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Euro-Krise: Erste Prognosen sehen ihn unter 90 Rappen fallen

«Sinkflug ohne Boden»: Erste Prognosen sehen den Euro unter 90 Rappen fallen

In der letzten Eurokrise musste die Schweizerische Nationalbank einen Mindestkurs zum Euro einführen. Nun geht die Angst vor einer neuen Eurokrise um.
24.08.2022, 04:5824.08.2022, 05:54
Niklaus Vontobel / ch media
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Der Euro schwächelt wieder - am Montag fiel er auf ein neues Allzeittief zum Schweizer Franken. Die europäische Einheitswährung kostete plötzlich weniger als 96 Rappen. Auf einmal tauchen Fragen auf. Wie schwach wird der Euro noch? Warum verliert er überhaupt an Wert? Warum auch zum Dollar? Und warum wird in deutschen Medien bang gefragt: «Droht eine neue Eurokrise?»

Der EU-Rechnungshof hat festgestellt, dass in der EU 4 Milliarden Euro falsch verbucht worden sind. (Symbolbild)
Eine Eurokrise könnte sich negativ auf die Schweizer Wirtschaft auswirken.Bild: sda

Eurokrise - in der Schweiz muss dieses Wort aufhorchen lassen. In der letzten Eurokrise sackte die europäische Einheitswährung so schnell ab, dass der damalige SNB-Präsident Philipp Hildebrand einen Mindestkurs zum Euro einführen musste. In einer Medienmitteilung hiess es damals im Jahr 2011: «Die gegenwärtig massive Überbewertung des Schweizer Frankens stellt eine akute Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft dar.» Warum wird nun wieder von einer Eurokrise geredet? Der Reihe nach.

Wie tief fällt der Euro noch?

«Im Sinkflug scheinbar ohne Boden» befinde sich der Euro, schrieben dazu am Dienstag die Ökonomen der Zürcher Kantonalbank. Die Strategen der amerikanischen Bank Goldman Sachs hingegen glauben, einen Boden zu erkennen - doch liegt der noch deutlich tiefer. Gemäss den US-Bänkern könnte der Euro bald nur 93 Rappen kosten - oder gar 88 Rappen. Irgendwo zwischen den hohen 80er oder niedrigen 90er-Rappen könne der Eurokurs zu liegen kommen.

Warum wird der Euro schwächer zum Franken?

Ein Kurs unter 90 Rappen wäre ein happiger Wertverlust. Im Juni war 1 Euro noch 104 Rappen wert. Dann erhöhte die SNB überraschend ihren Leitzins, während die EZB da noch abwartete. Geld in Franken anzulegen, lohnte sich so mehr, in Euro im Vergleich jedoch weniger. Seither schwächelte der Euro zum Franken.

Bald wird er bis zu 15 Prozent an Wert verloren haben, wenn das Szenario der Goldman-Bänker eintrifft. Damit würde die Aussage von Peter Spuhler mehr Gewicht erhalten. Der Stadler-Rail-Chef hatte die SNB-Zinserhöhung scharf kritisiert:

«Ich weiss nicht, was die geraucht haben.»

Warum schwächelt der Euro auch zum Dollar?

Zum US-Dollar ist der Euro gerade so billig geworden, wie seit 20 Jahren nicht mehr: zuletzt sind es 99 Cents gewesen. Und gemäss Prognosen von US-Banken ist dies erst der Anfang. Bald könnten es 95 Cents sein. Schon im Sommer gab es in den USA darum vermehrt Schlagzeilen wie diese: «Wohin man in Europa reisen sollte, solange der Dollar stark ist.»

Dahinter stehen die Aussichten für die USA und für die Eurozone, die gerade auseinander driften. In den USA läuft die Wirtschaft recht gut, der Arbeitsmarkt boomt sogar - doch die Inflation ist deutlich höher, als es die US-Notenbank haben will. Also wird sie wohl ihre Leitzinsen weiter erhöhen, damit sich der Konsum abkühlt und so hoffentlich die Inflation nachlässt. In der Eurozone dagegen ist die Lage ungleich kniffliger.

Einerseits ist die Inflation viel zu hoch - darum müsste die EZB mit ihren Leitzinsen deutlich rauf. Andererseits droht eine Rezession, falls steigende Energiepreise den Konsum abwürgen.

Gemäss vorlaufenden Indikatoren sind Deutschland und Frankreich schon in eine Rezession abgerutscht - da sollte die EZB die Wirtschaft nicht noch mehr belasten. Angesichts dieses Dilemmas wird die EZB ihre Leitzinsen weniger stark erhöhen, als es die US-Notenbank tun wird, glaubt zumindest der Finanzmarkt. Und diese Erwartung schwächt den Euro.

Warum wird von einer «neuen Eurokrise» geredet?

