Selbstbewusst sitzt Mauro Schmid am Montag in Dielsdorf in einer Runde mit Journalisten. Keine Spur von den erst 22 Jahren und davon, dass er erst seine zweite Saison bei den Profis bestreitet. Der Zürcher Unterländer ist einer, der weiss, was er will.
Noch vor einem Jahr war Schmid erst Eingeweihten ein Begriff. Ein grosses Talent, das auch dank der Vermittlung durch Fabian Cancellara bei Qhubeka Assos unterkam, einem eher kleinen und finanzschwachen Profiteam. Doch für dieses durfte er schon nach wenigen Monaten gleich seine erste dreiwöchige Rundfahrt bestreiten – und Schmid packte die Gelegenheit beim Schopf.
Er strich sich die 11. Etappe des Giro d'Italia, die teils über Schotterstrassen in der Toskana führte, dick an. Als der Tag kam, war er bereit, körperlich und geistig. Und als die Ziellinie in Montalcino näher rückte, kamen von der ursprünglichen Fluchtgruppe nur noch er und der Italiener Alessandro Covi für den Sieg in Frage. Schmid war im Sprint stärker und feierte seinen ersten Erfolg als Profi gleich bei einem der berühmtesten Rennen der Welt.
«Man wird danach von den anderen Fahrern eher erkannt und anerkannt», sagt Schmid. «Es ist schon etwas Spezielles, wenn einem Kindheits-Idole wie Geraint Thomas oder Chris Froome zum Sieg gratulieren.»
«Sicher habe ich seither noch ab und zu daran gedacht», gibt Schmid zu, «aber ich hatte seither auch noch andere Ziele und Rennen.» Der Sieg sei zwar sein Durchbruch gewesen und habe ihm dabei geholfen, der Fahrer zu werden, der er jetzt sei. «Aber ich möchte nicht darauf reduziert werden. Es ist mir wichtig, dass es nicht nur heisst: ‹Ja ja, der hat einmal eine Etappe am Giro gewonnen.›»
Er sei deshalb froh, dass es ihm schon früh in dieser Saison gelungen ist, erneut ein Rennen zu gewinnen. «Das zeigte, dass ich letztes Jahr nicht einfach nur einen sehr guten Tag hatte, sondern dass ich generell dazu in der Lage bin, gute Resultate zu erzielen.»
Den 22. März zeigte der Kalender an, als Schmid die 1. Etappe der Settimana Internazionale Coppi e Bartali gewann. Das ist kein Rennen der höchsten Kategorie, aber mit Fahrern wie Mathieu van der Poel, Geraint Thomas, Vincenzo Nibali oder Marc Hirschi war es trotzdem stark besetzt. Schmid gewann das Teilstück dieses Mal nicht dank langer Vorausfahrt, sondern dank eines Angriffs in der Endphase.
Das machte den Erfolg für ihn speziell. «Im Finale des ganzen Feldes das taktische Gespür dafür zu haben, wann man angreifen muss, dann auch tatsächlich der Stärkste zu sein und sich absetzen zu können – da habe ich einen grossen Schritt in die richtige Richtung gemacht, indem ich gemerkt habe, wo meine Stärken im Vergleich zur Konkurrenz sind.»
Er sei nun ein selbstbewussterer Rennfahrer und gehe die Aufgaben anders an. Auch an der Tour de Romandie sei er nicht bloss gefahren, um ein gutes Ergebnis zu erzielen, sondern «auf Sieg». Diese Einstellung verwundert wenig, wenn man das Team kennt, für das Mauro Schmid fährt.
Denn der Giro-Etappensieg, die Leistungen bei weiteren Einsätzen und Schmids Potenzial brachten ihm einen Zwei-Jahres-Vertrag bei Quick-Step Alpha Vinyl ein. Das ist nicht irgendein Team, sondern darf getrost als «FC Bayern München des Radsports» bezeichnet werden. Die belgische Equipe ist seit vielen Jahren höchst erfolgreich.
«Bei uns zählt der Sieg und sonst ist man nicht zufrieden», sagt Schmid, der am liebsten einmal Strade Bianche gewinnen würde, denn auch. Das werde einem zwar nicht eingetrichtert, «aber man bemerkt es sehr rasch, dass es die Ambition ist, jedes Rennen zu gewinnen. Auch wenn wir wissen, dass wir vielleicht nicht das beste Team am Start haben, wollen wir wenigstens etwas versuchen.» Im vergangenen Jahr resultierten für das «Wolfpack» von Quick-Step 65 Siege, in diesem Jahr steht die Equipe auch schon wieder bei 19.
Bevor er sich zum ersten gemeinsamen Trainingslager aufgemacht habe, habe er nicht gewusst, was ihn erwarte, schildert Schmid. Ein grosses Team, viele grosse Fahrer. «Doch wir haben eine coole Stimmung und einen guten Teamgeist, der wahrscheinlich unser Erfolgsrezept ist.» Jeder sei motiviert, für den Kollegen zu fahren und nicht nur ans eigene Abschneiden zu denken. «Wenn wir am Morgen entscheiden, für Julian Alaphilippe oder Remco Evenepoel zu fahren, stehen alle voll dahinter und es freuen sich auch alle, wenn der Plan am Ende aufgeht.»
Nun am Giro d'Italia ist ein anderer Weltstar des Radsports im Fokus: Mark Cavendish. Das Hauptziel von Quick-Step sind Etappensiege des britischen Sprinters. Schmids Aufgabe ist es, auf den Flachetappen Helferdienste zu verrichten, bis es zum Massensprint kommt. «Bei den anderen Etappen sind die Freiheiten ziemlich gross.»
Fünf bis acht Etappen einer dreiwöchigen Rundfahrt werden in der Regel von Ausreissern gewonnen, das weiss Schmid. «Es hat sicher zwei, drei Teilstücke, die mir liegen. Ich werde bestimmt versuchen, in einer Spitzengruppe vertreten sein. Aber ich werde nur dann mitgehen, wenn die Chance besteht, mit der Gruppe ins Ziel zu kommen. Ich muss nicht nach vorne, nur damit ich ins Fernsehen komme.»
Von seiner Form sei er positiv überrascht, sagt Schmid. Anfangs April war er eine Woche krank und konnte nicht trainieren. Zuletzt an der Tour de Romandie konnte er dennoch überzeugen, bis zur Bergetappe am zweitletzten Tag lag er auf Gesamtrang 4. Nach dem Giro d'Italia steht für den 22-Jährigen dann ein Heimspiel an: Für die Tour de Suisse Mitte Juni steht Mauro Schmid im provisorischen Aufgebot seiner Mannschaft.