Ein tiefer Erdölpreis ist grundsätzlich ein Segen für die Weltwirtschaft. Das begreift selbst meine Katze, schliesslich gibt es nur wenig Ölproduzenten, aber sehr viel Ölkonsumenten. Die grosse Mehrheit der Menschen profitiert also von der gewaltigen Reichtums-Umverteilung, die billiges Öl zur Folge hat. Das wiederum belebt die Nachfrage und bringt die dümpelnde Wirtschaft in Schwung.
So weit das ökonomische Lehrbuch, nun zur Realität: Einmal mehr haben die Ökonomen den rasanten Preiszerfall des schwarzen Goldes nicht kommen sehen. Rund 100 Dollar pro Fass schien definitiv die neue Normalität geworden zu sein, mit der man sich abgefunden hatte. Wenn es in so kurzer Zeit zu so grossen Umwälzungen kommt, dann entstehen Schocks, deren Wirkungen kaum kontrollierbar sind und zu nicht beabsichtigten Konsequenzen führen können.
Am Übelsten hat es Russland erwischt. Präsident Wladimir Putin ist auf Teufel komm raus auf einen hohen Ölpreis angewiesen. Drei Viertel seiner Exporterlöse stammen aus Öl und Gas, rund die Hälfte des Staatshaushaltes wird davon finanziert. Wie die Ökonomen haben auch die Machthaber im Kreml nicht einmal im Traum an einen solch raschen Preiszerfall gedacht.
Wie ahnungslos Putin & Co. waren, zeigt die Tatsache, dass die russische Regierung noch vor zwei Wochen ein Staatsbudget für die Jahre 2015 – 2017 verabschiedet hat, das von einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent, von einer Inflation von 5,5 Prozent und von einem Ölpreis von 96 Dollar pro Fass ausging.
kommentiert der russische Ökonomieprofessor Sergei Guriev in der «Financial Times».
Nach der Annexion der Krim liess sich Putin als entschlossener Macher und kühner Stratege feiern, der sich positiv von US-Präsident Barack Obama abhebt. Jetzt zeigt sich, dass er sich im grossen Stil verzockt hat. Die westlichen Sanktionen, über die er sich lustig gemacht hat, wirken. Putin sitzt in der Falle.
Er hat derzeit nur drei Optionen, um die Rubelkrise zu meistern, alle drei sind wenig attraktiv. Die russische Notenbank könnte die Leitzinsen weiter anheben. Das hat bisher kaum gewirkt, und es gibt keinen Grund, dass es künftig wirken sollte. Die Notenbank hat rund 400 Milliarden Dollar Devisenreserven und könnte diese in die Schlacht werfen. Das wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Die Geschichte zeigt, dass solche Aktionen nutzlos verpuffen. Schliesslich könnte Russland wieder Kapitalkontrollen einführen. Damit würde Putin erstens seine eigenen Oligarchen verärgern und zweitens sein Land nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich ins Abseits stellen.
Die vom Westen verhängten Sanktionen bringen die russische Wirtschaft bereits jetzt in massive Schwierigkeiten. Unternehmen und Banken sind vom internationalen Finanzmarkt ausgeschlossen und können sich nicht mehr refinanzieren. Selbst das scheinbar dicke Fettpolster hilft nur beschränkt, denn nur rund die Hälfte ist liquid, will heissen: kurzfristig verfügbar.
Anders Aslund vom Thinktank Peterson Institute rechnet in der «Financial Times» vor, was dies bedeutet: Rund 200 Milliarden Dollar liquiden Reserven stehen rund 600 Milliarden Schulden gegenüber. 2015 und 2016 muss Russland je 100 Milliarden Dollar Schuldzahlungen ans Ausland leisten.
stellt Aslund fest. Eine Rezession wird nicht zu vermeiden sein, um eine Depression zu verhindern, müsste Putin jetzt einlenken und eine friedliche Lösung mit dem Westen suchen. Nur so könnte er erreichen, dass die Sanktionen wieder aufgehoben werden. Das würde auch bedeuten, dass alle russischen Truppen aus der Ostukraine zurückgezogen werden. Leider deutet nichts daraufhin, dass Putin sich dazu bereit erklären könnte.