Das Buch «Fire and Fury» des Enthüllungsjournalisten Michael Wolff hat Washington in den Grundfesten erschüttert. Nicht wegen der süffigen Anekdoten, die er auf jeder Seite ausbreitet, sondern weil es klar macht, dass Präsident Trump auf allen Fronten angreifbar geworden ist.
«Sloppy Steve» Bannon befindet sich zwar derzeit auf einem Gang nach Canossa, der an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist. Die Probleme kann er, der ehemalige Chefstratege und enge Vertraute des Präsidenten, jedoch nicht wegschleimen. Die Fragen, die «Fire and Fury» aufgeworfen hat, bleiben.
Dass Trump seine Präsidentenrolle unorthodox interpretiert, ist bekannt. Im letzten Herbst haben deswegen schon 27 renommierte Psychiater ein Buch verfasst, in dem sie seinen Geisteszustand ernsthaft in Frage stellen. «Fire and Fury» hat diese Bedenken noch erhöht. Trump wird nun mit Nero verglichen.
Wie der römische Kaiser sei Trump «chaotisch, korrupt, nicht neugierig, infantil und besessen von grandiosen Prachtbauten», heisst es beispielsweise im «New Yorker». Nero wurde, nachdem er Rom im Wahn hatte niederbrennen lassen, vom Senat als «Feind des Volkes» gebrandmarkt und beging schliesslich Selbstmord.
Die Reaktionen des Präsidenten auf das Buch haben die Bedenken nicht zerstreut, im Gegenteil: Selbst das ihm gewogene «Wall Street Journal» zeigt sich darüber irritiert, dass er versucht hat, die Veröffentlichung juristisch zu verhindern.
Kopfschütteln löst auch sein Twitter-Sturm aus. An einem einzigen Tag hat der Präsident 16 Tweets auf die Menschheit losgelassen. Unter anderem hat er darin behauptet, er sei ein «stabiles politisches Genie». Tage zuvor hatte er noch den lächerlichen Vergleich «Wer hat den Grössten?» mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un verbreitet.
In der «New York Times» hat Charles M. Blow die Verfassung des Präsidenten treffend zusammengefasst: «Wir haben eine Person als Präsidenten, die unüberlegt handelt, und die fragil, ängstlich, irrational, Informations-avers und semi-analphabetisch ist.»
Trump wird in den kommenden Wochen weitreichende Entscheidungen fällen. Innenpolitisch muss er verhindern, dass die US-Verwaltung zugesperrt wird. Der Kongress könnte sich weigern, das Budget zu genehmigen und die Schuldenobergrenze zu erhöhen.
Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Dreamers. Darunter versteht man rund 800'000 junge Menschen, die als Kinder von ihren Eltern illegal in die USA gebracht wurden. Sie sind in Gefahr, ausgewiesen zu werden, weil Trump DACA, ein Gesetz seines Vorgängers Barack Obama, ausser Kraft gesetzt hat.
Rund um DACA ist ein übler Machtpoker im Gang. Trump weiss, dass seine Basis die Dreamers ausweisen will, er weiss aber auch, dass dies seine Wirtschaftsfreunde und die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung nicht wollen. Deshalb will er ein neues Gesetz nur dann akzeptieren, wenn der Kongress ihm auch 18 Milliarden Dollar für den Bau der Mauer gegen Mexiko gewährt. Ob dieser Bluff aufgehen wird, ist ungewiss.
Die beiden Brandherde Nordkorea und Iran sind alles andere als gelöscht. In den kommenden Tagen muss Trump einmal mehr bestätigen, dass sich der Iran an seine Abmachungen hält. Verweigert er diese Bestätigung, wird der Atomvertrag mit dem Iran gekündigt. Bisher hat Trump dies sehr widerwillig und auf Druck seiner Militärs getan. Jetzt könnte er die Demonstrationen in Teheran zum Vorwand nehmen, den verhassten Vertrag endgültig platzen zu lassen.
Aussenpolitisch ist Trump alles andere als ein «sehr stabiles Genie». Jüngstes Beispiel ist sein Verhältnis zu Pakistan. Nachdem er den Premierminister Nawaz Sharif eben noch als «tollen Typen» gepriesen hatte, stellte er kürzlich alle US-Hilfen ein mit der per Twitter verbreiteten Begründung, Pakistan liefere den USA «bloss Lügen und Täuschungen».
Trumps unberechenbares Verhalten zeigt Folgen. Trotz massiver Drohungen haben die USA eine Abstimmung über den Status von Jerusalem in der UNO mit 128 zu 35 Stimmen verloren. Selbst die europäischen Verbündeten haben gegen Amerika gestimmt.
Der Streit mit «Sloppy Steve» und die Zwickmühle, in der Trump mit den Dreamers steckt, könnten gravierende wirtschaftspolitische Folgen haben. Robert B. Zoellick, der ehemalige Weltbankpräsident, schildert sie im «Wall Street Journal» wie folgt:
Bisher hat Trump nur gedroht, Sand ins Getriebe des freien Welthandels zu streuen. Nun aber mehren sich die Anzeichen, dass er es damit ernst meint und die Freihandelsabkommen vor die Hunde gehen lässt. Er stösst dabei auf wenig Gegenliebe. «Kein Land will einen bilateralen Deal mit Mr. Trump», so Zoellick. «Er setzt auf abgesprochenen Handel, nicht auf fairen Wettbewerb.»
In den Sozialwissenschaften gibt es den Begriff des «Tipping Point». Darunter versteht man das Phänomen, dass Veränderungen nicht in kleinen Schritten, sondern schlagartig erfolgen. Vieles spricht dafür, dass sich die Ära Trump einem solchen Tipping Point nähert: In der Russland-Affäre robbt sich Sonderermittler Robert Mueller immer näher an Trump und dessen Familie heran. In den Meinungsumfragen sind Trumps Werte nach wie vor unterirdisch. Die Welt wendet sich von Amerika ab. Es fehlt nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Das absurde Schauspiel im Weissen Haus mag einen hohen Unterhaltungswert haben. Doch es ist untragbar geworden. «Der Präsident der Vereinigten Staaten ist zum grössten Sicherheitsrisiko der Vereinigten Staaten geworden», schreibt David Remnick im «New Yorker». Selbst die Republikaner werden sich dieser Erkenntnis nicht mehr viel länger verschliessen können.
Die USA müssen einen Weg finden, Trump aus dem Weissen Haus zu entfernen, und sie werden es auch. Wie sagte doch einst Winston Churchill: «Die Amerikaner machen stets das Richtige – nachdem sie alles andere ausprobiert haben.»