Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Das weiss jeder Marketingfachmann und auch jeder Politiker. So überraschend der Wahlsieg von Donald Trump war, so heftig fällt jetzt die Gegenreaktion aus. In den USA hat die Zivilgesellschaft zu einer neuen Solidarität gefunden. Frauen, Wissenschaftler, Intellektuelle, Journalisten und Künstler legen ihre kleinlichen Zwiste beiseite und treten vereint gegen Trump und seine Alt-Right-Ideologen an.
Der Anti-Trump-Reflex äussert sich auf den unterschiedlichsten Ebenen. Hier sind sie:
In den liberalen «blauen Staaten» (New York, Kalifornien, Massachusetts, etc.) weigern sich Polizei und Gerichte, Trumps menschenverachtende Immigrationspolitik umzusetzen. Richter lassen seinen Muslim-Bann ins Leere laufen. Das zeigt Wirkung: Trumps Zustimmungsrate liegt nach gerade mal 50 Amts-Tagen bei 37 Prozent, ein historischer Negativrekord.
Die Rechtspopulisten haben sich in Europa einen Trump-Schub erhofft. Das Gegenteil ist eingetroffen. Die Holländer haben Geert Wilders die kalte Schulter gezeigt, in Deutschland kämpft die AfD gegen sinkende Umfragewerte, und in Frankreich scheint Marine Le Pen Ambitionen auf die Präsidentschaft chancenlos.
Auch in der Schweiz spielt der Anti-Trump-Reflex. Um gegen die aufkeimende Frauenfeindlichkeit zu protestieren, gehen in Zürich weit über 10'000 Menschen auf die Strasse, Regen und Kälte zum Trotz. Im Kanton Solothurn legt die SP überraschend zu, im Wallis verliert die SVP ebenso überraschend ihren Regierungssitz: Oskar Freysinger, neben Roger Köppel der grösste Trump-Fan im Land, wurde aus dem Amt gejagt. Kein Wunder sind es nun die SVP-Vertreter, die darüber jammern, dass die Medien zu viel über Trump berichten.
Hillary Clinton verlor die Wahl nicht, weil sie zu weit nach links gerückt wäre. Sie blieb zu sehr in der Mitte und versäumte die breit abgestützte antikapitalistische Revolte. Der Republikaner Trump hingegen betrieb in seinem Wahlkampf nichts anderes als einen pervertierten Klassenkampf. Auf populistisch verdrehte Weise kaperte der Milliardär die Wut auf das Establishment.
Langsam beginnt es auch der Linken zu dämmern, dass rechtspopulistische Erfolge nicht mit der Primitivität und Dummheit der Wähler erklärt werden können. Die Abstiegsängste der Verlierer des Kapitalismus und der Globalisierung müssen ernst genommen werden. Das zeigt sich derzeit in der SPD. Der neue Kanzlerkandidat Martin Schulz kritisiert die von Gerhard Schröder eingeleitete Austeritätpolitik – und hat augenblicklich Erfolg. Der eigentlich von jeglichem Charisma befreite Wahlkämpfer Schulz kann sich bei Trump bedanken.
Wenn nichts mehr wahr ist, haben grosse Lügen freien Lauf. Das wusste Josef Goebbels und das beschrieb George Orwell in seinem Roman «1984». Trump lügt schamlos, sein gesamtes Gedankengebäude fusst auf Widersprüchen. Er will America wieder so great wie nach dem Zweiten Weltkrieg machen.
In den 50er und 60er Jahren war der American Dream Realität. Diese goldenen Jahrzehnte waren jedoch auch eine Zeit, wo die Wirtschaftstheorien von John Maynard Keynes allgemein akzeptiert und die Gewerkschaften stark waren.
Der Milliardär Trump hingegen sieht sich in der Tradition von Ronald Reagans neoliberaler Trickle-Down-Policy. Sein provisorisches Budget ist eine gigantische Umverteilung zugunsten der Superreichen und ein gewaltiger Verrat an den Versprechen, die er seinen weissen Wählerinnen und Wählern gemacht hat. Trump wird diese Widersprüche nicht durchhalten und an seinen Unwahrheiten scheitern. Nach dem Lügenpräsident Trump wird Korrektheit, die Wahrheit und die Suche nach der Wahrheit eine ganz andere gesellschaftliche Bedeutung erlangen.
Bis vor wenigen Monaten wurde noch ernsthaft über den Untergang des klassischen Journalismus diskutiert. In Zukunft würden Facebook oder ein paar Milliardäre über das Schicksal der Medien entscheiden. Selbst die renommiertesten Zeitungen wie die «New York Times» würden sich diesem Trend nicht entziehen können. Seit dem 8. November 2016 ist alles anders.
«Trump ist das Beste, das der ‹New York Times› passieren konnte», jubelt Chefredaktor Dean Baquet. Und er weiss, weshalb: Ob online oder auf traditionellem Papier, nach jedem Trump-Tweet schnellen die Abo-Zahlen in die Höhe.
Nicht nur die linksliberale «New York Times» hat Grund zur Freude. Der linksgerichtete Kabelkanal MSNBC serbelte in der Obama-Ära. Jetzt kann er mit CNN mithalten. Seine kämpferische Moderatorin Rachel Maddow verzeichnet trotz eines zweifelhaften Scoops mit Trump-Steuern Rekordeinschaltquoten. Kürzlich ist es ihr gar gelungen, ihren Mitkonkurrenten bei Fox News, Tucker Carlson, zu übertreffen.
