Die Automobilhersteller erleben turbulente Zeiten. Die Corona-Pandemie hat die Lieferketten durcheinander gebracht. Vor allem Halbleiter sind Mangelware. Dies bremst die Produktion und sorgt für lange Lieferfristen, denn eigentlich sind die Auftragsbücher voll. Der Krieg in der Ukraine verschärft das Problem, denn auch dort hat es wichtige Zulieferer.
Eine zusätzliche Herausforderung ist die Klimakrise und der damit verbundene Druck, «saubere» Autos zu produzieren. Dies hat vor allem die deutschen Hersteller auf dem falschen Fuss erwischt. Sie hatten zu lange auf den Diesel gesetzt und mussten erleben, wie ein «Emporkömmling» namens Elon Musk mit Tesla neue Massstäbe gesetzt hat.
«Wohl keinen anderen Wettbewerber traf der Angriff Teslas so unmittelbar und so schlecht vorbereitet wie Daimler», schrieben die «Spiegel»-Journalisten Simon Hage und Martin Hesse in ihrem kürzlich erschienenen Buch «Aufholjagd». Zu lange hatte die Stuttgarter Premiummarke auf das margenstarke Geschäft mit teuren Verbrennern gesetzt.
Diese Zeiten aber sind vorbei, und zwar endgültig. Wie es der Titel des Buches umschreibt, haben die Deutschen zur Aufholjagd angesetzt. Besonders eindrücklich ist jene des zurecht gescholtenen Daimler-Konzerns, wie dessen Chef Ola Källenius am Montag in einem Referat vor der Handelskammer Deutschland-Schweiz in Zürich ausführte.
Der 52-jährige Schwede steht seit drei Jahren an der Spitze der Marke mit dem Stern und hat sie seither umgekrempelt. So wurde der ruhmreiche Name Daimler, einst der grosse Rivale von Gründer Carl Benz, gestrichen. Das Unternehmen heisst nun Mercedes-Benz Group. Nach Daimler ist noch die Ende 2021 «outgesourcte» Lastwagen-Sparte benannt.
Mit Mercedes hat Källenius, der an der HSG studiert hat und perfekt Deutsch spricht, zwei klare Ziele vor Augen: Elektrifizierung und Digitalisierung. Gleichzeitig will er die Marke noch konsequenter zu einem «Modern Luxury Brand» machen, wie er in Zürich erklärte.
Für sein Spitzenmodell hat Tesla nicht zufällig den Buchstaben S gewählt. Es war eine ziemlich klare Kampfansage an die S-Klasse von Mercedes. Diese gibt es heute rein elektrisch, als (ziemlich teures) Modell EQS. Und dabei bleibt es nicht, stellte Ola Källenius klar: «Ab 2025 ist die Fahrzeugarchitektur von Mercedes elektro-only.»
Der Vorstandsvorsitzende wollte keine klare Angabe machen, wann der letzte Verbrenner verkauft wird (im Raum steht das Jahr 2030). Aber bis 2039 soll die gesamte Produktion inklusive Lieferketten CO2-neutral werden. «Wir haben in dieser Hinsicht Zusagen von Partnern, die 90 Prozent unseres Einkaufsvolumens umfassen», sagte Källenius.
Natürlich wollten sie ihr Geschäft verteidigen, meinte der Mercedes-Boss: «Aber sie glauben auch daran.» Für den Durchbruch bei der Elektromobilität sind für ihn zwei Dinge zentral: Ein Ausbau der Ladeinfrastruktur «und eine beschleunigte Energiewende». Der Kapitalmarkt habe sich schon entschieden: Für Dekarbonisierung und Elektrifizierung.
Auch das Reichweiten-Problem ist für Källenius lösbar. Er verwies auf das Konzeptauto EQXX, mit dem im April mit nur einer Aufladung eine Strecke von mehr als 1000 Kilometer von Sindelfingen durch die Schweiz und Norditalien bis nach Cassis in Südfrankreich gefahren wurde. «Und wir hatten am Ende noch 160 Kilometer Reserve in der Batterie.»
Der EQXX sei extrem, räumte der Konzernchef ein: «Aber schon in zwei bis drei Jahren werden wir einen grossen Teil der Technologie auf der Strasse sehen.» Denn Effizienz sei «die neue Währung». Und den höchsten Wirkungsgrad hätten Batteriefahrzeuge. Die Brennstoffzelle mit Wasserstoff sei allenfalls für Lastwagen eine Option, meinte Källenius.
Heutige Autos sind fahrende Computer, was das Halbleiter-Problem verschärft. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen «bis zum autonomen Fahren», ist Källenius überzeugt. Er verweist auf einen ernsten Aspekt: Jährlich gebe es weltweit rund 1,3 Millionen Verkehrstote. In fast 100 Prozent aller Fälle handle es sich um menschliches Versagen.
«Digitalisierung macht das Autofahren sicherer», ist der Schwede überzeugt. Dabei will Mercedes möglichst viel selbst beherrschen, mit dem eigenen Betriebssystem MB.OS. Es werde ab 2024 zum Einsatz kommen, hofft Källenius. Es ist ein grosses Versprechen. So hat Mitbewerber VW laut der «NZZ am Sonntag» grosse Probleme mit seiner Software-Tochter.
Der Stern stand stets für Autos des gehobenen Segments. Ola Källenius will Mercedes noch konsequenter auf Luxus trimmen. «Der Trend zum Wohlstandswachstum ist ungebrochen», erläuterte er in Zürich mit Verweis auf eine Prognose der Credit Suisse, wonach die Zahl der Dollar-Millionäre bis 2025 auf 84 Millionen Menschen ansteigen werde.
Das gelte nicht nur für China, sondern auch für «reife Märkte» wie Europa und die USA, sagte Källenius, womit er wohl auch die Kritik an der enormen Abhängigkeit deutscher Autokonzerne vom politisch umstrittenen Reich der Mitte abfedern wollte. Er räumte jedoch ein, dass China «in den letzten zehn Jahren der Wachstumsmotor schlechthin» gewesen sei.
Vor 15 oder 20 Jahren habe man in China rund 5000 Fahrzeuge pro Jahr verkauft, «zehnmal weniger als in der Schweiz». Heute seien es 700’000 bis 800’000. Källenius ist auch überzeugt, dass das Auto als Privatbesitz eine Zukunft hat: «Das Sharing wächst, aber mit der Corona-Pandemie ist der geschützte Raum als etwas Wertvolles erkannt worden.»
Die Luxus-Strategie bedeutet, dass das Kompaktsegment (A-, B- und C-Klasse) reduziert werden soll, wie Mercedes-Benz kürzlich mitteilte. Dies dürfte zu reden geben. In einem Punkt aber lässt Ola Källenius keinen Zweifel aufkommen: «Es gibt keinen Luxus ohne Nachhaltigkeit. Der vollständige Ausstieg aus dem Verbrenner ist die richtige Richtung.»
Um die deutschen Autobauer mache ich mir keine Sorgen. Aber für die Japaner auf der anderen Seite...