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Letztes Rennen von Muriel Furrer: Eine Dokumentation in Bildern

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Bild: bildschirmaufnahme

Tag der Trauerfeier: Was diese Bilder über das letzte Rennen von Muriel Furrer verraten

Bereits vor ihrem fatalen Unfall in einem Waldstück muss Muriel Furrer zwei Mal verhindern, dass sie in einen Sturz verwickelt wird. Auffällig ist auch die Befestigung des Velocomputers. CH Media dokumentiert das letzte Rennen detailliert mit Bildern und Videos. Das sind unsere Beobachtungen.
08.11.2024, 12:0108.11.2024, 16:24
Simon Häring / ch media
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Wie ein grauer Schleier legen sich Wolken und Nebel über das Zürcher Oberland. Es ist kühl und der Atem verdampft in der frühmorgendlichen Kühle des Spätsommers. Erste Regentropfen trommeln auf den Asphalt, während über Uster die Rotoren eines Helikopters rattern. 14 Grad zeigt das Thermometer, ein leichter Wind bläst. An diesem Tag im September fahren die U19-Juniorinnen bei der Rad-Weltmeisterschaft in Zürich um Medaillen. Und es ist der Tag, an dem Muriel Furrer schwer stürzt.

Trauerfeier um 14 Uhr
Heute Nachmittag um 14 Uhr, sechs Wochen nach ihrem Tod, findet in Uster der Abschiedsgottesdienst für Muriel Furrer statt. Neben Familien und Freunden werden auch zahlreiche Leute aus dem Radsport für die Trauerfeier erwartet.

CH Media hat die TV-Aufnahmen und Bilder des Rennens noch einmal minutiös analysiert und rekonstruiert die letzte Fahrt Muriel Furrers. Mit neuen Beobachtungen und Erkenntnissen, aber auch Fragen, die wohl unbeantwortet bleiben. Das Protokoll des tragischen 26. Septembers.

FURRER Muriel: UCI Road cycling, Rad, Radsport, Strasse World Championships - Zürich 2024 FURRER Muriel SUI Switzerland Querformat - quer - horizontal - Landscape - Event/Veranstaltung: UCI Road Cycli ...
Muriel Furrer schreibt sich in die Startliste ein.Bild: IMAGO/frontalvision.com

08.48 Uhr: Unweit ihres Wohnorts Egg schreibt sich Furrer ein. Trotz des nasskalten Wetters stehen viele Menschen beim Startgelände bei der Stadthalle Uster. Am Strassenrand stehen auch Furrers Eltern. Sie haben zwei Kartons beschriftet, einen mit «Go Muriel», den anderen mit «Hopp Muriel». Über der Abschrankung platzieren sie eine Schweizer Fahne.

09.53 Uhr: Wegen des garstigen Wetters zieht sich Furrer eine Jacke und Handschuhe über. Auffällig: Furrers Velocomputer hängt nach vorne. Kurz vor 10.00 Uhr nimmt das Feld die 1,4 Kilometer bis zum eigentlichen Start in Angriff, vorbei an der reformierten Kirche Uster, wo anderthalb Monate später die öffentliche Trauerfeier für Furrer stattfinden wird.

Muriel Furrer bereitet sich auf den Start des U19-WM-Rennens vor.
Bild: screenshot

10.02 Uhr: Unter den 120 Fahrerinnen sind vier Schweizerinnen: Chiara Mettier, Shirin Städler, Lara Liehner und Muriel Furrer. Zu bewältigen sind 73,5 Kilometer, das Ziel befindet sich auf dem Zürcher Sechseläutenplatz. Als das Rennen auf der Riedikerstrasse freigegeben wird, hält sich Furrer im Mittelfeld auf. Die Deutschen und die Holländerinnen verschärfen das Tempo. Bereits nach wenigen hundert Metern und im ersten Kreisverkehr stürzen die Französin Mélanie Dupin und die Litauerin Mante Bidvaite. Furrer befindet sich in unmittelbarer Nähe, kann aber ausweichen.

Kurz nach dem Start halten sich die vier Schweizerinnen im vorderen Mittelfeld auf (am unteren Bildrand zu sehen).
Kurz nach dem Start halten sich die vier Schweizerinnen im vorderen Mittelfeld auf (am unteren Bildrand zu sehen).Bild: screenshot

10.15 Uhr: Bereits auf den ersten flachen Kilometern der Runde um den Greifensee verlieren erste Fahrerinnen den Anschluss ans Péloton. Die Rennleitung lässt erste Teamfahrzeuge überholen. Der Blick unter den Sattel der Fahrerinnen offenbart, dass dort bei allen GPS-Tracker montiert sind. Im Team Managers Meeting im Vorfeld der Weltmeisterschaften war noch vorgesehen gewesen, dass bei den Juniorinnen nur Transponder eingesetzt werden, die an der Gabel des Vorderrads zu befestigen sind.

