicht nur Loyalität, sondern auch Eigeninitiative erwartet, wenn er sagt: «Die beiden sollen auch miteinander diskutieren, welche Taktik Sinn macht.»
Hirschi und Alaphilippe sind ähnliche Fahrertypen. Als Puncheure lieben sie kurze, steile Anstiege, pflegen einen aktiven Stil und gehen lieber mit wehenden Fahnen unter, statt sich im Feld zu verstecken. Mit 34 kurzen und knackigen Anstiegen ist den beiden Tudor-Assen das Profil beim Amstel Gold Race wie auf den Leib geschneidert. Gleich drei Mal muss das Peloton den steilen Cauberg kurz vor dem Ziel in Berg Tertblijt bewältigen.
Marc Hirschi wurde im Vorjahr Zweiter und musste sich nur Tom Pidcock geschlagen geben. Und Alaphilippe stand zwar noch nie auf dem Podest, war aber bei fünf von sechs Teilnahmen mindestens Siebter oder besser.
Wohl noch verheissungsvoller ist die Ausgangslage für Tudor bei der Flèche Wallonne vom Mittwoch. Sowohl Hirschi als auch Alaphilippe haben den Halbklassiker schon gewonnen; der Schweizer 2020, Alaphilippe sogar schon drei Mal (2018, 2019 und 2021), dazu war er zwei Mal Zweiter.
Vielleicht sind die Chancen auf einen Sieg dort am grössten, weil möglich ist, dass Weltmeister Tadej Pogacar auf die Flèche Wallone verzichtet, und nur das Amstel Gold Race und Lüttich-Bastogne-Lüttich bestreitet, wie Tudor-Teamchef Raphael Meyer vermutet. Allerdings steht der Weltmeister auf der Startliste, wie sein Teamkollege, der Schweizer Jan Christen, der nach einem Schlüsselbeinbruch Anfang März in den Renntross zurückkehrt.
Tadej Pogacar hat in diesem Jahr zwar schon bei der Strade Bianche und bei der Flandern-Rundfahrt gewonnen, zwei seiner grössten Saisonziele aber verpasst: Sowohl bei Mailand-Sanremo als auch bei seiner Premiere bei Paris-Roubaix verpasste er seine ersten Siege. Beide Male musste er sich Mathieu Van der Poel geschlagen geben, der nun eine Pause einlegt.
Alle Ardennen-Klassiker hat Pogacar schon gewonnen: 2023 das Amstel Gold Race und die Flèche Wallone, 2021 und im Vorjahr Lüttich-Bastogne-Lüttich. Wobei er mit «La Doyenne» (die Älteste), wie das Rennen heisst, weil es 1892 erstmals ausgetragen worden war und das älteste Monument des Radsports ist, auch schon unliebsame Erfahrungen gemacht hat.
2023 stürzte der Slowene abseits der Kameras, erlitt einen Kahnbeinbruch in der linken Hand, musste operiert werden und sechs Wochen pausieren, was die Vorbereitung auf die Tour de France massgeblich beeinträchtigte. Damals blieb Pogacar im Sommer gegen Jonas Vingegaard ohne Chance.
Wer darauf hofft, Pogacar würde deswegen mit angezogener Handbremse fahren, dürfte sich täuschen, wie sein animierter Auftritt bei Paris-Roubaix zeigte, wo er bis 30 Kilometer vor dem Ziel um den Sieg fuhr, ehe er eine Rechtskurve verpasste und das Velodrom letztlich als Zweiter erreichte.
Tudor-Teamchef Raphael Meyer sagt: «Geht es darum, Tadej zu schlagen? Ja, das kann man so sehen.» So gesehen sei es ein Vorteil, mit Hirschi und Alaphilippe zwei Captains im Team zu haben. Beeinflussen könne man aber nur die eigene Leistung, aber nicht jene der Konkurrenz um Pogacar.
Tatsächlich bestehen bei den Tudor-Assen Fragezeichen zum Formstand. Zwar gewann Hirschi zu Saisonbeginn gleich sein erstes Rennen für das neue Team und fuhr schon auf die Ränge 4, 5, 6 und 8 jedoch jeweils bei kleineren Rennen. Weder bei Strade Bianche (Rang 24) noch bei Tirreno-Adriatico und der Baskenland-Runfahrt konnte er Ausrufezeichen setzen.
Alaphilippe wurde als Siegfahrer verpflichtet, fuhr bislang aber noch nicht unter die ersten zehn. Seinen besten Auftritt hatte er bei Paris-Nizza, als er Teamkollege Michael Storer zum Sieg bei der siebten Etappe verhalf.
Allerdings wurden sowohl Hirschi als auch Alaphilippe von Krankheiten zurückgeworfen, die den Franzosen auch dazu zwangen, auf die Flandern-Rundfahrt zu verzichten und stattdessen im Baskenland anzutreten.
Dennoch zeigt sich Tudor-Teamchef Raphael Meyer zufrieden mit den bisherigen Leistungen und Resultaten. Was auch mit Matteo Trentin zu tun haben dürfte, der bei Mailand-Sanremo Neunter wurde und bei der Flandern-Rundfahrt lange in der Spitzengruppe fuhr.
Im Kampf gegen Tadej Pogacar kann es nicht schaden, ein drittes Ass im Ärmel zu haben.