Im Bernerhof, dem Sitz der Finanzministerin, habe es wie auf einem Camping ausgesehen, erinnerte sich Karin Keller-Sutter gegenüber SRF. Rund 150 Mitarbeitende seien im ehemaligen Hotel ein und aus gegangen. Pizzaschachteln hätten sich getürmt. Und weil sich die Schweiz auf eine Strommangellage vorbereitete, seien die Heizungen gedrosselt worden. Die Leute hätten gefroren und in Daunenjacken und Militärdecken gearbeitet, um den unkontrollierten Kollaps der CS zu verhindern.
Im PUK-Bericht steht natürlich nichts von Pizzaschachteln und frierenden Mitarbeitenden. Nüchtern heisst es dort, die Zusammenarbeit zwischen den Behörden sei in der Akutphase der Krise intensiv gewesen. Die PUK lobt das Engagement und die Flexibilität der vielen Beteiligten – und die Einrichtung eines Krisenraums im Bernerhof, damit sich die Behörden eng koordinieren konnten und die Austausch- und Entscheidungswege kurz waren.
Beiden Erzählungen ist gemein: Die Notübernahme der CS durch die UBS war ein behördliches Gemeinschaftswerk. EFD, FINMA, SNB, SIF, EFV, BJ etc.: Beim Lesen des PUK-Berichts wird einem fast schwindlig. Und den Parlamentariern wurde, wie sie schreiben, nicht immer klar, welche Akteurinnen und Akteure wofür zuständig waren.
In der Öffentlichkeit wird die Bankenrettung mit wenigen Köpfen in Verbindung gebracht – vor allem Finanzministerin Keller-Sutter, Nationalbankchef Thomas Jordan und Finma-Präsidentin Amstad. Doch es gibt in dieser Geschichte auch die stillen Helden, deren Rolle nun der PUK-Bericht ausleuchtet.
Zum Beispiel diejenige von Daniela Stoffel, Staatssekretärin für internationale Finanzfragen, promovierte Philosophin und Diplomatin. Es war Ueli Maurer, der Stoffel ermunterte, sich als Staatssekretärin zu bewerben. Er kannte sie als seine diplomatische Beraterin und als Lebenspartnerin seines Kommunikationschefs Peter Minder, was nach ihrer Wahl zu ein paar bösen Bemerkungen führte. Auch die fachliche Eignung wurde ihr abgesprochen. Doch die Skeptiker verstummten rasch.
Wirtschaftsvertreter wie Politiker schätzen ihre unkomplizierte Art und ihren Scharfsinn. Sie beschreiben sie als «moderne Diplomatin», ein Bankenvertreter bezeichnet sie gar als «eine der gescheitesten Personen», die er kenne. Dieser gute Ruf auf dem Finanzplatz dürfte ihr in den Krisentagen zwischen dem 15. und 19. März entscheidend geholfen haben.
Denn auch wenn für die Finanzministerin schnell klar war, dass die Lösung nur in einer Übernahme der CS durch die UBS zu finden war: Die beiden Grossbanken zeigten sich widerspenstig – allen voran die Vertreter der fallierenden CS. Der erste Kontakt zwischen den Verwaltungsratspräsidenten der beiden Banken – Axel Lehmann und Colm Kelleher – am Donnerstagmorgen, 16. März, verlief wenig erfreulich. Lehmann schickte nach dem Gespräch ein Mail mit Fragen nach. «Unangemessen» sei dies gewesen, sagte UBS-Verwaltungsratspräsident Kelleher der PUK. Er beklagte sich bei Jordan, auf dieser Grundlage könne er nicht zusammenarbeiten.
Obschon die Zeit drängte, sich Finanzminister weltweit vor einer globalen Finanzkrise fürchteten und sich im Bernerhof die Pizzaschachteln türmten, liessen die beiden Banken nach dem Telefonat einen ganzen Tag verstreichen, ohne die Sache voranzutreiben.