Eine früh abgehängte Kolumbianerin versucht, den Windschatten eines Fahrzeugs auszunutzen. Unter dem Sattel ist ein GPS-Tracker befestigt.
Eine früh abgehängte Kolumbianerin versucht, den Windschatten eines Fahrzeugs auszunutzen. Unter dem Sattel ist ein GPS-Tracker befestigt.Bild: Screenshot

10.18 Uhr: Furrer arbeitet sich auf der rechten Seite an die Spitze des Feldes vor, was ein Hinweis darauf ist, dass sie als Helferin vorgesehen war. Mehrfach hantiert Furrer dabei an ihrem Velocomputer herum. Ungeklärt ist, ob die Einstellung sie allenfalls irritiert haben könnte.

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Furrer (hier links neben dem Mittelstreifen) greift an ihren Velocomputer.Bild: bildschirmaufnahme

10.40 Uhr: Nach einer Runde um den Greifensee führt die Strecke in die Ortschaft Binz auf der Ostseite des Pfannenstiels in die erste Steigung mit 137 Höhenmetern auf 1,5 Kilometern. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Furrer im vorderen Viertel des Feldes, als die Britin Imogen Wolff das Hinterrad jener Fahrerin touchiert, die direkt hinter Furrer fährt, von der Strasse abkommt und im Strassengraben landet. Furrer nimmt den Vorfall wahr, dreht den Kopf kurz nach rechts und setzt danach ihre Fahrt fort.

Verdeckt am linken Bildrand verliert die Britin Imogen Wolff die Kontrolle über ihr Fahrrad. Furrer fährt, ebenfalls verdeckt, unmittelbar vor ihr.
Verdeckt am linken Strassenrand verliert die Britin Imogen Wolff die Kontrolle über ihr Fahrrad. Furrer fährt, ebenfalls verdeckt, unmittelbar vor ihr.Bild: screenshot

Nur wenige hundert Meter später, in einer kurzen Abfahrt, landen weitere drei Fahrerinnen auf dem Asphalt, diesmal direkt vor Muriel Furrers guter Freundin Lara Liehner, die mit dem linken Fuss aus dem Klickpedal gehen und auf der Strasse aufsetzen muss, um einen Sturz zu verhindern.

Furrer (Dritte von links) setzt den linken Fuss auf die Strasse.
Liehner (Dritte von links) setzt den linken Fuss auf die Strasse.Bild: screenshot

10.49 Uhr: Am Ortseingang des zur Gemeinde Maur gehörenden Dorfes Ebmatingen wird Muriel Furrer zum letzten Mal von den TV-Kameras eingefangen. Unterwegs ist die 17-Jährige zu diesem Zeitpunkt in einer Vierergruppe, wenige Meter dahinter die Österreicherin Ramona Griesser.

Furrer fährt in einer Vierergruppe am linken Strassenrand.
Bild: screenshot

10.59 Uhr: In einer kurzen, aber 18 Prozent steilen Steigung zwischen Zumikon und Küsnacht entsteht das mutmasslich letzte Bild von Muriel Furrer. Unterwegs ist sie mit der Österreicherin Ramona Griesser. Noch ist es gut einen Kilometer bis zum Waldstück, in dem der Unfall passierte.

2024 UCI Road and Para-cycling Road World Championships Picture by Alex Whitehead/SWpix.com - 26/09/2024 - Cycling - 2024 UCI Road and Para-cycling Road World Championships - Zurich, Switzerland - Jun ...
Muriel Furrer in der Steigung, der Velocomputer hängt nach vorne, unter dem Sattel ist ein GPS-fähiger Tracker montiert.Bild: IMAGO/SW Pix

11.03 Uhr: Rund 400 Meter vor der mutmasslichen Unfallstelle entsteht ein Video, das dem «Blick» zugespielt worden ist. Die Zeitung beschreibt die Situation wie folgt: «Zuerst kommen zwei Fahrerinnen. Eineinhalb Sekunden später erscheint eine Fahrerin, an ihrem Hinterrad Furrer. Mit leichtem Rückstand, aber mit Sichtkontakt zur Schweizerin, folgen dann erst einzeln zwei Fahrerinnen und danach ein Dreier-Grüppchen. Acht Sekunden nach Furrer passiert die Österreicherin Griesser diese Stelle. Nach vier weiteren Fahrerinnen folgen zahlreiche Begleitfahrzeuge.»

Als die Spitzengruppe die Linkskurve passiert, ist ein Zivilschützer am rechten Strassenrand beim Kurvenausgang platziert, rund 200 Meter weiter unten stehen zwei weitere Zivilschützer.

Drei Zivilschützer sichern die Linkskurve in der Abfahrt.
Drei Zivilschützer sichern die Linkskurve in der Abfahrt.Bild: Screenshot

Auch rund 30 Sekunden später, als die Verfolgerinnen, darunter Lara Liehner, die Stelle passieren, sind drei Zivilschützer dort postiert.

