Der Weg ins Hotel des Schweizer Männerteams hat es in sich. Zuerst geht es mit dem Taxi in den höher gelegenen Teil von Courchevel, hinauf bis fast zum Flugplatz. Dann zu Fuss durch eine Tiefgarage in einen lange ansteigenden Korridor, um anschliessend über mehrere Treppen und Gänge die Lobby zu erreichen. Sofern man sich nicht zuvor verlaufen hat.
Trotzdem haben sich rund 50 Journalistinnen und Journalisten auf den Weg gemacht. Denn einmal angekommen, wartet Marco Odermatt, der designierte Start dieser WM, der längst weit über die Schweizer Grenzen hinaus begeistert. Entsprechend international ist das Interesse an ihm.
Auch Tina Maze ist da. Die Slowenin war einst ebenso dominant auf Stöckli-Ski unterwegs wie Odermatt heute. Mittlerweile arbeitet sie für Eurosport, schlüpft in die Rolle der Fragestellerin und will von ihm wissen, was sein minimales Ziel sei. «Dass ich nach diesen zwei Wochen Weltmeister bin», antwortet er. Eine WM-Medaille fehlt dem 25-Jährigen noch. 2021 schied er im WM-Riesenslalom als Favorit aus, in der Abfahrt verpasste er das Podest als Vierter um einen Platz.
Den Medienmarathon meistert Odermatt bravourös. Nie besteht die Gefahr, dass er sich verzettelt. Er spricht offen und klar. Auch über den Schreckmoment von Kitzbühel, als er sich bei einem Beinahe-Sturz eine Meniskusquetschung im linken Knie zugezogen hat. «Wir sind uns der Risiken bewusst», sagt er. Aber solche Erlebnisse würden das wieder mehr in den Fokus rücken. «Es ist wie eine Ohrfeige, die in Erinnerung ruft, dass man nicht in jedem Rennen sein letztes Hemd riskieren sollte.»
In der Abfahrt und im Super-G trieben sich Odermatt und der Norweger Aleksander Kilde zuletzt immer mehr an Grenzen. Auch Kilde erlebte in Kitzbühel eine Schrecksekunde, als er einen Aufprall in die Fangnetze nur um Zentimeter verhindern konnte. «Am nächsten Tag hat er mit einer normalen Fahrt die Abfahrt gewonnen», sagt Odermatt. «Und in Cortina habe ich gezeigt, dass es auch bei mir so für einen Sieg reicht.»
In Italien hat Odermatt Ende Januar beide Super-G auf beeindruckende Art gewonnen. Bei schwierigen Verhältnissen blieb er als Einziger ohne Probleme, obwohl er sein linkes Knie in den Tagen zuvor noch deutlich spürte. «Wir Menschen sind fähig, uns selbst zu überlisten», sagt er. «Für ein oder zwei Fahrminuten konnte ich alle meine Bedenken einfach ausblenden.»
Schmerzen hat Odermatt kaum noch. Im WM-Super-G macht ihn das noch mehr zum Topfavoriten, als er es ohnehin nach den Auftritten in Cortina schon gewesen wäre. Trotzdem wird er wieder mehr Risiken auf sich nehmen müssen. Im Kombi-Super-G am Dienstag, den Odermatt als Training nutzte, verpasste er kurz vor dem Ziel ein Tor. «Im Ernstfall, also wenn es um die Medaillen geht, hätte ich es schon noch irgendwie vorbeigeschafft», sagte er danach.
Die Grenzen des Möglichen mögen sich in Kitzbühel zwar wieder deutlicher akzentuiert haben. Die Bereitschaft, möglichst in die Nähe des Unmöglichen zu kommen, aber bleibt. Odermatt sagt: «Wenn du jedes Rennen mit zwei Sekunden Vorsprung gewinnst, wirst du irgendwann vorsichtiger fahren.» Weil es für den Sieg nicht mehr braucht. Allerdings und das weiss auch Odermatt – wird das Wunschdenken bleiben. Zu hochstehend ist das Duell zwischen ihm und Kilde in diesem Winter.
Es wäre allerdings falsch, alles auf die beiden zu reduzieren. Der Franzose Alexis Pinturault hat mit einem starken Kombi-Super-G, in dem er die Basis für den späteren Weltmeistertitel legte, aufgezeigt, dass mit ihm zu rechnen sein wird. Odermatt selbst zählt weitere Favoriten auf: Teamkollegen, aber auch Athleten aus Österreich und anderswo. Schliesslich sind nicht nur Schweizer Medienschaffende gekommen. Auch in diesem Bereich ist Marco Odermatt ein Vollprofi.