Ebenfalls Rekordeinschaltquoten melden die linken TV-Satiriker. Ob John Oliver, Stephen Colbert, Trevor Noah oder Bill Maher. Die bereits totgesagte Sendung «Saturday Night Live» ist mit Alec Baldwin als Trump-Karikatur wieder Kult geworden. Trumps Fake News sind das Argument, dass wir Journalismus brauchen und der Treibstoff für die Debatte, wie viel wir ihn uns kosten lassen werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Aufbau Europas mit dem Aufbau eines neuen unabhängigen Mediensystems durch die Siegermächte. Nach Trumps Wahl ist klar: Wir werden es nicht wieder bis zur Gleichschaltung der Medien in den Händen weniger kommen lassen.
Trump versucht eine wirtschaftspolitische Quadratur des Kreises. Er will Nationalismus und Liberalismus unter einen Hut bringen. Mit einer Grenzsteuer will er die Importe verteuern und mit einem milliardenschweren Infrastrukturprogramm die Binnenwirtschaft ankurbeln. Gleichzeitig beteuert er, dass er weiterhin auf Freihandel setze. Das macht ihn zu einem wandelnden Widerspruch.
Stolz weist Trump daraufhin, dass er den Kohlekumpels wieder Hoffnung gemacht hat. Er will das Umweltministerium aushungern und der Erdölindustrie alle regulatorischen Hindernisse aus dem Weg räumen.
Damit sitzt Trump auf dem falschen Dampfer. Die Zukunft der fossilen Brennstoffe sieht zappenduster aus. Die Autofahrer schwenken rasant auf Elektro-Modelle um. Wer heute seinen Solarstrom vom Dach in die Hightech-Batterie leitet, braucht fürs Autofahren keine Tankstelle mehr und bei einer zweiten Batterie auch kein zentrales Elektrizitätswerk mehr für den Hausbetrieb. Trump steht so offensichtlich für das Ende der Epoche, dass man nicht weiss, ob er ein kapitalistisches Fossil oder der letzte Präsident des fossilen Kapitalismus ist. Jedenfalls sieht er so unfassbar alt aus, wie ein Benzin saufender Cadillac neben einem Tesla.
In Europa stehen wichtige politische Weichenstellungen an – und Trump wird zum Chancentod der Populisten. Linke und Liberale sollte jedoch nicht zu früh jubeln. Sich nur auf Trumps Abstossungspotenzial zu verlassen, wäre gefährlich. Denn so falsch wie der Wahlkampf von Trump war, so wahr sind die Probleme seiner Wähler. Trumps plumpe Lügen und seine offensichtliche Inkompetenz sind ein unverhofftes Geschenk an die Linke.
Sie sollte es annehmen. Das bedeutet, dass sie den Schwerpunkt verlagern muss: Weg von einer exzessiven Identitätspolitik und hin zu einer stärkeren Betonung der Gemeinschaft. In Zeiten des radikalen technologischen Umbruchs wollen die Menschen Solidarität und einen gestaltungsfähigen Staat.
Deutschland betreibt seit 15 Jahren eine absurde, auf den Export ausgerichtete Sparpolitik. Das hat mittlerweile den gesamten EU-Raum wirtschaftlich an den Rand gebracht. Auch der deutsche Mittelstand hat nichts davon. Nach einer langen Periode der Stagnation steigen die Löhne auch jetzt nur minim. Gemäss verschiedenen Untersuchungen braucht Deutschland theoretisch ein Jahrzehnt lang jährlich durchschnittliche Lohnerhöhungen von fünf Prozent, damit die Schieflagen im Euro-Raum ausgeglichen und die Nachbarländer wieder konkurrenzfähig sind.
Dem Exportwahn der Deutschen ist mit Trump ein Gegner entstanden, den sie nicht mehr ignorieren können. Trumps ökonomischer Berater Peter Navarro hat die Deutschen bereits der Devisenmanipulation bezichtigt. Trump selbst hat anlässlich seines Treffens mit Angela Merkel betont, dass er mehr Fairness in den Handelsbeziehungen will.
Der Druck aus den USA könnte der Auslöser sein, das europäische Haus ökonomisch wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Anstatt die Italiener zu belehren und die Griechen zu prügeln, könnten die Deutschen Löhne erhöhen und in die Infrastruktur investieren. Trump würde das: #makeeuropegreatagain nennen.
Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren unsere Arbeitswelt umkrempeln. Wir werden weniger, und wir werden anders arbeiten. Auf Arbeit fusst aber fast unsere gesamte Wertschöpfung. Wenn es keine Arbeit für alle mehr gibt, müssen wir unser gesamtes Wertesystem neu überprüfen.
Das wirft Fragen auf: Wem darf etwa ein Roboter gehören? Was für Anreize gibt es, Leistungen zu erbringen? Gibt es andere Arbeit, die wir einfach viel höher bewerten sollten, etwa die Altenpflege? Trump versucht, all diese Fragen mit seiner rückwärtsgewandten Zukunftsvision zu verdrängen. Gerade deshalb zwingt er uns, selbst Antworten zu entwickeln und selbstständig zu denken. Trump könnte so eine Gegenreaktion auslösen, die so heftig ist, dass in vier oder acht Jahren radikale Schritte wie etwa ein Grundeinkommen möglich sein werden. Mit Hillary Clinton hätten wir weitergewurstelt.
Trump hingegen hat den Weg für einen radikalen Change frei gemacht.