Weniger heizen, weniger lang duschen: Diesen Winter könnte es besonders kalt werden. Europaweit haben Politiker für ihre Landsleute deshalb folgenden Ratschlag parat: Zieht doch einfach einen Pullover an. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ging schon mal mit gutem Vorbild voraus und twitterte ein inszeniertes Bild von sich im Rollkragenpulli anstatt im sonst üblichen Anzug mit Krawatte.
Auch in Deutschland appellierte der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vor wenigen Tagen an die Bevölkerung: «Dann zieht man halt einen Pullover an. Oder vielleicht noch einen zweiten. Darüber muss man nicht jammern.»
Kaum erwähnenswert, dass diese beiden Appelle nicht bei allen gut angekommen sind – vor allem in Deutschland ist die Empörung über «Schäubles Winter-Tipps» riesig. Das gemeine Volk soll frieren, weil es kein Geld für Strom und Gas hat, die Entscheidungsträger kassieren derweil munter weiter, so der Tenor auf den sozialen Medien.
CDU-Politiker Wolfgang Schäuble erntet für seine Winter-Tipps gerade einen regelrechten Shitstorm. Ein Nutzer zog gar den Vergleich zur letzten französischen Königin Marie Antoinette, die ihr von Hunger geplagtes Volk aufgefordert hatte, Kuchen zu essen, wenn sie kein Brot hätten. «Sollen sie doch Pullover tragen» von Wolfgang Schäuble sei nun das moderne «Sollen sie doch Kuchen essen».
Kritik hin oder her: Dicke Pullover könnten in diesem Winter tatsächlich noch gefragter als sonst sein – und klassische Bürokleidung weniger. Denn mit dem Aufruf dieser beiden und weiterer Politiker und Politikerinnen könnte das Tragen von legerer Kleidung am Arbeitsplatz nochmals salonfähiger werden und Hemden und Co. erneut einen Einbruch erleiden.
Der Absatz von Hemden, Blusen, Anzügen, Krawatten und Foulards hat sich nämlich erst gerade ein wenig erholt. Dies, nachdem die mühseligen Pandemiejahre und weltweiten Homeoffice-Empfehlungen den Dresscode verändert haben und Shirt und Pullover sich in etlichen Branchen zum vorherrschenden Business-Outfit entwickelt haben.
Über den veränderten Dresscode hat das Beratungsunternehmen Bearingpoint Ende 2021 in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine Studie durchgeführt. Das Fazit: Rund 62 Prozent der 1000 Befragten wollen auch im Büro T-Shirt und Pullover tragen. Nur 2 Prozent können sich vorstellen, täglich Krawatte oder Foulard umzubinden. Laut der Studie arbeiten in den drei Ländern rund 30 Millionen Menschen im Büro.
Gaben die Leute vor der Pandemie im Jahr 2019 noch über 1100 Euro pro Kopf für Bürokleidung aus, waren es 2020 und 2021 insgesamt noch 480 Euro. Mit der Rückkehr ins Büro könnte sich der Betrag im laufenden Jahr zwar wieder erhöht haben – die aktuell düstere Konsumentenstimmung dürfte allerdings stark dämpfend wirken.
Händler verfolgen die Entwicklung deshalb genau. Zum Beispiel das auf Hemden spezialisierte Unternehmen Kauf, das über 70 Shops-in-Shop in Manor- und Coop-City-Warenhäusern sowie zwei eigene Shops betreibt. «Anstelle der formellen Kleidung werden inzwischen vermehrt T-Shirt, Polo-Shirts und Pullover getragen», bestätigt Inhaber Michael Kauf.
Zu seiner Freude habe das Hemd jedoch wieder massiv aufgeholt, die Zahlen des laufenden Jahres seien nicht mehr weit entfernt von den Zahlen vor der Pandemie, so Kauf weiter. Nicht so bei Krawatten: Dort sei die Nachfrage schon vor der Pandemie stark zurückgegangen, seither habe sich der Negativtrend weiter verstärkt. Hingegen seien die warmen Stoffe Strick und Flanell aktuell ein grosses Thema – ideal, wenn die Temperaturen im Büro eher knapp eingestellt sind, betont Michael Kauf.
Auch Händler wie Manor, PKZ und Zara führen relativ grosse Sortimente an Business-Kleidung. Die Frage, welche Beobachtungen sie derzeit machen, blieb bis gestern unbeantwortet. Doch alles in allem dürfte warme Kleidung bald sehr gefragt sein – woraus die Mode- und Lifestyle-Industrie schon jetzt Kapital zu schlagen weiss: Beispielsweise im deutschen Magazin «Instyle» gehen Energiespartipps mit Kauftipps für «stylische Hausschuhe», «kuschlige Teppiche» und «romantische Kerzen» einher.
Dass es kuschlige Hausschuhe bis an den Arbeitsplatz im Büro schaffen, ist eher unwahrscheinlich. Das sogenannte Dresscode-Dilemma könnte sich diesen Winter trotzdem weiter zuspitzen. Wie Bearingpoint in der Studie schreibt, lauert hinter dem Zerfall der alten Kleiderordnung oft ein Wertekonflikt. Die einen sehen legere Alltagskleidung im Job als Symbol für eine agile Arbeitswelt, die anderen warnen vor einem Verfall der Arbeitskultur mit Folgen für die Performance des Unternehmens.
Beide Lager haben gute Argumente auf ihrer Seite: Strenge Kleiderregeln werden oft als demotivierend empfunden und fördern womöglich ungewollt die Fluktuation motivierter Arbeitskräfte. Hingegen bleiben Anzug, Kostüm, Krawatte und Foulard nach aussen Symbole für Professionalität und Kompetenz.
Welchem Lager der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire angehört, ist eindeutig – abgesehen von dem einen einzigen Post zeigte er sich danach stets mit Schlips und Kragen.
Das Problem ist, dass sie eben nur Symbol dafür sind, meist aber nicht halten, was sie versprechen…
Der Typ in Anzug wirkt kompetent, bis er den Mund aufmacht…
Alles nur oberflächliches gehabe…
Viel Schein, wenig Sein…