Jeff Immelt jettete vergebens über den Atlantik. Der Vorsteher des amerikanischen Grosskonzerns General Electric (GE) traf am Sonntagmorgen in Paris ein, um die Übernahme der Energiesparte von Alstom mit Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg zu besiegeln; danach sollte der Verwaltungsrat grünes Licht für den Verkauf geben, von dem die Transportsparte mit den TGV-Zügen ausgenommen sein sollte.
Doch dann warf Siemens alles über den Haufen. Der deutsche Rivale signalisierte Alstom offiziell «Gesprächsbereitschaft über strategische Fragen zukünftiger Zusammenarbeit». Die Pariser Zeitung «Le Figaro» enthüllte fast zeitgleich ein Schreiben des Siemens-Vorsitzenden Joe Kaeser an Alstom-Chef Patrick Kron. Der deutsche Konzern, mit 78 Milliarden Euro Umsatz fast viermal grösser als Alstom, interessiert sich ebenfalls für die Energiesparte, die 70 Prozent des französischen Traditionsunternehmens ausmacht. GE hat dafür 9,4 Milliarden Euro geboten.
Allerdings wollen die Münchner laut dem Schreiben nur einen Teil in cash zahlen; dafür würden sie die eigene Transportsparte – unter Ausschluss der U-Bahn-Technik – an Alstom abtreten, wie «Le Figaro» berichtet. Für Europas Industrie wäre das eine gewaltige Umschichtung: Deutsche würden das Turbinen- und Kraftwerkgeschäft dominieren, Franzosen die Bahntechnologie.
In Paris schlug die Siemens-Meldung wie ein Blitz ein. Der Wirtschaftsminister Montebourg annullierte sein geplantes Treffen mit Immelt kurzerhand. Er zeigte sich «überrascht», dass der amerikanische Branchenleader hinter dem Rücken der französischen Regierung agiert habe, um Alstom zu übernehmen. Die plötzliche Entrüstung wirkt etwas aufgesetzt: Montebourg hatte schon am Donnerstag erklärt, er wolle Alternativen zu GE prüfen. Gemäss dem «Figaro» streckte er selbst die Fühler nach München aus, um ein Gegengebot für Alstom zu erwirken.
Alstom ist zwar eine börsenkotierte Privatfirma mit einem privaten Hauptaktionär, dem Bau- und Medienkonzern Bouygues. Doch der französische Staat beansprucht gerade bei nationalen Flaggschiffen ein Mitspracherecht; als Käufer der TGV-Züge kann er auch entsprechend Einfluss nehmen. Bouygues steht zudem Montebourg nahe. Und der Wirtschaftsminister plädiert wie Staatspräsident François Hollande für die Bildung eines «Airbus der Energie» aus europäischen Partnern. Mit GE würde Alstom hingegen eher eine «Boeing der Energie» zimmern helfen, wie Spötter meinen.
Montebourg bestätigte am Sonntag, dass neben General Electric auch Siemens ein Angebot eingereicht hat. Es bestehe darin, «zwei europäische und weltweite Champions in den Bereichen Energie und Transport zu schaffen – den einen um Siemens, den anderen um Alstom». Aus diesem Grund wolle die Regierung beide Angebote im Lichte des «nationalen Interesses» prüfen, und das erfordere eine gewisse Zeit. Ein Hauptaugenmerk liegt laut Montebourg auf der «Unabhängigkeit der französischen Nuklearsparte», für die der Turbinenhersteller Alstom ebenfalls tätig ist.
Der Ausgang des Übernahmekampfs ist derzeit offen. GE hat finanziell und unternehmensstrategisch die besseren Karten. Die Offerte aus München dürfte bei der französischen Regierung besser ankommen, weil das Transportgeschäft mit dem TGV in französischer Hand bliebe.
Klar ist dagegen, dass die Schweiz auf jeden Fall betroffen sein wird. Alstom ist hier mit sämtlichen vier Sparten – thermische Energie, Netze, erneuerbare Energie und Transport – präsent und beschäftigt über 6500 Personen. Über mögliche Konsequenzen eines Besitzerwechsels und Standortfragen kann derzeit nur spekuliert werden.