Sport
Velo

Wie Swiss Cycling 13 Rad-Talente aus der Ukraine evakuiert hat

In Schweizer Trikots trainieren die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer in Grenchen.
In Schweizer Trikots trainieren die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer in Grenchen.bild: swiss cycling

«Schwer zu ertragen» – wie Swiss Cycling 13 Talente aus der Ukraine evakuierte

Der Geschäftsführer von Swiss Cycling erzählt, wie er zusammen mit drei Mitarbeitern die Evakuierung von 13 ukrainischen Velotalenten erlebt hat.
04.03.2022, 21:3405.03.2022, 07:08
Rainer Sommerhalder / CH Media
Mehr «Sport»

21 Stunden hin, 21 Stunden zurück. Der Weg an die polnisch-ukrainische Grenze, wo 13 ukrainische Bahnrad-Talente in der Wohnung eines Trainers auf eine Evakuierung vor dem Krieg im eigenen Land warten, ist lang und kurz zugleich.

Wenige Stunden vergehen zwischen dem ersten Hilferuf eines mit Thomas Peter befreundeten ukrainischen Junioren-Nationaltrainers am Montagmorgen und dem Aufbruch des Swiss-Cycling-Geschäftsführers gemeinsam mit drei Mitarbeitern in zwei Bussen.

Zuerst ist die Rede von sechs Talenten und einer möglichen Evakuierung nach Italien. Danach verdichten sich die Informationsfetzen. «Aber ich wusste trotzdem nicht genau, was uns dort im Osten Polens erwarten würde», sagt Peter am Tag nach der Rückkehr. «Es kann sein, dass wir diese Reise vergeblich machen», sagt er zu seinen Kollegen bei der Abfahrt. Es war der Aufbruch zu einer ungewissen Mission.

«Irgendwie setzte sich mein ‹harter Gring› durch»

Thomas Peter blickt auf eine langjährige Laufbahn im Radsport. Er hat sich mit seiner offenen und zuverlässigen Art ein beeindruckendes Netzwerk von Velo-Freunden in ganz Europa geschaffen. Unterwegs verlinkt er sogar zwei ukrainische Trainer, die für die gleichen Sportlerinnen und Sportler unabhängig voneinander ebenfalls Rettungsmissionen koordinieren. «Vieles verläuft ein wenig chaotisch», sagt Thomas Peter mit einem leisen Schmunzeln.

Ansonsten ist dem 42-Jährigen überhaupt nicht zum Lachen zumute. Auf der polnischen Autobahn überholen die Schweizer Busse Panzer auf Anhängerfahrzeugen. Je näher die Grenze kommt, desto zahlreicher werden die Fahrzeuge mit ukrainischen Nummernschildern. Viele versuchen dem Krieg zu entfliehen.

Auch Thomas Peter verspürt Angst. Tut er das Richtige? Oder ist diese Blitzentscheidung, in den Bus zu steigen und zu helfen, letztlich doch ein Schnellschuss? Er will nicht kopflos agieren. «Aber irgendwie setzte sich mein ‹harter Gring› durch».

Unterkunft in Magglingen

Bald einmal merkt der Berner, dass es richtig war, zu handeln und nicht nur darüber zu reden. Unterwegs organisiert er die ersten Strukturen des zukünftigen Alltags der 13 jungen Sportlerinnen und Sportler. Eine grosse Hilfe ist Matthias Remund, der Direktor des Bundesamts für Sport. Er organisiert die Unterkunft in Magglingen.

Nach der langen Fahrt im Auto folgte schon bald ein erstes Bahntraining im Veldrome von Grenchen.
Nach der langen Fahrt im Auto folgte schon bald ein erstes Bahntraining im Veldrome von Grenchen.bild: swiss cycling

Im Moment, als Peter die 13 jungen Menschen in der kleinen Wohnung des polnischen Radtrainers eng beisammen auf dem Sofa sitzen sieht, weiss er, dass er das Richtige getan hat. «Diese Sportlerinnen und Sportler sind beeindruckend stark und unglaublich tapfer», sagt er. «Und sie sind enorm dankbar.»

