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Tour-Dominator Vingegaard und die Erinnerungen an Armstrong und Pantani

19-07-2023 Tour De France Tappa 17 Saint Gervais - Mont Blanc - Courchevel 2023, Jumbo - Visma Vingegaard, Jonas Col De La Loze PUBLICATIONxNOTxINxITAxFRAxNED
Jonas Vingegaard entscheidet die diesjährige Tour de France in Courchevel endgültig zu seinen Gunsten.Bild: www.imago-images.de

Tour-Dominator Vingegaard und die Erinnerungen an Armstrong und Pantani

Jonas Vingegaard steht vor seinem zweiten Sieg an der Tour de France. Der 26-jährige Däne ist eine Klasse besser als die Konkurrenz. Seine Leistungen in den letzten Tagen erinnern an einige der grössten Radprofis der Geschichte.
20.07.2023, 11:3221.07.2023, 12:51
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«D'une autre planète» («Von einem anderen Planeten») titelte die renommierte französische Sportzeitung «L'Équipe» am Mittwoch. Jonas Vingegaard hatte beim Triumph im Zeitfahren mit einer Leistung für die Geschichtsbücher für die Vorentscheidung in dieser Tour de France gesorgt.

Die Titelwahl der Zeitung war wohl kaum Zufall. Dem irischen Ex-Radprofi und heutigen Journalisten Paul Kimmage fiel auf, dass einst bei Lance Armstrong ein fast identischer Titel gesetzt wurde. Mit «Sur une autre planète» («Auf einem anderen Planeten») fasste die Zeitung einen Solosieg des Amerikaners 1999 in Sestrières zusammen.

Tatsächlich liess Vingegaards Zeitfahr-Vorstellung auf den 22,4 Kilometern zwischen Passy und Combloux die Beobachter ungläubig zurück. Wie war es möglich, dass der Däne seinem Rivalen Tadej Pogacar 1:38 Minuten abnahm und der Dritte, Wout van Aert, schon fast drei Minuten einbüsste?

«Mein Radcomputer hat mir so hohe Werte angezeigt, dass ich dachte, er funktioniert nicht richtig», gab Vingegaard zu. Er sei der Beste der normalen Menschen gewesen, scherzte van Aert, sein Teamkollege.

«Ich verstehe die Skepsis»

Dass seine Leistungen angezweifelt werden, kann Vingegaard nachvollziehen. «Um ehrlich zu sein, verstehe ich die Skepsis vollkommen», sagte er am Sonntag. «Wir müssen skeptisch sein nach dem, was in der Vergangenheit passiert ist, sonst würde es wieder passieren.»

Auch Tour-Direktor Christian Prudhomme akzeptiert kritische Fragen zum Leistungsniveau Vingegaards. «Ganz klar, die Fragen hinsichtlich der unterschiedlichen Verdächtigungen sind nicht unberechtigt», sagte er. «Wir leben schon lange damit.»

Vor allem zu Beginn der Frankreich-Rundfahrt wurde in vielen Berichten an ein unschönes Jubiläum erinnert. 25 Jahre ist der Festina-Skandal nun her, als dem Feld das EPO-Doping um die Ohren flog. Der Sieger damals, 1998, war Marco Pantani. «Il pirata» stürmte mit Rekordzeiten die Berge hoch, wurde auch des Dopings überführt und starb 2004 an einer Überdosis Kokain.

Eine Stufe über dem Rest

7,6 Watt pro Kilogramm Körpergewicht während rund 13 Minuten trat Jonas Vingegaard gemäss «Lanterne Rouge» im Zeitfahren die Côte de Domancy hinauf. Ein Wert, den vor ihm an der Tour de France nur Pantani schaffte (7,62 w/kg während neun Minuten).

Watt pro Kilogramm
Die Angabe «W/kg» steht für Watt pro Kilogramm Körpergewicht. Sie ist ein wichtiger Indikator für die Leistungsfähigkeit eines Fahrers beim Bergfahren. Ein höherer Wert zeigt an, dass der Fahrer mehr Watt pro Kilogramm seines Körpergewichts erzeugen kann, was ihm ermöglicht, steilere Anstiege effizienter zu bewältigen. Diese Kennzahl ist entscheidend, um die Leistungen von Radprofis an Aufstiegen zu vergleichen.

Am Mittwoch in der Königsetappe der Tour in den Alpen war Vingegaard ein weiteres Mal eine Stufe über allen anderen. Am letzten Berg, dem steilen Col de la Loze, schaffte er während 33 Minuten 6,21 W/Kg. Der Etappensieger Felix Gall kam ihm mit 5,99 W/Kg am nächsten, der Österreicher bewältigte den Aufstieg eine Minute langsamer. Pogacar, der einbrach und seinem Team «Ich bin durch. Ich bin tot» funkte, konnte nur noch 5,35 W/Kg drücken.

Das Gerücht um den VO2max-Wert

Das alles sind Zahlen, die dafür sorgen, dass Vingegaards Leistungen angesichts der belasteten Geschichte des Radsports zwangsläufig hinterfragt werden. Nach der Königsetappe nahm er ein weiteres Mal dazu Stellung. «Ich verstehe, dass es schwer ist, dem Radsport zu vertrauen», sagte der Däne. «Aber ich denke, dass jeder Fahrer anders ist als die Generation vor zwanzig Jahren. Ich kann aus tiefstem Herzen sagen, dass ich nichts nehme, was ich meiner Tochter nicht geben würde, und ich würde ihr kein Doping geben.»

