21 Stunden hin, 21 Stunden zurück. Der Weg an die polnisch-ukrainische Grenze, wo 13 ukrainische Bahnrad-Talente in der Wohnung eines Trainers auf eine Evakuierung vor dem Krieg im eigenen Land warten, ist lang und kurz zugleich.
Wenige Stunden vergehen zwischen dem ersten Hilferuf eines mit Thomas Peter befreundeten ukrainischen Junioren-Nationaltrainers am Montagmorgen und dem Aufbruch des Swiss-Cycling-Geschäftsführers gemeinsam mit drei Mitarbeitern in zwei Bussen.
Zuerst ist die Rede von sechs Talenten und einer möglichen Evakuierung nach Italien. Danach verdichten sich die Informationsfetzen. «Aber ich wusste trotzdem nicht genau, was uns dort im Osten Polens erwarten würde», sagt Peter am Tag nach der Rückkehr. «Es kann sein, dass wir diese Reise vergeblich machen», sagt er zu seinen Kollegen bei der Abfahrt. Es war der Aufbruch zu einer ungewissen Mission.
We saved 13 youth Ukrainian Cyclists and will give them a temporary home in Switzerland. Better than nothing.#StopPutinsWar pic.twitter.com/prFjyJOuXX
— Thomas Peter (@ThomasPeter79) March 2, 2022
Thomas Peter blickt auf eine langjährige Laufbahn im Radsport. Er hat sich mit seiner offenen und zuverlässigen Art ein beeindruckendes Netzwerk von Velo-Freunden in ganz Europa geschaffen. Unterwegs verlinkt er sogar zwei ukrainische Trainer, die für die gleichen Sportlerinnen und Sportler unabhängig voneinander ebenfalls Rettungsmissionen koordinieren. «Vieles verläuft ein wenig chaotisch», sagt Thomas Peter mit einem leisen Schmunzeln.
Ansonsten ist dem 42-Jährigen überhaupt nicht zum Lachen zumute. Auf der polnischen Autobahn überholen die Schweizer Busse Panzer auf Anhängerfahrzeugen. Je näher die Grenze kommt, desto zahlreicher werden die Fahrzeuge mit ukrainischen Nummernschildern. Viele versuchen dem Krieg zu entfliehen.
Auch Thomas Peter verspürt Angst. Tut er das Richtige? Oder ist diese Blitzentscheidung, in den Bus zu steigen und zu helfen, letztlich doch ein Schnellschuss? Er will nicht kopflos agieren. «Aber irgendwie setzte sich mein ‹harter Gring› durch».
Bald einmal merkt der Berner, dass es richtig war, zu handeln und nicht nur darüber zu reden. Unterwegs organisiert er die ersten Strukturen des zukünftigen Alltags der 13 jungen Sportlerinnen und Sportler. Eine grosse Hilfe ist Matthias Remund, der Direktor des Bundesamts für Sport. Er organisiert die Unterkunft in Magglingen.
Im Moment, als Peter die 13 jungen Menschen in der kleinen Wohnung des polnischen Radtrainers eng beisammen auf dem Sofa sitzen sieht, weiss er, dass er das Richtige getan hat. «Diese Sportlerinnen und Sportler sind beeindruckend stark und unglaublich tapfer», sagt er. «Und sie sind enorm dankbar.»
Selber miterlebt haben sie den Krieg nicht. Sie befanden sich im Westen des Landes im Trainingslager, als die Russen kamen. Doch einige von ihnen stammen aus der Millionenstadt Charkiw, die zum Zeitpunkt der Abholung bereits unter schwerem Beschuss steht.
Eine Szene auf der Rückfahrt wird Thomas Peter nicht mehr vergessen. Drei der 13 Talente sprechen englisch. Sie übersetzen für die andern. Eine junge Frau ist so etwas wie die Leaderin der Gruppe. Sie sitzt im Bus neben Fahrer Peter. Die jungen Sportlerinnen und Sportler sind regelmässig übers Handy mit ihren Familien in Kontakt. Doch während sieben Stunden erreicht die Beifahrerin ihre Eltern nicht. «Sie versucht während dieser Zeit gefühlt alle drei Sekunden, eine Verbindung aufzubauen. Vergeblich. So etwas ist schwer zu ertragen.»
Als die Schicksalsgemeinschaft am Mittwochmittag in der Schweiz ankommt, helfen zwei Übersetzer bei der Kommunikation. «Man hat schnell gespürt: Alles, was ein wenig nach Heimat und Vertrautem wirkt, ist für diese jungen Menschen wertvoll», sagt Peter.
Viel reden. Nicht alleine lassen, falls schlimme Nachrichten aus der Heimat kommen. Ein geregelter Tagesablauf. All dies ist nun wichtig, für diese 13 Teenager. Ab Montag werden sie morgens eine Sprachschule besuchen und am Nachmittag trainieren. «Falls wir genügend Velos organisieren können, gehen wir schon am Samstag auf eine längere Ausfahrt», sagt Peter.
Bereits am Donnerstagmorgen ist es der explizite Wunsch der ukrainischen Gäste, auf der Bahn im Tissot Velodrome in Grenchen zu trainieren. Den Krieg zumindest für kurze Zeit verdrängen. Vergessen kann ihn niemand. Die 13 Sportlerinnen und Sportler ebenso wenig wie Thomas Peter.
Einfach nur Grossartig von ihnen.