Wirtschaft
Schweiz

Fachkräftemangel: Economiesuisse-Präsident Mäder im Interview

Präsident der Economiesuisse: «Wir müssen das Asylrecht konsequenter umsetzen»

Der Schweiz gehen die Arbeitskräfte aus. Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder sagt, was dagegen hilft. Für die Bevölkerung hat er schlechte Nachrichten. Ein Gespräch über Renten, Kitas und Asylpolitik.
03.12.2023, 13:56
Doris Kleck / ch media
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Viele Firmen bauen Stellen ab, gleichzeitig fehlen Arbeitskräfte. Wie geht das zusammen?
Christoph Mäder: Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich eingetrübt, das hat vor allem auch mit den ausländischen Absatzmärkten zu tun. Diese leiden unter der Inflation, steigenden Energiepreisen und der unsicheren geopolitischen Lage. Das spüren vor allem die exportorientierten Firmen. Beim Abbau von Stellen handelt es sich um ein konjunkturelles Problem. Der Arbeitskräftemangel hingegen ist strukturell bedingt. Die Babyboomer gehen in Rente.​

Die Schweizer Wirtschaft wächst noch, vor allem dank der Nachfrage im Inland. Doch auch hier sinkt die Konsumentenstimmung. Was heisst das für die Wirtschaftsaussichten?
Im Vergleich zum Ausland ist die Konsumentenstimmung besser. Allerdings dämpfen die höheren Mieten und Krankenkassenprämien die Nachfrage. Wichtig ist, dass die Inflation nicht weiter steigt. Deshalb müssen wir auch die öffentlichen Finanzen im Griff haben. Staatsschulden treiben die Inflation an.

Christoph Maeder, Praesident economiesuisse, waehrend der Jahresmedienkonferenz von economiesuisse, am Donnerstag, 2. Februar 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Christoph Mäder präsidiert seit drei Jahren den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.Bild: keystone

Der Bund hat ein strukturelles Defizit. Die neue Legislatur steht im Zeichen der Verteilkämpfe. Wo soll der Bund Prioritäten setzen?
Der Bund darf nicht nur bei den schwach gebundenen Ausgaben – also Armee, Landwirtschaft, Bildung und Forschung sowie Entwicklungszusammenarbeit – sparen. Er muss auch die stark gebundenen, also gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben angehen. Dazu gehören der Sozialbereich und die Altersvorsorge.

Sie wollen bei den Renten sparen?
Kurzfristig ist wichtig, dass die Initiative für eine 13. AHV-Rente abgelehnt wird. Die Einführung einer 13. AHV-Rente würde innert weniger Jahre Mehrkosten von rund 5 Milliarden Franken verursachen und mit Sicherheit zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der Lohnbeiträge führen. Längerfristig müssen wir das inländische Arbeitskräftepotenzial stärker ausschöpfen – wegen des Fachkräftemangels und der Altersvorsorge.

Das heisst, wir sollen mehr und vor allem länger arbeiten.
Ja, wir müssen länger arbeiten. Wir können die Demografie nicht überlisten. Bei der AHV gibt es nur drei Stellschrauben: die Einnahmen, die Leistungen und die Erträge auf den Kapitalanlagen. Letztere kann man kaum beeinflussen. Die Leistungen will niemand kürzen. Bleiben die Einnahmen. Entweder erhöht man die Beiträge oder das Rentenalter.

Wir stimmen im März über ein höheres Rentenalter ab. Wie stark engagiert sich Economiesuisse dafür?
Wir unterstützen die Renteninitiative, weil die Verlängerung der Lebensarbeitszeit unabdingbar ist. Andere europäische Länder haben das Rentenalter längst erhöht.

Die Initiative ist chancenlos.
Die Schweiz hat schon öfter mehrere Anläufe gebraucht, um eine Reform durchzubringen.

Die Leute wollen nicht mehr arbeiten, sondern höhere Renten. Die Initiative für eine 13. AHV-Rente hat in Umfragen eine hohe Zustimmung. Wie erklären Sie sich das?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Initiativen in frühen Umfragen eine hohe Zustimmung haben, denn Nachteile und Kosten sind noch wenig präsent. Die Initiative ist perfid: Sie will die Renten nach dem Giesskannenprinzip erhöhen. Auch jene würden profitieren, die keine höhere Rente brauchen.

Christoph Maeder, Praesident economiesuisse, spricht waehrend der Jahresmedienkonferenz von economiesuisse, am Donnerstag, 2. Februar 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Christoph Mäder an der Jahresmedienkonferenz von economiesuisse.Bild: keystone

Hängt die hohe Zustimmung nicht viel eher damit zusammen, dass die Leistungen in den Pensionskassen sinken?
Die bestehenden Renten sinken nicht. Die Herausforderung ist die gestiegene Lebenserwartung. Viele Rentner haben ihre Rente nicht vollumfänglich finanziert. Es findet eine Quersubventionierung statt. Die Zeche zahlt am Schluss die junge Generation.

Zurück zum Fachkräftemangel. Was haben Sie noch für Rezepte ausser länger arbeiten?
Wir müssen das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen. Der Anteil der Teilzeitarbeitenden ist hoch. Das hat auch mit falschen Anreizen im Steuersystem zu tun, etwa mit der starken Progression. Hier müssen wir ansetzen. Auch eine Individualbesteuerung kann Abhilfe schaffen. Zudem braucht es mehr Flexibilität beim Arbeitsgesetz. Das ist gerade auch hilfreich für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familien.

