Die Szene war bizarr: John Bolton, Sicherheitsberater des US-Präsidenten und härtester aller harten Hardliner, besucht Moskau, tauscht mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow Nettigkeiten aus und scherzt schliesslich unbeschwert mit Wladimir Putin.
Dabei hatte der russische Präsident kurz zuvor an einer Konferenz in Sotschi seine Freundschaft mit China betont und die USA heftig angegriffen. Mehr noch: Putin hat den baldigen Untergang der Supermacht angekündigt: «Imperien bilden sich oft ein, sie könnten ein paar kleine Fehler locker verkraften, weil sie so mächtig sind», führte Putin gemäss «Financial Times» aus.
«Doch diese kleinen Fehler summieren sich und erreichen einen Punkt, an dem sie nicht mehr zu verkraften sind», so Putin weiter. «Ein Land kann sich einbilden, nie dafür bestraft zu werden und sich alles erlauben zu können. Das ist das Resultat, wenn es nur eine Supermacht gibt. Glücklicherweise zerbricht dieses Monopol (der USA, Anm. d. Verf.) nun. Es ist beinahe erledigt.»
Putins Kritik an den USA betrifft jedoch nicht den Präsidenten. Trump wird ausdrücklich gelobt. Dieser höre auf seine Argumente und sei glücklicherweise nicht empfänglich für Ratschläge eines Teils der amerikanischen Medien, erklärte der russische Präsident. Trump arbeite nach wie vor an einer guten Beziehung zwischen den beiden Nationen.
Sicherheitsberater Bolton nahm den Steilpass gerne an und erklärte seinerseits, die russischen Einmischungen in die US-Wahlen hätten das Ergebnis in keiner Weise beeinflusst. Gleichzeitig verbat er sich jedoch weitere Störungen bei den anstehenden Zwischenwahlen. Eine solche Einmischung wäre «nicht zu tolerieren», so Bolton.
Kurz vor Boltons Abflug nach Moskau hatte das amerikanische Justizministerium eine in den USA lebende Russin wegen Einmischung in die Wahlen angeklagt. Gleichzeitig hat das Pentagon seine erste Cyber-Operation angekündigt, um die russischen Geheimdienste abzuwehren.
Die grösste Belastung der Beziehung zwischen den beiden Ländern ist derzeit die Ankündigung von Trump, das sogenannte INF-Abkommen, den Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen, aufzukündigen. Dieses Abkommen wurde 1987 zwischen Ronald Reagan und Mikhail Gorbatschow abgeschlossen und gilt als Meilenstein in der Sicherung des Weltfriedens. Wird er tatsächlich für nichtig erklärt, droht ein neues nukleares Wettrüsten.
Die USA werfen Russland vor, diesen Vertrag verletzt zu haben. Putin hat dafür kein Verständnis. «Ehrlich gesagt, wir können nicht verstehen, weshalb die USA immer wieder unprovoziert feindselige Aktionen gegen Russland unternehmen», erklärte er und kündigte Gegenmassnahmen an. Eine neue «atomare Wunderwaffe» werde in «wenigen Monaten» an seine Armee ausgeliefert.
Immerhin konnten sich Russland und die USA darauf einigen, dass sich die beiden Präsidenten am 11. November in Paris treffen werden. Anlass ist die französische Gedenkfeier zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges. «Es ist sinnvoll, wenn wir unsere Ansichten über strategische Stabilität, Abrüstung und regionale Konflikte austauschen», so Putin.
Trump will den INF-Vertrag auflösen, Putin kündigt seinerseits an, seine Armee mit den modernsten Atomwaffen aufzurüsten. Gleichzeitig schäkert Hardliner Bolton in Moskau mit den Hardlinern im Kreml, derweil Putin lobende Worte für Trump findet. Wie passt das alles zusammen?
Seit dem Fall der Berliner Mauer hat sich das Verhältnis zwischen den einstigen Erzfeinden stark verändert. Im Kalten Krieg setzten die beiden Supermächte USA und UdSSR alles daran, sich gegenseitig zu neutralisieren. Die Amerikaner haben zu diesem Zweck ein weit verzweigtes Sicherheitsnetz gesponnen mit der Nato als Kern.
Diese liberale Weltordnung wird von Trump verachtet. Er ist überzeugt, dass die USA nicht Gewinner, sondern Verlierer dieser Ordnung seien. Deshalb macht er sich daran, sie zu zerstören. Er kündigt Verträge wie das Pariser Klimaabkommen oder den Handelsvertrag TPP mit Asien. Die Nato und die Welthandelsorganisation stellt er in Frage, der Uno misstraut er.
Trump will keine internationalen Abkommen, er will bilaterale Deals. Nur so, glaubt er, könnten die USA ihre Stellung als Supermacht behaupten und verhindern, dass sie ausgenutzt werden.
Russland hat das erklärte Ziel, wieder eine Supermacht zu werden. Anders als die UdSSR stützt Moskau diesen Anspruch jedoch nicht mit einer überlegenen Gesellschaftsform in der Zukunft, dem Kommunismus, sondern mit einer Verklärung der Vergangenheit. Putin sieht sich als Verteidiger der Weissen und des wahren Christentums. Das macht ihn bei den Rechtsnationalisten so beliebt.
Trump und Putin haben ein ähnliches Bild von der Gesellschaft. Beide sehen sich als autoritäre Herrscher, die wissen, was gut für ihr Land ist. Sie haben daher kein Verständnis für Rechtsstaat, Demokratie und freie Medien. Persönlich verstehen sie sich deshalb prächtig. Wie der Rest der Welt mit dieser Männerfreundschaft zurechtkommen wird, ist eine andere Frage.