Oben rechts, unter dem Logo der Schreinerei Otto Walti AG, 5703 Seon, steht auf dem A4-Blatt die Adresse, an die der Brief geschickt wurde:
Amt für Migration und Integration Kanton Aargau, Bahnhofstrasse 88, Postfach, 5001 Aarau.
Der Verfasser hat das Wort Integration unterstrichen. Eine Formatierung als Mahnfinger.
Ein paar Tage nachdem er diese Zeilen abgeschickt hat, sitzt Otto Walti, Arbeitshose, gelbes Firmenshirt, Sportuhr, im Büro seiner Schreinerei und sagt: «Für mich ist das einfach total unlogisch.»
Rückblende: Im Winter bekam Walti Besuch von einem etwas unsicheren, aber aufgestellt und motiviert wirkenden jungen Mann: Samuel Kehase, 26, Eritrea, anerkannter Flüchtling. Die az hat Samuel, der in Möriken bei einer Schweizer Familie wohnt, schon zweimal besucht. In einem Gespräch im vergangenen Sommer sagte er: «Ich hoffe, hier eine Stelle zu finden, um nicht von der Sozialhilfe abhängig zu bleiben. Ich finde das sehr wichtig für die Integration.» In Eritrea hatte Samuel in einer Metallwerkstatt gearbeitet.
Schreinermeister Walti erzählt: «Aufgrund einer Empfehlung kam er zu mir und fragte, ob ich Arbeit habe.» Per sofort gab es keine, aber einige Wochen später, Ende Februar, klappte es. «Wir hatten einen grossen Auftrag, da konnte ich ihn gut gebrauchen. Ich sagte ihm aber, er müsse spätestens übermorgen anfangen.»
Ziel sei gewesen, Samuel einerseits die Arbeit mit Holz näherzubringen und eine sinnvolle Beschäftigung mit anständigem Lohn zu bieten, anderseits zu schauen, ob er vielleicht für eine Schreinerlehre im Betrieb infrage käme. Von Anfang war klar: Samuel kann nur so lange bleiben, wie es auch Arbeit gibt.
Der junge Eritreer freute sich – erklärte seinem künftigen Chef aber auch, dass er zuerst eine Bewilligung vom Kanton benötige und diese wohl nicht von heute auf morgen erhältlich sei. Dort – genauer: Im kantonalen Amt für Migration und Integration – zeigte man Verständnis für Waltis Zeitdruck.
Noch am selben Abend erteilte die Amtsleiterin via E-Mail die Erlaubnis, Samuel anzustellen. Angehängt war ein Formular, das Walti ausfüllen und mit dem Arbeitsvertrag nachreichen musste:
Gesuch um Zusicherung der Aufenthaltsbewilligung und Erteilung der Bewilligung zum Stellenantritt an Nicht-EU/Efta-Staatsangehörige bei einer Schweizer Arbeitgeberin/einem Schweizer Arbeitgeber
In Seon laufen zu jener Zeit die Arbeiten am neuen Schulhaus Hertimatt 3. Samuel montiert mit einem erfahrenen Monteur Inneneinrichtungen. Der Monteur berichtet später dem Chef: «Du, der ist super.» Gegen Schluss der befristeten Anstellung füllt Otto Walti das Formular aus. Kurz darauf erhält er die Rechnung Nr. 16014903: 100 Franken «Arbeitsmarktliche Gebühr», 95 Franken «Stellenantritt». 1 Franken «Spesen/Porto».
Da habe es ihm «de Huet glupft», wie er sagt: «Alle jammern, man könne sie nicht integrieren, man brauche Steuergelder, um sie zu betreuen, und gleichzeitig macht man Gesetze, die solche Gebühren verlangen.» Für die, die arbeiten wollten, sei das System falsch.
Dass es eine Bewilligung brauche, leuchte ihm ein – aber wozu eine Gebühr? Recherchen zeigen: Es handelt sich um eine Gebühr, die in den Vollzugsbestimmungen zum Ausländergesetz festgelegt sind (siehe Infobox).
Er habe gedacht, er biete Integrationshilfe – so aber werde er künftig davon absehen, Flüchtlinge einzustellen. Ihm gehe es nicht um die 200 Franken, sondern ums Prinzip: «Mir ist jeder Mitarbeiter die 200 Franken wert, wenn ich weiss, was er kann – aber das wusste ich hier ja nicht.» Ein anerkannter Flüchtling müsse auf dem Arbeitsmarkt behandelt werden wie ein Schweizer, findet er: «Ich muss ja auch nichts zahlen, nur weil ich die Stelle wechsle.»
Der Schreinermeister sagt aber auch: «Ich mache niemandem einen persönlichen Vorwurf. Der Kanton hat gehandelt, wie er musste, und dass Samuel das Beamtendeutsch nicht verstanden hat und mich deshalb nicht über die Gebühr informierte, ist nachvollziehbar.»
Vorgestern schrieb der Kanton zurück nach Seon. Tenor: Man sei dankbar für sein Engagement und wisse, dass die Gebühr umstritten sei. Eine Gesetzesänderung auf Bundesebene sei in Sicht, man könne sie aber aufgrund des Rechtsgleichheitsgebots momentan nicht erlassen.
Zahlen wird Walti die Rechnung deshalb nicht so schnell. «Natürlich muss ich irgendwann, so blauäugig bin ich nicht.» Aber 35 Franken Mahngebühr nehme er gerne zusätzlich auf sich, wenn die Frage dafür Aufmerksamkeit in der Politik erhalte. «Vielleicht geht dann ja etwas.»