Uber, Airbnb & Co. verstehen sich als Teil einer neuen Sharing Economy. Diese neue Wirtschaftsordnung beruht auf einer sehr einfachen Grundidee: Wir alle haben heute viel zu viele Dinge, die wir gar nicht mehr effizient nutzen können.
Wenn wir sie teilen, hat die Gemeinschaft mehr davon. Autos und Wohnungen sind ideal für die Sharing Economy. Privatautos stehen die meiste Zeit ungenutzt und sinnlos in der Gegend herum. Und warum soll man seine Wohnung nicht anderen zur Verfügung stellen, wenn man für Wochen in die Ferien oder gar Monate für einen Studienaufenthalt ins Ausland verreist?
Die so verstandene Sharing Economy ist eine junge Idee und wurde erst durch den technischen Fortschritt überhaupt möglich. Ohne Internet und Apps könnten wird nicht mit ein paar Klicks ein Appartement in Chicago oder Hongkong mieten oder am Sonntagmorgen um drei eine Limousine vor den angesagten Club ordern.
Tauschen als Organisationsform der Wirtschaft ist jedoch alt, genau genommen: So alt wie die Menschheit. In der Wirtschaftsordnung der Stammesgesellschaften war die Familie der wichtigste Produktionsfaktor. Ausser der Trennung von Frauen- und Männerarbeit gab es keine Arbeitsteilung, jede Familie sorgte mehr oder weniger für sich selbst.
Aber eben nur mehr oder weniger. Damit auch Krisen bewältigt werden konnten, gab es unter den Familien ein ausgedehntes Tauschsystem. Der Ethnologe Jaques Lizot beschreibt beispielsweise das andauernde Geben und Nehmen bei den südamerikanischen Yanomami-Indianer wie folgt: «Jeden Tag gibt und erhält jedermann Lebensmittel, und der Misserfolg bei der Nahrungssuche wird stets durch Gaben von anderen ausgeglichen: Das gesellschaftliche Leben der Indianer besteht zum grossen Teil im Tausch, einer ständigen Bewegung von Gütern und Dienstleistungen, einer immerwährenden Gegenseitigkeit.»
Am Anfang des Tauschsystems der Stammesgesellschaften stand der Frauentausch. Alte Männer bestimmten, wer wen heiraten durfte und brachen damit die Macht der autonomen Familie auf. Mit Effizienz hatte dies nichts am Hut. Im Gegenteil: Wer zu tüchtig war und Reichtum hortete, machte sich verdächtig. Er hätte so in Versuchung geraten können, aus dem gegenseitigen Tauschsystem auszusteigen.
In einem Potlatch genannten Ritual wurden daher «reiche» Stammesmitglieder gezwungen, ihren Besitz zu vernichten. Das ging ein bisschen zu wie bei Laurel & Hardy: Zwei reiche Männer zerstören demonstrativ ihr Hab und Gut vor den Augen der anderen. Wer am meisten zerstörte, hatte am Schluss am meisten Prestige gewonnen.
In der modernen Marktwirtschaft hat der Tausch keine ökonomische Relevanz mehr. Tauschbörsen gibt es für Briefmarken- und Plattensammler, bei Wohltätigkeitsveranstaltungen oder in speziellen esoterischen Tauschkreisen. Im Mittelpunkt stehen dabei Gitarrenstunden und Fusszonenreflexmassagen.
Auch die gesellschaftliche Bedeutung des Tausches ist unbedeutend geworden. Die Vorstellung, dass alte Männer die Frauen einer Gemeinschaft verteilen, ist absurd geworden, genauso wie der Potlatch: Nur Spinner zerstören mutwillig ihr Eigentum – und werden dafür ausgelacht.
In der Wirtschaftsordnung der Stammesgesellschaft hat der Tausch die Mitglieder zu einer Gemeinschaft zusammengeschweisst. In der Sharing Economy geschieht genau das Gegenteil: Uber, Airbnb & Co. werden zu Spaltpilzen, ja zu einer Bedrohung von ganzen Berufsgattungen und zunehmend auch der Gemeinschaft. Wer am Wochenende mit seinem Privatwagen Taxidienste verrichtet, wird zur Schmutzkonkurrenz der Profis, wer seine Wohnung vermietet, stellt das Geschäft der Hoteliers infrage.
