Stillschweigend und mit dem Blick zum Boden gerichtet marschieren Demonstrantinnen in roten Roben und weissen Hauben bei den Massenprotesten in Israel mit. Dabei gemahnen sie an die Mägde aus der dystopischen Serie «The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd», die auf dem gleichnamigen Roman von Margaret Atwood aus dem Jahr 1985 basiert.
Die Geschichte beschreibt eine post-apokalyptisch westliche Gesellschaft, in der Frauen – nach biblischem Vorbild – dem Mann untergeordnet sind. Die Frauen werden entrechtet, missbraucht und ihnen wird der Zugang zu Bildung verwehrt. Stattdessen dienen sie dem Zweck der Fortpflanzung.
Wer die Geschichte kennt, wird beim Anblick dieser Bilder wohl zusammenzucken:
Mit der auffälligen Aktion wollen die Frauen vor den Augen der Welt darauf hinweisen, dass Israels Regierungschef Benjamin (Bibi) Netanjahu mit den geplanten Justizreformen eine rote Linie überschreitet. Sie befürchten, dass Israel zu einem Staat wird, in dem Frauen und Minderheiten benachteiligt sind.
Women in Tel Aviv, Israel are marching in silent protest against Netanyahu’s planned murder of democracy. pic.twitter.com/3J0q9twFNt
— Ashok Swain (@ashoswai) March 17, 2023
Die Ausgangslage des Romans (und der Serie) kann zwar nicht mit der aktuellen Lage in Israel verglichen werden: Atomare Katastrophen sowie Umweltverschmutzung führten dazu, dass der grösste Teil der Bevölkerung unfruchtbar ist. Jene Frauen, die noch Kinder gebären können, werden zu Dienstmägden aka Babymaschinen. Ihre Hauptaufgabe: Kinder für elitäre und unfruchtbare Paare gebären.
Dennoch können mit der umstrittenen Justizreform ein paar Parallelen gezogen werden. «The Handmaid’s Tale» beginnt mit der Entstehung eines autoritären Staats, der die Rechte der Frauen ins Mittelalter zurückwirft. Es herrschen strikte Geschlechtertrennungen. Dies gilt in Israel als rotes Tuch. Eigentlich. Denn die ultraorthodoxen Parteien in der aktuellen Koalition nehmen keine weiblichen Mitglieder auf. So besteht die derzeitige Regierung aus so wenig Frauen, wie seit Jahren nicht mehr.
Doch das ist nicht das einzige Problem. Die Demonstrantinnen und Demonstranten fürchten, dass Israel eine Mehrheitsdiktatur einführt. Netanjahu möchte mit der Reform das höchste Gericht schwächen und somit die Gewaltenteilung de facto aushebeln. Dies ermöglicht dem israelischen Parlament, der Knesset, mehr Kontrolle über die Justiz.
So könnte die Regierung nach ihrem Gusto (und ihren Ideologien) Gesetze erlassen – ohne Rücksicht auf Grundrechte und Minderheiten. SRF-Nahostexpertin Susanne Brunner nennt ein Beispiel: «Findet eine Mehrheit, Frauen müssten – wie das religiöse Kreise verlangen – immer hinten im Bus Platz nehmen (...), kann sie ein entsprechendes Gesetz erlassen.»
Im Roman werden auch lesbische und schwule Paare degradiert. Menschen der LGBTQ-Gemeinschaft fürchten sich ebenfalls vor einem solchen Flashback. Bislang galt gerade Tel Aviv in diesem Thema als sehr aufgeschlossen. Doch in orthodoxen Kreisen ist die LGBTQ-Szene ein komplexes Thema.
Wer sich in Gilead – dem autoritären Staat aus «The Handmaid's Tale» – gegen die Regierung stellt, dem droht die Todesstrafe. Auch in Israel wollen rechtsradikale Koalitionspartner in Netanjahus Regierung die Todesstrafe für Terroristen einführen. Brunner sagt dazu: «Wenn dies eingeführt wird, ist Israel kein Rechtsstaat mehr.»
Noch ist nichts definitiv. Die Regierung ist nach den heftigen Massenprotesten – sowie den Äusserungen des Verteidigungsministers – unter Druck geraten. Die Abstimmung über Reformen, die einer Revolution gleichen, sind auf Ende Juli verschoben worden.
Es ist beängstigend zu sehen, wie die Demokratie auf allen Kontinenten unter Druck gerät. Warum rennen Menschen diesen Fundamentalisten und religiösen Spinnern nach? Begreifen diese Menschen nicht, dass sie sich dadurch selber die Freiheit nehmen? Wir sind auf dem besten Weg, wieder im Mittelalter zu landen, wenn wir uns nicht knallhart diesen Typen in den Weg stellen.