Die alte Eurokrise war von 2010 bis 2012 virulent, als einige südeuropäische Länder eine Schuldenkrise durchlitten. Italien, Griechenland oder Spanien mussten damals ständig höhere Zinsen abliefern, um sich an den Finanzmärkten verschulden zu können - ihnen drohte der Staatsbankrott. Ob dieser Krise schien die Eurozone gar auseinanderzufallen. Zum Franken sackte der Euro ab, sodass eben die SNB unter dem damaligen Präsidenten Philipp Hildebrand einen Mindestkurs einführen musste.

epa08780704 Philipp Hildebrand, a former head of the Swiss Central Bank, speaks at a press conference in Bern, Switzerland, 28 October 2020. The Swiss government has nominated Hildebrand as candidate  ...
Führte 2011 einen Mindestkurs zum Euro ein: Philipp Hildebrand, damals SNB-Präsident.Bild: keystone

Und nun, 10 Jahre später, steigen diese Zinsen wieder, insbesondere Italien muss mehr zahlen. Darum wird in deutschen Medien bereits gefragt: «Löst Italien eine neue Eurokrise aus?» Die höheren Zinszahlungen seien eine erhebliche Belastung für das Land. Und als im Juni von der EZB-Chefin Christine Lagarde eine Sondersitzung einberufen wurde, war in der «Bild-Zeitung» zu lesen: «Lagarde fürchtet die Zersplitterung des Euroraums.»

Warum hat die SNB nicht längstens eingegriffen?

Als der Euro im Jahr 2011 nur noch wenig mehr als 102 Rappen kostete, da griff die SNB noch ein und setzte einen Mindestkurs zum Euro durch. Diesen Mindestkurs hob die SNB zwar 2015 auf, doch danach stützte sie den Euro und hielt ihn lange bei ungefähr 110 Rappen herum. Doch nun liess sie es zu, dass der Euro gar unter 96 Rappen fiel. Da kann man sich fragen: Warum lässt die SNB die Dinge einfach laufen? Das erklärt sich teilweise mit der Inflation.

So viel kostet ein Euro in Schweizer Franken:

Bild
quelle: ezb, grafik: stb

Denn Schweizer Produkte und Dienstleistungen werden zwar im Vergleich teurer, wenn der Euro sinkt. Doch zugleich sind sie seit 2011 im Vergleich billiger geworden, weil die Preise in der Schweiz weniger stark gestiegen sind als in der Eurozone. Es gibt also zwei Effekte, die man gegeneinander aufrechnen muss.

Zum Beispiel werden durch die Euroschwäche schweizerische Skitickets im Vergleich zu österreichischen teuer sein im kommenden Winter. Zugleich haben jedoch österreichische Bahnen ihre Ticketpreise seit 2011 viel stärker erhöht als ihre schweizerischen Konkurrenten.

Seitdem die Coronakrise abebbt, haben sich diese beiden Effekte in etwa ausgeglichen: also der Inflationsunterschied einerseits, die Euroschwäche andererseits. Doch mittlerweile sei der Euro dafür doch zu schwach geworden, schrieb diese Woche Thomas Stucki, Chief Investment Officer der St.Galler Kantonalbank.

Bleibe es bis Frühling dabei, werde die Euroschwäche auf den Geschäftsgang von Schweizer Unternehmen durchschlagen. Spätestens dann werde der Ruf der Wirtschaft lauter werden, dass die SNB mehr tut. Doch wo für die SNB die Grenze erreicht sei, ab welchem Eurokurs sie den Dingen nicht mehr ihren Lauf lasse - das, so Stucki, «wissen wir nicht». (aargauerzeitung.ch)

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Entwürfe für die ersten Franken-Münzen
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Entwürfe für die ersten Franken-Münzen
Für die ersten Münzen wurden diverse Entwürfe eingereicht. (bild: schweizerisches bundesarchiv)
quelle: schweizerisches bundesarchiv
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62 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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benn
24.08.2022 07:24registriert September 2019
ja wir merken den günstigen euro, die preise unserer detailhändler für importwaren sind deutlich günstiger geworden, ironie off!
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Scaros_2
24.08.2022 06:47registriert Juni 2015
Liegt es am Fachkräftemangel, der aktuellen Ukraine Krise und den nachwehen der Corona Pandemi in der Supply Chain, dass dieses mal kein Unternehmen Drama macht wegen dem Starken Franken?

Ich kann mich noch errinnern, wann war das, 2015 oder so? Der Franken gleich auf zum Euro. Unser Unternehmen verlangte, dass wir mehr arbeiten als üblich, wir erhöhten die Preise massiv und riesen Drama etc............Heuer? Nix, keine einzige Silbe bisher vom Management vernommen.
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7immi
24.08.2022 09:57registriert April 2014
Immerhin haben die Unternehmen in der Zwischenzeit hinzugelernt. War ein Kurssturz um wenige Rappen vor einigen Jahren ein Drama, sind die Verträge jetzt in CHF ausgehandelt. Das Kursrisiko liegt also beim Besteller. Dies hat die Situation für viele KMUs erleichtert.
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