Schleppend seien die Verhandlungen verlaufen, heisst es dazu im PUK-Bericht. Es war der Moment der Diplomatin Stoffel: Sie rief die Verwaltungsratspräsidenten und CEOs der beiden Banken zu einer Sitzung ein. Freitagmorgen, 10.30 Uhr in Zürich: Es war das einzige physische Zusammentreffen der vier obersten Banker im März. Stoffels Mission war, die Zusammenarbeit von CS und UBS in Gang zu bringen.
Das gelang. Stoffels diplomatisches Geschick zeigt sich darin, wie unterschiedlich UBS und CS die Sitzung beurteilten. Die Vertreter der UBS sahen den Zweck des Treffens vor allem darin, die Verzögerungstaktik der CS zu beenden, diejenigen der CS, die UBS zu einem stärkeren Dialog zu bewegen. Behördenvertreter schilderten vor der PUK, dass ein Dialog zwischen den Grossbanken zu diesem Zeitpunkt beinahe unmöglich war.
Die Schilderungen sind für die hochdotierten Bankenvertreter wenig schmeichelhaft: Das Gespräch wurde teilweise als surreal und die Einstellung der Bankenvertreter als wenig seriös empfunden. Noch einmal redete Stoffel den beiden Banken ins Gewissen, machte unmissverständlich klar, dass eine Übernahme einer Abwicklung der CS vorzuziehen sei. Dass eine Lösung bis am Sonntag stehen müsse. Und dass der Verhandlungsspielraum begrenzt sei.
Nach dem Treffen ging es besser, die Kontakte zwischen den Banken wurden intensiver – und produktiver.
Natürlich war Stoffel nicht die einzige Behördenvertreterin, die mit den Banken Kontakt hatte. Mal war Keller-Sutter im Lead, mal Jordan, und doch immer wieder die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen.
In der Nacht auf Sonntag rief CS-Präsident Lehmann Stoffel an. Es ging um den Kaufpreis. Die UBS bot 1 Milliarde Franken, das war der CS zu wenig. Lehmann sprach von «kalter Enteignung» und tat seinen Unmut in einem weiteren Brief an die Staatssekretärin kund. Am Sonntagmorgen, um 6.45 Uhr, kam es zu einem weiteren Telefonat zwischen Lehmann, Stoffel und Vertretern der Finma.
Gemäss dem PUK-Bericht verteidigte Stoffel den Verkaufspreis, denn der Bund würde Garantien abgeben, gehe mit 5 Milliarden Franken ins Risiko. Danach gehen die Schilderungen auseinander. Gemäss einem Protokoll des Telefongesprächs unterbreitete Stoffel dem CS-Präsidenten ein letztes Angebot: «Letzter Vorschlag für die Entschädigung der Aktionäre, 2 Milliarden statt 1 Milliarde.»
Stoffel selbst bestritt diese Darstellung gegenüber der PUK. Die Preisverhandlungen hätten zwischen den beiden Banken stattgefunden. Die Kommission glaubt ihr nur bedingt. Sie hält die aktive Rolle von Stoffel und Jordan bei den Preisverhandlungen fest und lobt diese auch. Die steuernde Rolle der Behörden zeigte sich darin, dass diese mit der UBS über Risikogarantien und weitere Rahmenbedingungen verhandelten, die sich direkt auf den Verkaufspreis auswirkten.
Dazu zählte auch eine Rückzugsklausel, welche die UBS im Vertrag verankern wollte. Dank dieser hätte sich die UBS unter bestimmten Umständen aus dem Kaufvertrag wieder zurückziehen können. Für die CS war diese Klausel inakzeptabel. Stoffel räumte diesen letzten Stolperstein am Sonntagmorgen aus dem Weg. Die UBS zeigte sich bereit, die Klausel anzupassen, wenn im Gegenzug die Bundesgarantien um 2 Milliarden Franken erhöht würden.
Daniela Stoffel spielte in den Verhandlungen zwischen den Grossbanken eine entscheidende Rolle. Eine stille Heldin.
Und warum sind die Löhne und Entschädigungen dieser Personen so hoch?
Weil sie so begabt und gut sind?
Weil sie so viel Verantwortung tragen?
Oder vielleicht doch nur, weil sie jeden Preis verlangen können?