Selber miterlebt haben sie den Krieg nicht. Sie befanden sich im Westen des Landes im Trainingslager, als die Russen kamen. Doch einige von ihnen stammen aus der Millionenstadt Charkiw, die zum Zeitpunkt der Abholung bereits unter schwerem Beschuss steht.

Eine Szene auf der Rückfahrt wird Thomas Peter nicht mehr vergessen. Drei der 13 Talente sprechen englisch. Sie übersetzen für die andern. Eine junge Frau ist so etwas wie die Leaderin der Gruppe. Sie sitzt im Bus neben Fahrer Peter. Die jungen Sportlerinnen und Sportler sind regelmässig übers Handy mit ihren Familien in Kontakt. Doch während sieben Stunden erreicht die Beifahrerin ihre Eltern nicht. «Sie versucht während dieser Zeit gefühlt alle drei Sekunden, eine Verbindung aufzubauen. Vergeblich. So etwas ist schwer zu ertragen.»

Vergessen kann den Krieg niemand

Als die Schicksalsgemeinschaft am Mittwochmittag in der Schweiz ankommt, helfen zwei Übersetzer bei der Kommunikation. «Man hat schnell gespürt: Alles, was ein wenig nach Heimat und Vertrautem wirkt, ist für diese jungen Menschen wertvoll», sagt Peter.

Viel reden. Nicht alleine lassen, falls schlimme Nachrichten aus der Heimat kommen. Ein geregelter Tagesablauf. All dies ist nun wichtig, für diese 13 Teenager. Ab Montag werden sie morgens eine Sprachschule besuchen und am Nachmittag trainieren. «Falls wir genügend Velos organisieren können, gehen wir schon am Samstag auf eine längere Ausfahrt», sagt Peter.

Bereits am Donnerstagmorgen ist es der explizite Wunsch der ukrainischen Gäste, auf der Bahn im Tissot Velodrome in Grenchen zu trainieren. Den Krieg zumindest für kurze Zeit verdrängen. Vergessen kann ihn niemand. Die 13 Sportlerinnen und Sportler ebenso wenig wie Thomas Peter.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
1 / 14
Ukraine-Krieg: die Akteure im Überblick
Durch Russlands Angriff auf die Ukraine in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar, ist die jahrelange Ukraine-Krise von einem blossen Konflikt zum Krieg geworden. Wer die wichtigsten Beteiligten sind, erfährst du hier:

Wladimir Putin ist seit 2000 (mit Unterbrechung von 2008 bis 2012) Präsident von Russland. Er sieht die Stabilität seines Systems seit den frühen Jahren seiner Präsidentschaft durch den Westen bedroht und will verhindern, dass die Ukraine Nato-Mitglied wird und eine westlich orientierte Demokratie aufbaut. Am 24. Februar befahl Putin schliesslich den Angriff auf die Ukraine. Offizielle Leitmotive für den Krieg sind die «Demilitarisierung und Entnazifizierung».
... Mehr lesen
Auf Facebook teilenAuf X teilen
TEASER: «Heftigste Explosion» – Ukraine-Korrespondent erlebt Einschlag vor der Kamera
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
3 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Liebu
04.03.2022 23:10registriert Oktober 2020
Es gibt glücklicherweise Verbände und Menschen, die von sich aus handeln.
Einfach nur Grossartig von ihnen.
492
Melden
Zum Kommentar
3
Rekord-Nati-Spieler Ambühl: «Wir lassen nach einer Niederlage nicht den Kopf hängen»
Sein erstes Länderspiel für die A-Nationalmannschaft absolvierte Andres Ambühl 2004. Mittlerweile sind es bereits über 300 und an der kommenden Endrunde in Tschechien könnte der Davoser mit der 19. WM-Teilnahme seinen eigenen Rekord ausbauen. Wir haben ihn im Nati-Training getroffen.

Andres Ambühl weiss gar nicht mehr genau, an wie vielen Weltmeisterschaften er schon teilgenommen hat. Ein Blick ins Archiv zeigt: Falls er es auch in diesem Jahr in den endgültigen Kader für die WM in Tschechien schafft, wird er seine 19. WM-Endrunde bestreiten. Kein anderer Spieler war so oft dabei wie der Bündner.

Zur Story