Auf Bundesebene wird eine Vorlage zur Entlastung der Eltern bei den Kita-Tarifen beraten. Sind Sie dafür?
Ich bin dafür, dass im Bereich der Kitas mehr getan wird, aber die Vorlage finde ich zu forsch. Der Bund ist dafür nicht zuständig! Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat richtig gesagt, dass die Kita-Finanzierung eine kantonale Angelegenheit ist.​

Sie hat auch gesagt, die Unternehmen sollen sich beteiligen.
Viele Firmen leisten bereits Beiträge an die Kita-Kosten ihrer Angestellten. Wir können über Finanzierungsmodelle unter Beteiligung der Wirtschaft diskutieren. Allerdings werden Firmen ohnehin aus eigenem Antrieb handeln, weil sie sonst keine Mitarbeitenden mehr finden.

Löst die Digitalisierung das Fachkräfteproblem?
Hier liegt viel Potenzial brach. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass gewisse Leistungen nur noch digital erbracht werden und nicht mehr von Personen. Ich stelle fest, dass andere Länder sehr viel weiter sind. Die Schweiz ist in vielen Bereichen noch sehr arbeitsintensiv aufgestellt.​

Weshalb?
Die grosse Verfügbarkeit von Arbeitskräften hat in der Vergangenheit wohl dazu geführt, dass die Digitalisierung nicht überall genug stark vorangetrieben wurde. Doch dies dürfte sich aufgrund des Arbeitskräftemangels ändern.

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat keine Angst vor der 12-Millionen-Schweiz. Und Sie?
Ich habe keine Angst, aber Respekt. Die Zuwanderung wird auch in Zukunft eine Rolle spielen, sonst können wir Stellen nicht mehr besetzen und der Wohlstand geht zurück. Ich glaube aber nicht, dass die Gesellschaft die Zuwanderungsrate der letzten Jahre weiterhin akzeptieren wird. Wir brauchen eine vernünftige Zuwanderung.​

Sollen Unternehmen nicht mehr im Ausland rekrutieren?
Die Firmen werden sich anpassen. Wenn sie die Arbeitskräfte nicht finden, bauen sie im Ausland aus. Ich rede aber sicher nicht dem Nullwachstum das Wort. Und finde es falsch, Firmen zu vertreiben, wie es zum Teil gefordert wird.

Die «Nachhaltigkeitsinitiative» der SVP will das Ende der Personenfreizügigkeit. Was wollen Sie dieser Initiative entgegensetzen?
Wir wollen klar an der Personenfreizügigkeit mit der EU festhalten und den bilateralen Weg weiterentwickeln. In der Wahrnehmung der Bevölkerung ist ja nicht die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt das Problem, sondern vor allem die Lage im Asylbereich. Etwas überspitzt könnte man sagen: Wir wenden die Instrumentarien des klassischen Asylrechts auf die Wirtschaftsmigration an. Das funktioniert nicht. Asyl muss jenen vorbehalten sein, für die es gedacht war.

Wirtschaftsflüchtlinge erhalten kein Asyl in der Schweiz.
Es gibt einen Graubereich. Und wir haben Leute im Land, die aufgrund ausgedehntester Verfahren lange bleiben und deren Rückführung stark herausgezögert wird. Wir müssen das Asylrecht konsequenter umsetzen.

Kein anderes Land in Europa ist bei der Rückführung von abgelehnten Asylsuchenden derart konsequent wie die Schweiz.
Kein anderes Land in Europa hat einen derart hohen Ausländeranteil wie die Schweiz.

Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist viel grösser als die Zahl der Asylsuchenden.
Quantitativ ist das richtig. Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist aber breit akzeptiert. Früher gab es die Kritik, die Ausländer würden uns die Stellen wegnehmen. Diese ist völlig verschwunden.

Heute heisst es: Die Mieten steigen wegen der Zuwanderung und die Züge sind überfüllt.
Das sind Folgen unseres Wohlstandes. Die pro Kopf genutzte Wohnfläche ist gross. Wir haben einen hohen Anteil an 1- und 2-Personen-Haushalten. Ich verniedliche die Probleme nicht, aber ich wehre mich gegen monokausale Erklärungen, dass die Zuwanderung an allem schuld ist.​

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167 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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FrancoL
03.12.2023 14:07registriert November 2015
Interessant, ich habe an keiner Stelle etwas gelesen, dass auch die Gewinne etwas besser verteilt werden könnten. Die Gewinne bleiben unangetastet, weder Steuern noch neue Steuermodelle sind angedacht. Nur eine Ebene ist im Spiel und die ist die Mehrzahl der Bürger und Bürgerinnen müssen länger arbeiten oder mehr einzahlen oder Einbussen hinnehmen.
Das die Schere zwischen Arm und Reich aufgeht und man da auch ansetzen sollte, das steht nicht auf dem Menuplan von Christoph Mäder. Möglich dass es an seinem Vornahmen liegt.
In Zukunft müssen ALLE sich einbringen um weiter zu kommen.
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Rethinking
03.12.2023 14:19registriert Oktober 2018
Bezahlt den echten Teuerungsausgleich für die letzten 4 Jahre!
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Wolfman
03.12.2023 15:26registriert April 2020
Kann mir dieser Herr erklären, WIE man länger arbeiten soll, wenn man als Ü50 auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hat, egal wie gut ausgebildet? WIE soll das gehen sie Ho..lkopf? WIE???👊👊👊👊
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