Velofahren ist sein Leben. Weit über 100 Mal sass er in diesem Jahr im Sattel, fast jeden dritten Tag. Dabei legte er eine Strecke von knapp 7000 Kilometern zurück. Unterwegs ist der Mann meistens im unteren Aaretal, unweit der Grenze zu Deutschland. Hier, in einer kleinen Aargauer Gemeinde, wohnt er auch, mit Sicht auf ein Schloss und die Aare.
Auch im Winter sitzt der Hobbyradler, der seinen Lebensunterhalt als Elektroinstallateur verdient und einen kleinen Handwerksbetrieb hat, regelmässig im Sattel. Dafür nimmt er weite Reisen in Kauf. Anfang Jahr weilte er während zehn Tagen im Süden Sri Lankas. Auch in Thailand war er schon mit dem Fahrrad unterwegs. Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr verbringt er fast schon traditionell auf Mallorca, auf dem Velo.
Zuweilen nimmt der Aargauer an Rennen teil. Wie im Sommer 2022, als er bei der Tour Transalp startete. In sieben Etappen absolvierten die Fahrer 609 Kilometer und überwanden 15'900 Höhenmeter. Die Tour führte vom Reschensee in Österreich nach Italien an den Gardasee. Dabei waren unter anderem der Ofenpass, das Stilfser Joch, mit 2757 Metern über Meer der zweithöchste durch eine asphaltierte Strasse erschlossene Pass in den Alpen, der Mortirolo und der Passo di Foscagno zu bewältigen.
Seine Ausfahrten dokumentiert der sportliche Aargauer fein säuberlich auf der vor allem bei Velofahrern und Joggern beliebten Fitness-App Strava.
Zugeknöpfter gibt sich der 54-Jährige bei Fragen zu seiner Vergangenheit. 2009 verweigerte er bei einem Rennen eine Dopingprobe und wurde zwar zunächst freigesprochen. Doch der Radweltverband UCI akzeptierte dieses Urteil nicht und zog den Fall an den Internationalen Sportgerichtshof CAS weiter, der den damals 39-Jährigen 2010 für zwei Jahre gesperrt hat.
Kurz nach Ablauf dieser Sperre wurde ihm in einer unangekündigten Trainingskontrolle der Gebrauch von Testosteron nachgewiesen. Für sein zweites Vergehen wurden dem Amateur acht Jahre Sperre auferlegt.
Das alles scheint den Aargauer nicht zu kümmern. 2018 wurde er wegen der unerlaubten Teilnahme an Wettkämpfen für vier Jahre gesperrt. Nun, im Oktober, wurde er für acht Jahre bis 2033 gesperrt, weil er vor zwei Jahren an der besagten Tour Transalp teilgenommen hatte. Dazu muss er 5000 Franken Busse, die Verfahrenskosten und eine Parteientschädigung in der Höhe von 1500 Franken an Swiss Sport Integrity bezahlen.
Lebenslänglich wegen Dopings gesperrt sind in der Schweiz nur zwei Sportler: ein Gewichtheber, der Anfang des Jahrtausends innert dreier Jahre dreimal positiv getestet worden war. Und ein Sportschütze, der zahlreiche Substanzen importierte, um diese aus Profitgier weiterzuverkaufen.
Das Problem: Verstösse gegen das Teilnahmeverbot können mit Sperren von bis zu acht Jahren sanktioniert werden, aber nicht lebenslänglich.
Mit einem kurzen Unterbruch seit 2010 und neu bis mindestens 2033 von Wettkämpfen ausgeschlossen ist der Aargauer – und damit so lange wie niemand anderes. Heisst: Ein Amateursportler ist der am längsten gesperrte Dopingsünder der Schweiz. Und dazu offenbar uneinsichtig.
Gegenüber den Dopingbehörden hat sich der Beschuldigte nicht zu den Vorwürfen geäussert. Und als CH Media ihn telefonisch erreicht, um zu fragen, weshalb er seine Sperren ignoriert, gibt er freundlich zu verstehen, dass er lieber nichts dazu sagen, geschweige denn darüber lesen wolle.
Besonders dreist: An all diesen Wettkämpfen nahm der Aargauer ganz offiziell unter seinem Namen teil, ohne seine Identität zu verschleiern.
Alle drei Verstösse fanden im Rahmen der Tour Transalp statt, 2015, 2017 und 2022. Jedes Mal trat der heute 54-Jährige im Team an. Keiner seiner Partner will sich dazu äussern, ob dieser sie über seine Vergangenheit ins Bild gesetzt hat, und ob ihnen bewusst war, dass der Aargauer gesperrt ist. Sie beschreiben ihn als entspannten Typ, nicht als überehrgeizig oder verbissen. Keiner versteht, weshalb er 2012 zu Testosteron gegriffen habe.
Einige zeigen sich völlig überrascht, fallen nach eigenen Angaben aus allen Wolken und geben sich unwissend. Unter ihnen langjährige Weggefährten, die den Aargauer seit mehr als zwanzig Jahren kennen und mit ihm auch schon Veloferien machten. Andere spielen die Sache als Lappalie herunter.
Einer äussert den Verdacht, der Aargauer sei wohl von einem Teilnehmer der Tour Transalp «verpfiffen» worden. Eine Aussage, die zeigt, wie weit verbreitet die Überzeugung ist, dass es Privatsache sei, ob und welche Substanzen ein Amateursportler konsumiert. Das ist ein Irrglaube.
Fakt ist: Das Dopingstatut gilt für alle Sporttreibenden mit einer Lizenz oder Mitgliedschaft bei einem Verein oder Verband, der Swiss Olympic angeschlossen ist. Dasselbe gilt für Teilnehmende an Wettkämpfen solcher Organisationen. Diese Sportlerinnen und Sportler können folglich jederzeit Dopingkontrollen unterzogen und allenfalls sanktioniert werden. Dies gilt unabhängig von deren sportlichem Leistungsniveau, Alter und Nationalität.
Dazu muss man wissen: Bestraft wird nicht nur die Anwendung verbotener Substanzen, sondern auch Import, Handel, verweigerte Dopingkontrollen, die Verabreichung an Dritte, Mittäterschaft, aber eben auch der Besitz.
Tatsächlich positiv getestet worden ist der Aargauer Hobbyradler zwar nur ein Mal. Doch seither wurde die Sperre immer weiter ausgedehnt, weil der Drang, an Wettkämpfen teilzunehmen, offenbar grösser ist.
Und so scheint es mehr als wahrscheinlich, dass der am längsten gesperrte Dopingsünder der Schweiz auch in Zukunft wieder an Rennen teilnehmen wird. «Bis vielleicht nächstes Jahr», kommentiert ein Teilnehmer nach der Tour Transalp 2022 auf Strava. Und der Aargauer schreibt: «Ja, vielleicht.» (aargauerzeitung.ch)