Wir sind zuerst nicht sicher, ob wir am richtigen Ort sind. Angeschrieben ist das, was wir suchen, nämlich nur ganz klein auf dem Schild neben der Klingel an einem unauffälligen Gebäude in Zürich Oerlikon. Im Treppenhaus stehen Kinderschuhe vor den Wohnungstüren, in diesem Block hier wohnen anscheinend auch Familien.
Vor der richtigen Tür angekommen, begrüsst uns Desiree Mengel mit einer herzlichen Umarmung. Wir treten ein, die Schuhe werden direkt beim Eingangsbereich ausgezogen. Es ist warm, ruhig, es riecht gut. Willkommen im Tantra-Studio «Dakini».
Hier ist das Ziel, Körper, Geist, Seele und die eigene Sexualenergie zu verbinden. Hier sollen Kundinnen und Kunden während der Tantramassage einfach «sein» können. Aber – das schon mal vorneweg – nein, Sex gibt es hier nie.
Ich frage mich, warum ich dann bei Tantra auch automatisch an Sex denke. «Man muss sich immer zuerst selbst fragen: Was ist Sex für mich?», entgegnet Desiree hier. Sie erklärt, dass Tantra im Zuge des Aufbrechens von Sexualität in den westlichen Ländern in den 60er-Jahren aufkam. Da passierte es aber, dass Tantra – was ursprünglich als Yogapraxis bekannt war – vertauscht wurde mit sexuellen Massagen. Es soll bei Tantra grundsätzlich darum gehen, in einen tiefen Prozess mit sich selber zu gehen und eigene Emotionen und Gefühle kennenzulernen. Dabei werden alle Körperteile massiert, auch – falls gewünscht – der Intimbereich.
«Sexualität in der Tantramassage findet Platz, indem ich mich selbst erfahre», meint Desiree und erklärt an ihrem eigenen Beispiel: «Befreite Sexualität setzt bei mir Lebensenergie frei. Wenn ich genährt bin über meinen Körper, kann ich besser mit meiner Lebensenergie umgehen, mit mir und mit anderen in Beziehung treten.»
Ich werde von Desirees Kollegin begrüsst. Sie wird mich massieren. Die Masseurin trägt ein hübsches, leichtes Kleid und ist schön geschminkt. Sie führt mich in den Raum, in welchem ich später auch massiert werde. Wir sitzen in tiefen Sesseln einander gegenüber und – reden erstmal einfach.
Wie es mir geht, fragt sie, welche Erwartungen ich habe. Ich fühle mich wohl. Sie holt mich auch dazu ab, welche Berührungen für mich in Ordnung sind oder was ich lieber nicht möchte. Ich stimme allem zu, eigentlich ohne zu zögern. Ja, das überrascht mich (wenn ich mir das im Nachhinein überlege) auch selbst. Sie erklärt auch, dass wir beide während der Massage ganz nackt sein werden. So bewegen wir uns beide auf dem gleichen Level und es soll so kein Gefühl eines Machtverhältnisses entstehen. Nach dem Gespräch darf ich duschen gehen, dann beginnt die eigentliche Massage.
Meine Masseurin meint im Nachgespräch, sie habe ab und zu während der Massage eine Unsicherheit bei mir verspürt – na ja, was soll ich sagen. Ich gehe regelmässig in die klassische Massage und in die Craniosacral-Therapie. Da weiss ich, was mich erwartet, ich kenne den Ablauf. Natürlich bin ich bei einer zweistündigen Tantramassage unsicher! Ich lag da, nackt, habe nicht ein Mal die Augen geöffnet. Durfte einfach geniessen und fand es auch überhaupt nicht schräg, dass mich da jetzt eine nackte Frau umarmt, streichelt, sich auf mich legt und von Kopf bis Fuss massiert.
Ich muss sagen: Es war schön. Und gut. Gut im Sinne von – etwas komplett anderes, irgendwie aufregend. Ich bin auch etwas stolz auf mich, dass ich mich gewagt habe, da reinzuspazieren, mich auszuziehen und zu denken: Jetzt machst du das mal und findest heraus, ob die Vorurteile stimmen. Und ich habe mich gut aufgehoben und gefeiert gefühlt. Eine Ode an mich selbst quasi, eine Umarmung, die zwei Stunden dauert.
Ich muss aber auch sagen: Es fällt mir immer noch schwer, anderen Leuten zu erklären, wieso Tantra jetzt nichts mit Sex zu tun hat. Desiree, wie auch die Frau, die mich massiert hat, konnten das sehr schön in Worte fassen, bei mir hapert's. Irgendwie war's überhaupt nichts Sexuelles, irgendwie schon. Und für jeden und jede wird das auch eine andere Erfahrung sein.
Würde ich nochmal in eine Tantramassage gehen? Weiss ich nicht. Wahrscheinlich könnte ich bei einem zweiten Mal entspannter an die Sache herangehen. Aber irgendwie ist es doch auch schräg, sich von einer absolut fremden Person so berühren zu lassen. Ja, im Intimbereich. Ich kann auch jetzt, ein paar Tage später, meine Gedanken noch nicht ganz klar fassen.
Und irgendwie ist es doch auch so: Wir können alle Texte über Tantra lesen, uns alle Videos reinziehen und am Ende fragen wir uns dann trotzdem: Wie fühlt sich das denn nun an? Ich kann nur eins sagen: Ausprobieren, wenn's euch so interessiert. Dann könnt ihr es vielleicht genauso wenig erklären wie ich, aber habt es selber erlebt.