Kurz versuchte er es. Doch rasch sah Jonas Vingegaard ein, dass es keinen Wert hatte, sich mit aller Kraft ans Hinterrad von Tadej Pogacar zu heften. Der Weltmeister war früh weg in der Schlusssteigung hinauf nach Hautacam, in der 12. Etappe der Tour de France.
Pogacar liess bis zur Ziellinie nicht locker und kam nach gut 35 Minuten mit der zweitbesten Zeit der Tour-Geschichte oben an, er benötigte 30 Sekunden länger als Bjarne Riis beim Tour-Sieg 1996. Experten ordneten Pogacars Leistung als für ihn relativ durchschnittlich ein, verglichen mit seinen früheren Leistungen.
Vingegaard büsste mehr als zwei Minuten ein. Im Gesamtklassement liegt der zweifache Tour-Sieger nun dreieinhalb Minuten hinter Pogacar auf Rang 2.
Womöglich haben Vingegaard und seine Mannschaft Visma-Lease a Bike in den ersten eineinhalb Wochen der Rundfahrt zu viel Kraft verschleudert. Die Taktik war es, Pogacar schon in den Flachetappen herauszufordern, ihn müde zu fahren.
Auch gestern in der ersten Pyrenäen-Etappe lautete der Plan, das Rennen so hart wie möglich zu machen. «Das haben wir geschafft, aber leider musste Matteo Jorgenson früh abreissen lassen», sagte Vingegaards sportlicher Leiter Grischa Niermann. «Danach haben wir das Tempo etwas gedrosselt, aber das Ziel war immer noch, dass Jonas im Schlussaufstieg attackiert. Dort war jedoch Pogacar eindeutig der Stärkste.»
Bei Vingegaard beobachtete der Ex-Profi Tom Danielson eine kurze Atemfrequenz und dass die Fersen bei der Abwärtsbewegung beim Treten nach unten sanken. Zudem habe der Däne versucht, Flüssigkeit zu sich zu nehmen, wo er nur konnte. «Ich denke, dass diese Erschöpfung darauf zurückzuführen ist, dass er im ersten Teil der Tour mehr Energie verbraucht hat als seine Konkurrenten», schrieb der Amerikaner.
Vingegaard ist immer noch der zweitbeste Fahrer dieser Tour de France. Aber bemerkenswert war, wie er in der zweiten Hälfte des Anstiegs nach Hautacam langsamer war als Fahrer hinter ihm. Visma-Lease a Bike hat sich mit der offensiven Fahrweise vielleicht selber einen Stecken in die Speichen gehalten.
Sep Vanmarcke, einst selber Fahrer des Teams, brachte eine falsche Ernährungsstrategie für die Schwäche ins Spiel. «Sie haben vielleicht die Etappe nach dem Ruhetag falsch eingeschätzt und vor und während diesem Tag zu wenig gegessen», mutmasste der Belgier. «Vielleicht waren die Energiespeicher gestern noch nicht wieder voll.»
Nun steht heute ein Bergzeitfahren auf dem Programm. Es ist 10,9 Kilometer lang und nach einem «Einrollen» geht es während 8 Kilometern im Schnitt 7,9 Prozent steil nach oben.
Im Umfeld von Jonas Vingegaard hoffen sie darauf, dass er sich bis zu seinem Start um 17.03 Uhr so weit erholen konnte, dass er wieder konkurrenzfähiger ist im Duell mit Pogacar. Der Träger des Maillot Jaune geht zwei Minuten nach ihm ins Rennen.
«Natürlich ist der Rückstand in der Gesamtwertung gross. Aber wir bleiben kämpferisch», kündigte Visma-Boss Niermann an. Noch bleibt der Weg nach Paris weit. Doch wenn Tadej Pogacar auch heute wieder deutlich schneller ist als Jonas Vingegaard, hindert ihn wohl nur noch ein Sturz am vierten Gesamtsieg nach 2020, 2021 und 2024.