Wann habe ich das letzte Mal ein Foto entwickeln oder es im klassischen Format 10x15 Zentimeter ausdrucken lassen?
Kein blasser Schimmer, wann das war. Fotos habe ich zu tausenden auf meinem Smartphone, 18'626 sind es gerade jetzt, um genau zu sein. Physisch kann ich sie in Büchern ansehen, die ich anfertigen lasse und mit denen ich Verwandte und Bekannte nötige, sie durchzublättern.
Wie selten «normale» Fotos geworden sind, wurde mir kürzlich bewusst, als ich ein Einsteckalbum suchte. In mehreren grossen Kaufhäusern fand ich keines.
Diese Alben sind eine kleine Schatzkiste. Ich sammle darin meine Matchtickets – praktisch, denn sie haben üblicherweise ein ähnliches Format wie klassische Fotos. Zwar gibt es auch einen Markt für gebrauchte Tickets, aber für mich besitzen sie in erster, zweiter und zwölfter Linie rein sentimentalen Wert. Eigentlich verrückt, wenn man bedenkt, dass ein Ticket eigentlich nichts anderes ist als ein Beleg, so wie die Quittung nach einem Einkauf in der Migros.
Unterschiedliche Formate, mal bunt, mal simpel gestaltet und mal elegant – jedes Billet erzählt eine kleine Geschichte. Und weckt die Erinnerungen ans Spiel selber, oder an ein Erlebnis, das vielleicht schon vergessen wurde.
Gut möglich, dass das Album, das meine Frau schliesslich irgendwo aufgestöbert hat, für immer halb leer bleiben wird. Denn wie herkömmliche Fotos und wie Einsteckalben verschwinden auch die Matchtickets – schöne Erinnerungsstücke zum Anfassen gibt es kaum mehr.
Stattdessen gelangt man mittels QR-Code oder einer anderen Technologie auf dem Smartphone ins Stadion. Das hat vor allem für deren Betreiber Vorteile: Sie müssen niemanden mehr an der Kasse bezahlen, haben keine Billetkontrolleure mehr auf der Lohnliste und wissen genau, wer sich das Ticket gekauft hat. Und der Planet gewinnt, wenn weniger Papier bedruckt wird, wobei vielleicht der Stromverbrauch des Smartphones diesen Vorteil wieder aufhebt, wer weiss schon.
Noch vor wenigen Jahren – in einer Übergangsphase, wie ich heute weiss – streunte ich nach dem Abpfiff von Fussballspielen durch die Sitzreihen, um den Abfall auf dem Boden zu durchforsten. Besass ich selber nur ein ausgedrucktes PDF, so liess sich dank der Trüffelhund-Methode noch fast immer ein «echtes» Papierticket für die Sammlung finden.
Doch das ist nun auch vorbei. Jüngst beim Besuch des FC Watford in der zweiten englischen Liga hatte jeder Zuschauer sein Ticket auf dem Smartphone dabei. Nirgends ein Fötzel zu sehen nach Abpfiff. Vermutlich werde ich einen Screenshot meines Tickets im Wallet ausdrucken und fein säuberlich ablegen müssen.
Mir ist bewusst, wie lächerlich das ist. Aber ich kann doch nicht einfach damit aufhören, Souvenirs zu behalten, wenn ich einmal damit angefangen habe! Ich ärgere mich ja nur schon darüber, dass ich die Eintrittskarten aus meiner Kindheit nicht mehr finde. Mögen sie in Frieden in einer verschollenen Schachtel ruhen.
Wobei es nicht nur ein Problem ist, dass es in absehbarer Zeit überhaupt keine Matchtickets mehr geben wird. Es ist nämlich auch so, dass viele von denen, die es gibt, mit den Jahren verblassen. Meine Billets bewahre ich in Einsteckalben auf, die kein Tageslicht sehen. Trotzdem hat es zahlreiche Exemplare, bei denen nur noch bruchstückhaft zu lesen ist, wer da gegen wen antrat.
So muss sich ein Archäologe fühlen, wenn er in der ägyptischen Wüste Tonscherben findet. Wobei der mit Glück noch einige Hieroglyphen entziffern kann. Bei den Matchtickets sieht es hingegen übel aus, selbst wenn ferne Forscher es schaffen könnten, in Luft aufgelöste Tinte wieder sichtbar zu machen.
Fakt ist, dass wir in der Gegenwart Zeuge davon werden, wie ein kleines, aber feines Kulturgut verschwindet. Der betroffene Bevölkerungsanteil ist gering, und das Problem ist nicht weltbewegend.
Aber das Matchticket war ja nur der Anfang. Als Nächstes verschwindet vielleicht das Bargeld, dann das Handschriftliche, später die Unterschrift. Und irgendwann erinnern sich unsere Kinder und Enkel an ein Leben mit greifbaren Dingen, so wie wir uns an Kassetten erinnern – mit einem Lächeln, das nicht mehr weiss, wie sich das Anfassen eigentlich anfühlte.
Ich für meinen Teil werde also weiterhin meine Alben füllen. Wenn es sein muss auch mit ausgedruckten Screenshots.
Zeig uns in den Kommentaren dein Lieblings-Ticket, oder das allerschönste Billet aus deiner Sammlung, oder eines, mit dem du ganz besondere Erinnerungen verbindest!