In einem Interview mit der «Financial Times» erklärte Elon Musk kürzlich: «Ich spiele gerne den Idioten auf Twitter. Manchmal schiesse ich mir dabei selbst ins Knie und bringe mich in Schwierigkeiten. Ich finde es auf eine Art therapeutisch, wenn ich mich auf Twitter ausdrücke. Es ist meine Art, mich dem Publikum mitzuteilen.»
Oft versucht Musk dabei auch, lustig zu sein. Etwa, wenn er mit einem Waschbecken im Hauptgebäude auftaucht und damit ausdrücken will, dass nun alles anders werde. (Kurze Erklärung: Waschbecken heisst auf Englisch «sink», und der Ausdruck «to sink in» bedeutet «es wird allmählich klar».)
Entering Twitter HQ – let that sink in! pic.twitter.com/D68z4K2wq7
— Elon Musk (@elonmusk) October 26, 2022
Die Witze von Musk sind in der Regel bloss peinlich, um es höflich auszudrücken. So bezeichnet er sich selbst als «Chief Twit». (Nochmals kurze Erklärung: Twit ist ein englischer Ausdruck für «Trottel».)
Musk ist sicherlich ein genialer Erfinder und Unternehmer. Er hat jedoch eine Kehrseite: Sein Sozialverhalten ist plump – und es ist vor allem völlig frei von Empathie (*). Ashlee Vance schildert in seiner 2015 erschienen Musk-Biografie, wie rücksichtslos dieser mit seinen Angestellten umspringt, dass er beispielsweise seine langjährige Sekretärin mit einer SMS gefeuert hat – und Vance hat keine Demontage von Musk geschrieben. Er hat vielmehr versucht, ihn in einem positiven Licht erscheinen zu lassen.
In seinem Verhalten als Unternehmer ist Musk ein kaltblütiger Pragmatiker, in seinem politischen Verhalten wird er zu einer ungesicherten Handgranate. Neuerdings mischt er sich in die amerikanische Politik ein. So ergreift er nun offen Partei für die Republikaner. Oder er versucht sich auf der geopolitischen Bühne, indem er den Ukrainern idiotische Friedensvorschläge unterbreitet.
Nun also ist Musk nicht nur der reichste Mann der Welt, er ist auch Eigentümer von Twitter und damit Herr über die politisch einflussreichste soziale Plattform geworden. Damit hört der Spass auf, mag er noch so plump sein.
Bereits Stunden nach der definitiven Übernahme von Twitter hat Musk bewiesen, wie sehr er als neuer Besitzer dieser Plattform fehl am Platz ist. Zunächst hat er vollmundig angekündigt, Twitter wieder für alle zu öffnen. Die Verbannung von Donald Trump und anderen rechtsextremen Hassfiguren bezeichnete er einst als «moralisch falsch, und im Klartext: extrem dumm». Doch bereits jetzt haben Hass- und antisemitische Tweets um 500 Prozent zugenommen.
Als neuer Eigentümer versicherte Musk zwar, er werde Twitter nicht in ein «Höllenloch» für Rechtsextreme verwandeln, nur um kurz darauf in einem Tweet eine absurde Verschwörungstheorie zum Anschlag auf Paul Pelosi aufzugreifen. Den Tweet hat er mittlerweile wieder gelöscht, der Schaden jedoch bleibt. Führende Manager haben angekündigt, Twitter zu verlassen, oder haben es bereits getan. Den CEO hat Musk selbst gefeuert. Wie viele der 7500 Mitarbeiter dasselbe Schicksal erleiden werden, ist Gegenstand von Spekulationen.
Das Schicksal der geschassten Mitarbeiter wird Musk (*) kaum kümmern, das Verhalten der Werbekunden hingegen schon. Auch diese haben einen Massenexodus angekündigt. IPG, eine der weltweit grössten Werbeagenturen, hat eine Empfehlung an ihre Kunden abgegeben, vorläufig ihre Anzeigen auf Twitter zu sistieren. Zu diesen Kunden gehören unter anderem Coca-Cola, Johnson & Johnson, Mattel und Spotify.
US-Konzerne meiden die Politik wie der Teufel das Weihwasser. Rechtsextreme Medien wie Breitbart oder Newsmax haben daher kaum Werbung von den Fortune-500-Unternehmen. Mit Musk wird Twitter in den gleichen Topf geworden und erleidet nun das gleiche Schicksal wie Trump. Er wird persönlich mit dem Unternehmen in Verbindung gebracht und damit von den Werbern wie eine heisse Kartoffel fallengelassen.
Eine weitere wichtige amerikanische Werbeagentur, die Interpublic Group of Cos., teilte ihren Kunden gemäss «Wall Street Journal» mit: «Derzeit ist die Situation bei Twitter unvorhersehbar und chaotisch. Schlimme Typen und unschickliches Verhalten gedeihen unter diesen Umständen. Deshalb können wir derzeit Twitter nicht als sicheren Ort für respektierte Marken empfehlen.»
Dabei ist Werbung die wichtigste Einnahmequelle für Twitter – und das Unternehmen braucht dringend Geld. Musk hat es zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gekauft – kurz vor dem Crash der Techno-Aktien – und viel zu viel dafür bezahlt. Nun muss das bereits hoch verschuldete Unternehmen auch noch die Zinsen für das Kapital schultern, welches teilweise für die Übernahme geliehen wurde.
Diese Rechnung geht nicht auf. Musk will daher neue Finanzquellen erschliessen. Konkret möchte er seine User dazu bewegen, monatlich eine Abgabe in der Höhe von acht Dollar zu entrichten. Die Reaktion auf diese Pläne ist wenig ermutigend. «Weshalb soll ich acht Dollar hinblättern, um mich auf Twitter beschimpfen zu lassen?», spottete etwa Trevor Noah in seiner «Daily Show». Er traf damit den Nagel auf den Kopf. Eine Umfrage unter 1,9 Millionen Twitter-Usern hat gemäss «Wall Street Journal» ergeben, dass 80 Prozent der Befragten zur Antwort gaben: «Wir werden nicht bezahlen.»
Mit Tesla hat Musk nicht nur sein Genie bewiesen, sondern er wurde damit zumindest teilweise ein Held der linksliberalen Szene. Tesla-Fahren war lange gleichbedeutend mit Umweltbewusstsein. Mit seinem stümperhaften Vorgehen bei Twitter beschädigt Musk diesen Ruf nachhaltig. Linksliberale werden sich nun zweimal überlegen, ob sie einen Tesla erwerben wollen oder nicht, und sie haben neuerdings reichlich Optionen von anderen Anbietern.
Elon Musk wird deswegen kein armer Mann werden. Sein Vermögen wird nach wie vor auf über 200 Milliarden Dollar geschätzt. Mit seinem Vorgehen bei Twitter hat er jedoch bewiesen, was wir auch aus der Schweiz kennen, etwa von Christoph Blocher: Ein erfolgreicher Unternehmer ist keineswegs zwingend ein erfolgreicher Verleger.
* In einer früheren Version des Textes stand hier eine Referenz auf das Asberger-Syndrom, das Elon Musk laut eigenen Aussagen hat. Diese war unpassend. Wir haben sie deshalb entfernt.
Heute befindet er sich auf meiner Sympathieskala auf der gleichen Stufe wie etwa Donald Trump.