IMAGO / Panoramic International

COURCHEVEL, FRANCE - JULY 19 : Wife of Vingegaard Jonas (DEN) of Jumbo-Visma during stage 17 of the 110th edition of the Tour de France 2023 cycling race, a stage of 1 ...
Im Ziel warten Partnerin und Kind auf Leader Vingegaard.Bild: IMAGO / Panoramic International

Dass Jonas Vingegaard über einen aussergewöhnlichen Körper verfügt, wusste man indes schon länger. Diskutiert wird oft über seinen VO2max-Wert, der angeblich einmal mit 97 gemessen wurde.

VO2max
Der Wert «VO2max» steht für die maximale Sauerstoffaufnahme eines Athleten während körperlicher Aktivität und wird üblicherweise in Milliliter pro Minute pro Kilogramm Körpergewicht (ml/min/kg) gemessen. Es ist ein Mass für die aerobe Ausdauerleistungsfähigkeit. Ein höherer VO2max-Wert bedeutet, dass der Athlet mehr Sauerstoff pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen und nutzen kann, was seine Fähigkeit verbessert, Ausdauerbelastungen wie Bergfahren zu bewältigen.

Die VO2max-Daten sind nicht offiziell, zudem gibt es verschiedene Messmethoden und es kommt immer auf die Testumstände an: Nach einem Höhentraining kommt ein anderer Wert heraus als nach drei Wochen Tour de France. Merijn Zeeman, Sportdirektor beim Team Jumbo-Visma, verweist Vingegaards Wert von 97 daher ins Reich der Fabeln. «Ich habe noch nie einen so hohen Wert bei jemandem gemessen», sagte er gegenüber «Het Laatse Nieuws». Aber selbst wenn Vingegaards Wert ein wenig tiefer sein sollte, wäre er immer noch enorm hoch. Die höchste von Armstrong bekannte Marke ist 85, jene von Pantani 84 und jene von Pogacar 89,4.

Denmark's Jonas Vingegaard, wearing the overall leader's yellow jersey, grimaces as he crosses Joux Plane pass ahead of Slovenia's Tadej Pogacar, wearing the best young rider's whi ...
In diesem Jahr war Vingegaard für Pogacar (hinten) nicht zu packen.Bild: keystone

«Wir sind noch nicht in Paris»

Der slowenische Herausforderer Pogacar lag bis vor dem Zeitfahren praktisch gleichauf mit Vingegaard. Doch offenbar geschwächt konnte er nun nicht mehr mithalten. In der Gesamtwertung liegt er 7:35 Minuten zurück auf Rang 2. «Über diesen Vorsprung bin ich erleichtert», sagte Vingegaard. «Aber wir sind noch nicht in Paris, es gibt noch einige schwierige Etappen.»

Damit übertrieb es der Träger des Maillot Jaune aber ein wenig. Heute Donnerstag und morgen Freitag stehen Flachetappen auf dem Programm und die letzte Etappe am Sonntag wird zur Triumphfahrt. Eine tatsächliche Herausforderung bildet für Jonas Vingegaard nur noch das samstägliche Teilstück, ein Auf und Ab in den Vogesen. Wenn er nicht stürzt, ist ihm der zweite Gesamtsieg nach 2022 nicht mehr zu nehmen.

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Fabian Cancellara: 29 Tage – Tour de France 2004, 2007, 2009, 2010, 2012, 2015.
quelle: epa / nicolas bouvy
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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dino W.
20.07.2023 12:22registriert April 2019
Zwischen Pantani und Vingegaard liegen auch 25 Jahre Fortschritte bei Material, Trainingslehre, Ernährung, (legaler) Sportmedizin etc.

Ich will damit nicht sagen, dass ich den Herren 100% vertraue, aber aus diesem Direktvergleich einen Verdacht abzuleiten, finde ich schwierig und etwas zu kurz gegriffen.
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Triumvir
20.07.2023 12:34registriert Dezember 2014
Armstrong und Pantani wurden auch lange Zeit beim dopen nicht erwischt. Ein Schelm der Böses dabei denkt...Kann ein Sportler tatsächlich vergleichbare Leistungsdaten wie die Beiden Doper komplett ohne Doping erreichen? Ich bin und bleibe da skeptisch...
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Machiavellii
20.07.2023 11:58registriert Mai 2022
Dazu muss man auch noch sagen, dass bevor Pogacar die Tour mit 21 gewann, waren sich Trainer und Sportmediziner einig, dass es unmöglich sei in diesem Alter die Tour de France zu gewinnen. Zu wenig Zeit um auf die nötigen Trainingskilometer zu kommen und um den Körper an solche Strapazen zu gewöhnen. Und wenn man weiss, wer sein sportlicher Leiter ist... Zumal Pogacar nicht als Ausnahmetalent galt. Von daher bin und war ich sehr skeptisch, was Leistungen wie die von Pogacar und jetzt Vingegaard betrifft. Trotzdem ist es halt ein Spektakel, welches die Massen bewegt, da besteht kein Zweifel.
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