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Bild: screenshot

11.04 Uhr: 20 bis 30 Sekunden später muss Furrer in einem Waldstück in einer Abfahrt beim Weiler Schmalzgrueb in einer leichten Linkskurve gestürzt und ins dichte Unterholz gerutscht sein. Obwohl sie nicht alleine unterwegs war, deutet alles darauf hin, dass ihr Sturz im Regen auf der schmalen und nassen Strasse von niemandem beobachtet wird. Gemäss «Blick» soll eine Konkurrentin im Augenwinkel wahrgenommen haben, dass Furrer von der Strasse abgekommen sein könnte.

11.10 Uhr: Die Spitzengruppe passiert ein erstes Mal die Verpflegungszone beim Bahnhof Tiefenbrunnen. Auf den TV-Bildern nicht zu erkennen und nicht bekannt ist, ob die Schweizer Box zu diesem Zeitpunkt besetzt ist. Vier Minuten später überquert die Spitzengruppe erstmals die Ziellinie. Furrer ist eine von zwei Fahrerinnen, die die Zwischenzeit nicht auslösen.

In Rot gekleidet: Schweizer Helfer in der Verpflegungszone in Witikon.
In Rot gekleidet: Schweizer Helfer in der Verpflegungszone in Witikon.Bild: Screenshot

11.29 Uhr: Das Feld erreicht die Verpflegungszone in Witikon. Am Ende sind, mit einem Abstand von zirka 30 Metern, zwei Helfer des Schweizer Teams postiert, um die Fahrerinnen mit Getränken zu versorgen.

11.45 Uhr: Die Spitzengruppe fährt auf ihrer zweiten Runde an der mutmasslichen Unfallstelle vorbei. Es ist nichts von einem Unfall zu sehen. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter. Denn hinter diesen Bäumen liegt zu diesem Zeitpunkt die schwer verletzte Muriel Furrer.

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11.58 Uhr: Die Britin Cat Ferguson erreicht als Erste den Sechseläutenplatz in Zürich und krönt sich zur Weltmeisterin. 31 Minuten nach ihr überquert mit der Inderin Harshita Jakhar die letzte Fahrerin des U19-Rennens die Ziellinie. Neun Fahrerinnen erreichen diese nicht, darunter Furrer. Sie und die weiteren Ausgeschiedenen werden wie gewohnt als DNF bezeichnet (Did not finish, nicht im Ziel). Der Radsportweltverband UCI versieht das Endergebnis mit dem Zeitstempel von 12.33 Uhr.

Als die Spitzengruppe die Verpflegungszone beim Bahnhof Tiefenbrunnen zum zweiten Mal passiert, ist die Schweizer Box nicht besetzt.
Als die Spitzengruppe die Verpflegungszone beim Bahnhof Tiefenbrunnen zum zweiten Mal passiert, ist die Schweizer Box nicht besetzt.Bild: Screenshot

12.15 Uhr: Auf dem Zürcher Münsterhof werden die beiden Paracycling-Rennen der Kategorien Männer C4-C5 und Männer C3 gestartet. Ihr WM-Lauf führt ebenfalls über den City Circuit.

12.45 Uhr: Als die Paracycling-Fahrer an der mutmasslichen Unfallstelle von Furrer vorbeifahren, stehen dort zwei Krankenwagen, ein Polizeiauto, ein Auto von Swiss Cycling und ein weiteres Begleitfahrzeug. Lange sind sie wohl noch nicht dort. Denn vier Tage nach dem Unfall sagt Rolf Jäger, der Mediensprecher der Zürcher Staatsanwaltschaft, gegenüber «Tele Züri»: «Der Sicherheitsdienst hat die Strecke nach dem Rennen abgefahren, man hat nach ihr gesucht und sie dann gefunden.»

12.52 Uhr: In Dübendorf startet ein Rega-Rettungshelikopter in Richtung Unfallstelle, fast zwei Stunden nachdem Furrer gestürzt ist. Vier Minuten später landet der Helikopter unterhalb des Waldstücks auf einer Wiese. WM-Renndirektor Olivier Senn sagt später: «Innert Minuten nach dem Eingang der Unfallmeldung war der Arzt samt Rettungswagen vor Ort und begann mit der Erstversorgung. Auch der Rettungshelikopter stand bereit.»

13.32 Uhr: Nachdem Muriel Furrer stabilisiert und transportfähig gemacht wurde, wird sie zum Landeplatz des Helikopters gefahren und der Helikopter hebt ab. Drei Minuten später landet er beim Zürcher Unispital.

18.32 Uhr: In einer gemeinsamen Mitteilung geben die UCI, Swiss Cycling und das Organisationskomitee bekannt, dass die Zürcherin während des Rennens schwer gestürzt ist. «Sie erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und befindet sich in einem sehr kritischen Zustand.»

Am Tag darauf, einem Freitag, teilen die UCI und Swiss Cycling mit, dass Muriel Furrer an den Folgen der schweren Verletzung verstorben ist, die sie beim Sturz am Tag zuvor erlitten hatte. Furrer wurde nur 18 Jahre alt. (aargauerzeitung.ch)

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quelle: ap/ap / christophe ena
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