Fünf Bitcoin-Konten, die der konkursen Kryptobörse QuadrigaCX zugeordnet werden, sind am 17. Dezember geleert worden. Insgesamt wurden knapp über 104 Bitcoins im Wert von 1,76 Millionen Dollar weg transferiert. 69 Bitcoins wurden an einen Dienst (Wasabi Wallet) gesendet, der darauf spezialisiert ist, Bitcoin-Transaktionen zu verschleiern. Die Spur dieser Coins wird sich demnach verlieren.
Was aussieht wie Dutzendtransfers ist in Tat und Wahrheit hoch brisant – und wird in den nächsten Tagen und Wochen für viele Diskussionen und wilde Spekulationen sorgen. Die grosse Frage lautet: Wer hatte Zugriff auf die fünf Bitcoin-Konten?
Five wallets attributed to QuadrigaCX unexpectedly moved ~104 BTC on Dec 17 for the first time in years.
— ZachXBT (@zachxbt) December 19, 2022
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Die Kryptobörse QuadrigaCX (QCX) ging 2019 Konkurs. Dies, nachdem ihr CEO und Gründer Gerald Cotten am 9. Dezember 2018 in Indien unter dubiosen Umständen im Spital von Jaipur an den Folgen von Morbus Crohn verstorben war. Cottens Ehefrau Jennifer Robertson gab an, ihr Ehemann sei der einzige gewesen, der die Zugangsschlüssel für die Quadriga-Konten kannte. Sein Tod bedeute für sämtliche 115’000 Quadriga-Kunden den Totalverlust sämtlicher Anlagen. Die Schadenssumme belief sich auf 250 Millionen kanadische Dollar –190 Millionen amerikanische Dollar.
Robertsons Aussagen und sogar der Tod ihres Ehemannes wurde von den Quadriga-Kunden sogleich angezweifelt. Cottens Name war auf dem Totenschein falsch geschrieben worden (Cottan), ausserdem benutzte jemand Cottens Skype-Profil auch nach dessen Tod weiter. Ein Team von Journalisten der kanadischen Tageszeitung «The Globe and Mail» begann, zu recherchieren, genauso wie eine Selbsthilfegruppe bestehend aus Geschädigten. Was dabei ans Tageslicht kam, wurde von Netflix zur Doku «Trust No One: The Hunt for the Crypto King» verarbeitet – und es war einiges:
So wurde bekannt, dass der so nerdige wie charmante Gerald Cotten jahrelang ein Doppelleben geführt hatte. Unter dem Pseudonym «Sceptre» war er für verschiedene Internetbetrugsfälle verantwortlich gewesen. So gründete er etwa die Investmentfirma S&S, die sich nach der Akquise von Geldern plötzlich in Luft aufgelöst hatte.
Quadriga-Co-Gründer Michael Patryn flog ebenfalls auf. Patryn hatte vor Jahren noch unter seinem Geburtsnamen Omar Dhanani in Kalifornien einen Geldwäsche-Ring betrieben und hatte dort wegen Handel mit gestohlenen Identitäten und Kreditkarten eine Gefängnisstrafe abgesessen, bevor er nach Kanada ausgeschafft wurde. Dort änderte er seinen Namen, zuerst auf Omar Patryn, dann auf Michael Patryn.
Und zu guter Letzt wurden auch Verbindungen von Quadriga und der Immobilienfirma von Ehefrau Robertson aufgedeckt. Sie hatte stets beteuert, dass sie in keiner Weise mit Quadriga verbandelt sei.
Weil mit Ausnahme der Witwe niemand in Kanada je die Leiche von Gerald Cotten zu Gesicht bekommen hatte, reiste der kanadische Journalist Nathan Vanderklippe nach Indien. Dort traf er den Arzt, der Cottens letzte Stunden detailliert schildern konnte. Mindestens Cottens Tod wurde nun weniger infrage gestellt, die Umstände hingegen erschienen weiter dubios. Erst zwei Wochen vor seinem überraschenden Ableben hatte der 30-Jährige in einem schriftlichen Testament festgehalten, dass er im Todesfall sämtliche Besitztümer, darunter mehrere Häuser, ein Boot und ein Flugzeug seiner Frau vererben wolle. Dass Robertson über einen Monat wartete, den Tod ihres Mannes zu vermelden, wurde ebenfalls als verdächtig interpretiert, genauso wie dass sie keine Obduktion verlangt hatte. Sie wurde für viele Quadriga-Geschädigte zur Zielscheibe und musste nach mehreren Morddrohungen untertauchen.
Auch die kanadischen Behörden und ein Team von Blockchain-Analysten waren indes aktiv geworden. Sie deckten schlussendlich auf, wohin die Kundengelder im Wert von 200 Millionen flossen. Cotten hatte sie – die Parallelen zum aktuellen Fall der Kryptobörse FTX sind frappant – systematisch an anderen Kryptobörsen verspekuliert. Cotten war zwar clever, aber ein spektakulär schlechter Trader. Der Quadriga-CEO verlor geschätzte 150 Millionen Dollar.
Und als ob nicht schon genug Zunder in der Geschichte wäre, berichtete Ernst & Young in einem ersten Bericht im Februar 2019, dass am 6. Februar 2019, zwei Monate nach dem Tod Cottens, «ausversehen» 103 Bitcoins auf ein Konto verschoben wurden, auf das nur Cotten Zugriff habe. Weitere Details, zum Beispiel, wer die Transaktion ausgelöst habe, erläuterte der Bericht nicht.
Die aktuellen Aktivitäten auf den Konten werfen nun erneut Fragen auf, lassen längst begrabene Verschwörungstheorien aufleben. Seit Anfang 2018 und dem Tod Cottens hatte niemand mehr Bitcoins von den fünf Konten weg transferiert. Jetzt sind sie leer. Verdächtigt werden Patryn, Ehefrau Robertson, der «tote» Cotten und auch Mitarbeiter von Ernst & Young.
Michael Patryn trieb bis Anfang 2022 unter dem Pseudonym «Saifu» oder «0xSaifu» in der Krypto- DeFi- und NFT-Szene weiterhin sein Unwesen. Nach seiner Enttarnung durch den wohl besten Blockchain-Detektiven @Zachxbt wurde er als Chef des DeFi-Projekts Wonderland abgewählt. Kurz danach sendete er 2000 Coins der Kryptowährung Ether (2,4 Millionen Dollar) an «Tornado Cash». Der in den USA illegale Dienst ist wie Wasabi darauf spezialisiert, Transaktionen zu verschleiern.
Jennifer Robertson verzichtete derweil auf Häuser, Autos und andere Wertgegenstände. Ihr blieben 110’000 kanadische Dollar, einen Jeep Cherokee aus dem Jahre 2015, Möbel im Wert von 15’000 Dollar und eine bescheidene Menge Schmuck. Sie beteuert weiterhin ihre Unschuld. Sie habe von dem gesamten Betrug nichts gewusst.
Hui, die Inflation hat Kanada aber hart getroffen.