Langsam beginnt die Konkurrenz der Dilettanten weh zu tun. Airbnb beispielsweise vermietet inzwischen mehr Zimmer als die Hilton-Hotelkette. Die ohnehin schmalen Einkünfte der Taxifahrer schrumpfen wegen Uber weiter. Blogger und Freizeitjournalisten machen den Medienprofis das Leben schwer. Die Reaktionen darauf werden immer heftiger: Gewerkschaften organisieren Streiks, Richter erlassen Verbote und der Staat will mehr Kontrollen und Steuern.
Die führenden Köpfe der Sharing Economy sind keine Gutmenschen. Uber-Chef Travis Kalanick beschwört keine heile Gemeinschaft, sondern huldigt einem libertären Ultra-Kapitalismus im Sinne der Schriftstellerin Ayn Rand. Dabei schreckt er auch von Methoden des Manchester-Kapitalismus nicht zurück. Sein Stellvertreter Emil Michael drohte kürzlich einer kritischen Journalistin mit Enthüllungen aus dem Privatleben. Kalanick hat sich nur halbherzig davon distanziert.
Im Umfeld der Marktwirtschaft wirkt die Sharing Economy wie ein Krebs: zerstörerisch und existenzbedrohend. Sie fördert das ohnehin schon überzogene Effizienz-Prinzip einer globalisierten Wirtschaft.
Der Politologe Jeremy Rifkin kommt in seinem Buch «Null-Grenzkosten-Gesellschaft» gar zum Schluss, dass ein zu effizient gewordener Kapitalismus im Begriff ist, sich selbst abzuschaffen. «Die Ökonomen haben schon lange erkannt, dass die effizienteste Wirtschaft diejenige ist, in der die Konsumenten nur die addierten Kosten der Güter, die sie erwerben, bezahlen», schreibt Rifkin. «Wenn die Konsumenten jedoch nur die Grenzkosten bezahlen und diese gegen Null tendieren, dann sind Unternehmen nicht mehr in der Lage, einen Gewinn auf die Investitionen zu bezahlen und so ihre Aktionäre zu befriedigen.»
Es mag für Konsumenten mega cool sein, sich dank Airbnb ein Appartement in New York leisten zu können, genauso wie die von Uber vermittelte Limousine am Wochenende. In der Summe wird so jedoch eine gefährliche Verelendungsspirale in Gang gesetzt. Längst sind nicht nur Taxifahrer und Hotelangestellte davon betroffen.
Die Entwicklung wird sich auf die gesamte Wirtschaft ausdehnen und den gesamten Mittelstand bedrohen. Der bekannte US-Ökonom Taylor Cowen spricht bereits davon, dass rund 80 Prozent der Erwerbstätigen bald keinen anständigen Job mehr haben werden und sich mit Löhnen begnügen müssen, die kaum zum Überleben reichen. Parallel dazu entsteht ein neuer, unvorstellbar reicher Geldadel.
Sind wir auf dem Weg in eine Gesellschaft, wie sie in den Kultfilmen der «Hunger Games» beschrieben wird? Das muss nicht sein. Die Grundidee der Sharing Economy leuchtet ein: Wir haben zu viele Dinge, und wir könnten besser leben, wenn wir sie untereinander austauschen würden. Das ist jedoch nur möglich in einer Wirtschaftsordnung, die nicht mehr auf gnadenlose Effizienz getrimmt ist.
Jeremy Rifkin schlägt eine alternative Lösung vor: Wir müssen auf Tauschmechanismen der Stammesgesellschaften zurückgreifen, aber sie mit modernster Technik auf die Bedürfnisse der digitalen Gesellschaft trimmen. Das ist nur in einer solidarisch ausgerichteten Wirtschaftsordnung möglich, also mit genossenschaftlichen Strukturen und gemeinsamen Gütern wie es einst die Allmenden waren.
Dank der dritten industriellen Revolution ist dies kein utopischer Traum mehr. «Die Vereinigung des Kommunikations-Internets, des Energie-Internets und des logistischen Internets in einem Internet der Dinge stellt uns das Nervensystem und die Infrastruktur zur Verfügung, die es uns erlaubt, die gesamte Menschheit in einer globalen Allmend zusammenzuführen», schreibt Rifkin. «Das meinen wir, wenn wir von smarten Städten, smarten Regionen, smarten Kontinenten und einem smarten Planeten sprechen.»