Urplötzlich war sie wieder da: die Maske. Was hatten doch alle gehofft, dass das omnipräsente Symbol der Pandemie der Vergangenheit angehören würde. Am 1. April war die Maskenpflicht in der Schweiz komplett gefallen, durchatmen angesagt. Doch weil die Tour de Suisse im Corona-Chaos versinkt, gibt sie zumindest dort ein unerwartetes Comeback.
Alexander Wlassow schnappte sich auf der 5. Etappe dank des Tagessiegs am Donnerstag das Leadertrikot bei der Schweizer Rundfahrt. An der Siegerzeremonie zeigte sich der 26-jährige Russe mit einer FFP2-Maske. Beim anschliessenden Interview mit dem Schweizer Fernsehen wollte der diesjährige Sieger der Tour de Romandie diese vorsichtshalber lieber anbehalten. «Ich möchte im Hinblick auf die Tour de France nichts riskieren.» Doch da war es bereits zu spät. Am Freitag wird bekannt: Wlassow hat sich mit Corona infiziert. Die Tour ist für ihn folglich vorbei.
Official Statement; https://t.co/2ldLprsEK5
— Tour de Suisse (@tds) June 17, 2022
Etliche Fahrer sehen sich mit dem gleichen Schicksal konfrontiert. 153 Fahrer haben sich auf die Reise durch die Schweiz gemacht, am Samstag waren nur noch 84 am Start. Von den 69 ausgefallenen Athleten haben sich zwar nicht alle mit dem tückischen Virus infiziert, doch es dürfte wohl die Mehrheit sein. Unter den positiv getesteten befinden sich prominente Namen wie die Schweizer Marc Hirschi (UAE Emirates), Stefan Bissegger (EF Education) sowie Gino Mäder (Bahrain Victorious). Mäder war am Donnerstag wegen Magen-Darm-Problemen ausgestiegen, der positive Test wurde am Tag darauf bekannt.
Als Konsequenz daraus zogen sich mit Alpecin-Fenix, Bahrain Victorious, UAE Team Emirates und Jumbo-Visma gleich vier Teams komplett zurück. Letzteres gab bereits am Donnerstag Forfait. Es sind schwierige Stunden für die Organisatoren, allen voran für Tour-Direktor Olivier Senn. Der 52-Jährige gibt auch zu, dass ihm die Ungewissheit zu schaffen macht. Wer mag es ihm verübeln, ständig klingelt das Telefon und es könnte die Absage eines weiteren Teams bedeuten.
«Wir wurden vom Ausbruch überrascht. Er lässt uns und die Teams ratlos zurück. Niemand kann sich vorstellen, weshalb diese Welle plötzlich auf uns zurollt», so Senn im Gespräch mit dieser Zeitung. Bemerkenswert sei insbesondere, dass lediglich Fahrer und keine Teambetreuer oder solche von der Organisation dem Virus zum Opfer gefallen seien.
Die meisten Teams testen in Eigenregie, manche gar mit täglichen PCR-Tests. Dies beruht jedoch auf Freiwilligkeit. Dem Vorwurf, man habe leichtfertig gehandelt, widerspricht Senn. «Uns war jederzeit bewusst, dass Covid noch präsent ist, auch wenn in der Schweiz keine Massnahmen mehr gelten.» 72 Stunden vor dem Start der Schweizer Rundfahrt mussten alle Fahrer einen negativen Test vorweisen. «Wir haben nach den Vorgaben der UCI (Anm. d. Red. internationaler Radsport-Verband) ein Schutzkonzept erarbeitet. Es wurde vor allem sichergestellt, dass niemand den Athleten zu nahe kommt.»
Nun wird der Kontakt zu den Fahrern auf das Minimum reduziert. Bei der Fahrereinschreibung werden beispielsweise keine Interviews mehr geführt. Der Abstand zwischen Rad-Profis und dem Rest vergrössert. Doch weitere Massnahmen gibt es nicht. Dem ehemaligen Rad-Profi ist bewusst, dass bereits am heute alles wieder anders sein könnte. Vor der Königsetappe am Freitag wurde gar ein Tour-Abbruch in Betracht gezogen. Aber: «Alle Parteien waren sich einig, dass die Rundfahrt fortgeführt werden soll.»
Jakob knows the TdS-GC podest too well, now he wants to keep yellow!! pic.twitter.com/0fNkEXD1wr
— Tour de Suisse (@tds) June 17, 2022
Olivier Senn ist nach wie vor zuversichtlich, dass die Tour de Suisse regulär zu Ende geführt werden kann: «Es gibt keine Mindestzahl von Fahrern, bei der wir der Tour den Stecker ziehen müssen. Der finale Entscheid liegt bei uns.»
Mit dem massiv geschrumpften Feld sinkt natürlich der sportliche Wert. Die Gefahr eines zusätzlichen Imageschadens sieht Senn wegen des Corona-Ausbruchs nicht. Auch bei Schweiz Tourismus ist man auf Anfrage gleicher Meinung. «Die flexible Anpassung auf epidemiologische Entwicklungen gehört seit fast zwei Jahren zum Repertoire von Veranstaltern sowie auch der gesamten Tourismusbranche.»
Es ist zu befürchten, dass sich weitere Fahrer und Teams aufgrund der am 1. Juli startenden Tour de France vorsichtshalber zurückziehen, um das Highlight des Jahres nicht zu gefährden. Trotz allen Widrigkeiten ist Tour-Direktor Senn bereit, um «mit aller Kraft die Tour zu beenden». Doch in den letzten zwei Jahren hat der unsichtbare Gegner namens Covid-19 vor allem eines immer wieder bewiesen: seine Unberechenbarkeit.
Und sportlich gesehen hatte die gestrige Etappe alles zu bieten.
Könnte an der Tour de France dann ähnlich ablaufen. Ist halt so. Auch früher konnte ein "Käfer" ganze Teams auf einen Schlag aus dem Rennen nehmen. Gilt auch für andere Teamsportarten.