Deutschland hüstelt und die Schweiz liegt mit Fieber im Bett. So gross war einst die Abhängigkeit der hiesigen Industrie von der Wirtschaft im grossen Nachbarland. Die Bindung ist im Lauf der vergangenen 20 Jahre lockerer geworden. Das ist ein Glück, denn die schwere Grippe, an der die deutsche Industrie gerade leidet, hätte für die Schweizer Industrie damals wohl eine Lungenentzündung bedeutet.
Das ifo Wirtschaftsforschungsinstitut in München zählte vergangene Woche bei einer regelmässig durchgeführten Firmenbefragung 8,6 Prozent der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe, die «akut um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten». Auftragsmangel und ein steigender internationaler Wettbewerbsdruck seien die Hauptgründe, weshalb viele deutschen Firmen ihre Zukunft akut gefährdet sähen und das ifo Institut eine Zunahme der Firmenkonkurse erwartet.
Die Schweizer Industrie kann sich nicht schadlos halten. Deutschland absorbierte auch in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres 22,9 Prozent aller industriellen Exporte aus der Schweiz, wie die aktuelle Statistik des Branchenverbandes Swissmem zeigt. Doch die Ausfuhren nach Deutschland sind allein in dieser Periode um 8,4 Prozent eingebrochen. Von den grösseren Märkten war nur Italien noch etwas schlechter (-9,6 Prozent). Die USA, der zweitwichtigste Absatzmarkt für die Schweizer Industrie (Anteil 14,9 Prozent) hat die rückläufige Entwicklung von Güterexporten aus hiesiger Produktion (-3,6 Prozent) immerhin etwas aufgebessert. Aber für mehr hat auch die robuste Konjunktur Amerikas nicht gereicht.
Die Stimmung ist schlecht, in der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie mit ihren rund 330'000 Beschäftigten. Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher sagt: «Im besten Fall können wir im nächsten Jahr mit einer Stabilisierung rechnen.» Ein Drittel der Firmen geht in den kommenden zwölf Monaten von einem weiteren Rückgang der Aufträge aus. Nur noch 28 Prozent glauben, dass es besser wird.
Noch dramatischer präsentiert sich die Lage im Industrieverband Swissmechanic, der mit seinen 1400 angeschlossenen KMU-Firmen aus den Mem-Branchen rund 65'000 Beschäftigte repräsentiert. Der Verband ermittelte im Rahmen der jüngsten Mitgliederbefragung ein Geschäftsklima, das so schlecht ist wie seit Januar 2021 nicht mehr. Mit anderen Worten: Die Stimmung in vielen Schweizer Industriebetrieben ist so schlecht wie in den dunkelsten Zeiten der Pandemie. Die KMU leiden im Prinzip an den gleichen Problemen wie die grösseren Firmen, nur ist der Schmerz in vielen Fällen bei den kleinen noch etwas stärker als bei den grossen.
Ein Drittel der Firmen hat im dritten Quartal 2024 bereits Personal abgebaut. Trotzdem bewegte sich die Kapazitätsauslastung per Ende September mit 81 Prozent immer noch auf dem Pandemieniveau. 90 Prozent der Firmen erwarten auch bis zum Jahresende keine Verbesserung, weshalb ein Viertel für das laufende Quartal einen weiteren Stellenabbau vorsieht. 30 Prozent der Betriebe lebt gemäss der Befragung nur noch von der Hand in den Mund: Der Arbeitsvorrat beträgt noch mickrige 30 Tage. In solchen Situationen brauchen Unternehmerinnen und Unternehmer starke Nerven. Aber sie brauchen auch zuverlässige Kreditgeber, die beim aktuellen Temperatursturz selbst nicht gleich kalte Füsse bekommen.
67 Prozent der Firmen geben an, ihre Investitionen hauptsächlich mit Bankkrediten zu finanzieren. 25 Prozent der Industrie-KMU sagen aber auch, dass finanzielle Restriktionen Investitionen zuletzt verhindert hätten. In 82 Prozent der Fälle habe es am fehlenden Eigenkapital, in 11 Prozent aber auch an einer fehlenden Fremdfinanzierung gelegen.
Diese Befragung zeigt: Jetzt kommt auf die kreditgebenden Banken ein Qualitätstest zu. Schaffen sie es, die Risiken und Chancen von Investitionen richtig einzuschätzen und die Kredite zu tragbaren Bedingungen dorthin zu vergeben, wo sie auch Wachstum und einen volkswirtschaftlichen Nutzen stiften können? Oder fliesst das Geld in nutzlose Projekte mit dem Ergebnis, dass am Ende ein sinkender Risikoappetit der Banken alle Industriefirmen und somit die ganze Volkswirtschaft bestraft?
Je länger die Krise andauert, umso deutlicher werden die Antworten ausfallen. Gefordert ist nicht zuletzt die UBS, die ein grosses Unternehmenskreditbuch von der Credit Suisse übernommen hat und 26 Prozent aller KMU-Industriekredite verantwortet. Die Kantonalbanken kommen erst an zweiter Stelle (24 Prozent), und die Raiffeisen-Banken liegen mit 7 Prozent sogar noch hinter den Sparkassen und Regionalbanken (10 Prozent) zurück. 12 Prozent der Industrie-KMU haben in den vergangenen zwölf Monaten übrigens ihre Bank gewechselt: 5 Prozent sagen, sie hätten anderswo ein billigeres oder besseres Angebot bekommen, und ebenso viele geben an, die Grossbankenfusion habe sie zum Wechsel motiviert. (aargauerzeitung.ch)