Es ist schon dunkel geworden in Adelboden, als sich Marco Odermatt in einem unscheinbaren Hotel an ein Tischchen in der Bar setzt. Vor ihm steht ein Strauss aus Mikrofonen, mehrere TV-Stationen haben ihre Kameras ausgerichtet. Wahrscheinlich war das Gedränge nie grösser, wenn Swiss Ski zum Medientermin vor dem Weltcup-Klassiker lud.
Das Dorf mit seinen 3400 Einwohnern im Berner Oberland dürfte am Samstag erneut zum Schauplatz einer «Odi-Mania» werden, wie in den Vorjahren. Früher war Adelboden der Sehnsuchtsort von Odermatt. Mittlerweile ist es zu seinem Wohnzimmer geworden. 2022 und 2023 hat er den Riesenslalom am Chuenisbärgli souverän für sich entschieden.
«So viele Emotionen wie ich da erleben durfte ... mehr geht eigentlich nicht», sagt er. Und nun, 2024, spricht so vieles für ihn, dass Odermatt bereits zwei Tage vor dem Rennen danach gefragt wird, was denn ein Adelboden-Hattrick in ihm auslösen könnte.
Mit einem Sieg des Nidwaldners zu rechnen, wäre nicht besonders kühn. Saisonübergreifend hat er die letzten sechs Riesenslaloms gewonnen. Sein wohl grösster Konkurrent in dieser Disziplin, der Österreicher Marco Schwarz, ist kurz vor Jahreswechsel verletzt ausgeschieden. Wer könnte denn nun gefährlich werden? Odermatt hält kurz inne und sagt: «Das habe ich mir noch nicht überlegt.»
Am Ende kommt ihm dann doch noch einer in den Sinn. Der Kroate Filip Zubcic, der im zweiten Durchgang von Alta Badia Laufbestzeit aufstellte. Es reichte Zubcic zu Platz 2. Er bräuchte wohl zwei Wunderläufe, um am Schweizer vorbeizukommen.
Mit Schwarz ist auch Odermatts härtester Gegner in der Gesamtwertung ausgeschieden. Odermatt hat mit dem Österreicher nach dessen Operation per SMS hin- und hergeschrieben. Er sagt: «Es ist natürlich sehr schade. Er ist in allen Disziplinen nochmals besser geworden.» Den Unfall nahm er aber auch als Fingerzeig wahr. «Für mich war es ein Reminder, dass ich genau auf meinen Körper hören muss. Wenn etwas nicht passen sollte, erzwinge ich nichts.»
Odermatt hat ein enormes Pensum vor sich. Ab jetzt steht bis zum Weltcupfinal Ende März jedes Wochenende mindestens ein Rennen in einer seiner drei Disziplinen auf der Agenda. Er sagt aber: «Im Moment plane ich noch nicht, ein Rennen auszulassen.» Nach Adelboden folgen Wengen und Kitzbühl. Danach könne er sich aber durchaus vorstellen, eine Pause einzulegen.
Irgendwann meldet sich ein deutscher Reporter an der Medienkonferenz und sagt: «Wir schauen voller Neid auf die Schweizer Mannschaft.» Angesprochen ist damit auch Loïc Meillard, der am Chuenisbärgli 2023 und 2021 jeweils auf Platz 3 landete. Meillard sagt etwa: «Mit diesem Team ist es im Training einfacher, sich zu pushen.»
Bei Gino Caviezel klingt es ähnlich. Bei Trainingsläufen ist der Bündner jeweils nicht weit weg von Odermatts Zeiten, im Wettkampf sieht es dann anders aus. «Im Rennen ist er immer einen Zacken besser. Ich weiss auch nicht genau, wie er das macht. Er ist unglaublich. Diese Konstanz ist nicht normal.» Mittlerweile hat Odermatt schon 22 Riesenslalom-Podestplätze in Folge angehäuft.
Am Samstag wird Odermatt wieder beim schwierigsten Riesenslalom des Weltcups im Starthaus stehen und den Lauf im Kopf nochmals durchgehen, wie er es immer tut. «In Adelboden hörst du schon am Start die Fans aus dem Zielraum.» Die Erwartungen unten auf den Tribünen werden riesig sein. 25'000 Zuschauende werden am Samstag am Chuenisbärgli erwartet. Sämtliche Tickets sind längst weg.
Für Odermatt ist diese Situation längst nicht mehr neu. Er sagt: «Ich habe alles erreicht, was ich je wollte. Darum kann ich diesen Anlass jedes Jahr etwas mehr geniessen.» Und dann gelingt ihm noch ein bemerkenswerter Satz. «Ich bin mir Drucksituationen so gewohnt, dass sie sich nicht mehr wie Drucksituationen anfühlen.»
Skirennen schauen ist bei mit immer mit der Erinnerung verbunden, dass die ganze Familie vor dem TV essen durfte... das ist bis heute irgendwie hängen geblieben und immer wieder speziell. 😍
Jetzt muss es nur mal noch in der Abfahrt klappen. Zum Beispiel am Lauberhorn!