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Die Credit Suisse und die «Suisse Secrets»

epaselect epa09775648 A view of the logo of Swiss bank Credit Suisse in Zurich, Switzerland, 21 February 2022. A major data leak linked to thousands of accounts from one of the world's biggest pr ...
Die «Suisse Secrets» stehen im Aufmerksamkeitsschatten des Kriegs in der Ukraine. Der Grossbank kann es nur recht sein.Bild: keystone

Trauriges Sittengemälde einer Schweizer Grossbank – Credit Suisse und die «Suisse Secrets»

Die Credit Suisse schweigt zu ihrem grossen Datenleak und hofft auf kollektives Vergessen. Und hat zur Sicherheit die EY-Detektive losgeschickt.
13.03.2022, 10:50
Christian Mensch / ch media
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Das Timing war maximal ungünstig. Kaum hatte ein Medienkonsortium unter Führung der «Süddeutschen Zeitung» die publizistische Auswertung der ihr zugespielten Kontodaten der Credit Suisse gestartet, überfielen russische Truppen die Ukraine. Der «Suisse Secrets»-Skandal war damit abgehandelt, bevor er richtig ausgerollt werden konnte. Die Aufmerksamkeit galt fortan den russischen Oligarchen und nicht mehr der Schweizer Grossbank, die sich mit ihrer Klientel wiederkehrend dem Vorwurf der Geldwäscherei aussetzt.

Ohne eigenes Zutun war für die Credit Suisse das Timing damit maximal günstig. Wohl schon früher, aber spätestens am 28. Januar, als ein umfangreicher Fragebogen der Medienschaffenden bei ihr eintraf, hatte sie davon ausgehen müssen, über längere Zeit unter medialem Beschuss zu stehen. Sie schindete nach der Anfrage zwar noch eine Woche Zeit, bis sie die über 200 Fragen mit einer Beschwichtigung retournierte und ein Statement für die Öffentlichkeit vorbereitete. Mehr als ein reaktives Wegducken war jedoch nicht erkennbar. Nachfragen werden auch jetzt nicht beantwortet.

Ein trauriges Sittengemälde der Schweizer Grossbank

Nun liegt das Buch zum Leak vor, verfasst von den drei Hauptautoren der «Süddeutschen Zeitung» und publiziert unter dem Titel «Schweizer Geheimnisse». Grosse zusätzliche Erkenntnisse sind daraus nicht zu entnehmen. Doch was in der Tagespublizistik noch mit maximalem Skandalpathos angerichtet worden ist, kommt in Buchform entspannter daher: Mit grossem Fleiss haben die Autoren jeden der Skandale aufgeführt, in dem die Credit Suisse in den vergangenen Jahren direkt oder indirekt beteiligt war. Die Liste ist lang und das Sittengemälde, das sich daraus ergibt, ist nicht schmeichelhaft, bedrückend vielmehr, wie die wiederkehrenden Beteuerungen, sich zu läutern, keine Glaubwürdigkeit mehr haben.

Auch wenn das Weltgeschehen die Aufmerksamkeit monopolisiert, so ist das Leak damit nicht aus der Welt. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young - wohl aus der Abteilung der Forensic & Integrity Services - forschen bankintern nach dem Datenleak. Nicht nur die Bank, auch die Medienschaffenden, die sich in der rund einjährigen Vorbereitung mit dem Datensatz befasst haben, fragten sich, woher die Informationen wohl stammen.

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Mehr Kunden als Konten - und dennoch Kunden mit mehreren Konten

Die Buchautoren vermuteten den oder die Whistleblower einmal «im Herzen der Credit Suisse», einmal bei ehemaligen Mitarbeitenden, die in den USA ein weiteres Verfahren gegen die CS anstreben. Den Kontakt zu ihrer anonymen Quelle hätten sie schon vor geraumer Zeit verloren. Sie seien in Sorge um ihn; in einer kaum verklausulierten Twitter-Meldung hätten sie noch versucht, ihn vor der bevorstehenden Publikation zu warnen - dass er oder sie sich in Sicherheit bringen solle.

Die Autoren sagen selbst, was sie erhalten hätten, sei ein «kuratierter Datensatz». Er umfasse 18'000 Konten und 30'000 Kontoinhaber samt Geburtsdatum und teilweise Kontaktadresse. Gleichzeitig wird gesagt, einzelne Kunden hätten bis zu zehn CS-Konten geführt. Wie dies zusammenpassen soll, wird nicht erklärt.

Ein- und Auszahlungen scheinen nicht dokumentiert, sondern lediglich Eröffnungs- und Schliessdatum sowie eine «Spalte», was der Höchstbetrag gewesen sei, der jeweils darauf deponiert gewesen sei. Insgesamt ergebe sich daraus eine Summe von «über 100 Milliarden Franken», was eine hohe, aber dennoch wenig aussagekräftige Zahl ist.

Ist die Datenbank bloss kuratiert oder ist sie gesäubert?

Die ersten Angaben reichten in die 1940er-Jahre zurück, die letzten stammen aus dem Jahr 2016. Eine durchgängige Logik, aus welcher elektronischen Datei die Informationen stammen, ist zumindest aufgrund des Buches und der weltweit publizierten Berichte nicht zu erkennen. Offenkundig ist: Es scheinen durchwegs Konten von Nicht-Schweizern zu sein. Ein seltsames Cluster von 6000 Konten hat einen Bezug mit Venezuela.

Die Journalisten zeichnen akribisch nach, mit welchen Methoden sie prüften, ob die Daten echt seien. Der Nachweis ist schlüssig und wird auch von der CS nicht in Frage gestellt. Wenig Interesse gilt jedoch der Frage, aus welcher Kompilation von Informationen die Datei wohl entstanden sei.

Den Buchautoren ist die ungleiche geografische Verteilung der geouteten CS-Kunden zwar aufgefallen. Die These, es könne damit zusammenhängen, dass die Schweiz nicht mit allen Ländern den automatischen Informationsaustausch vereinbart habe, ist nicht überzeugend. Dafür muss die weit wahrscheinlichere Variante schon gar nicht mehr diskutiert werden: Wer immer die Daten leakte, hat das «Kuratieren» ernst genommen - und wohl entfernt, was die saubere Erzählung der Schurkenbank und ihrer schurkischen Kundschaft gestört hätte.

Schweizer Medienrechtler: Pressefreiheit steht über dem Bankenrecht

Die «Süddeutsche Zeitung» fand ihren Technologie- und Recherchepartner beim «Organized Crime and Corruption Reporting Project» (OCCRP), einer von der US-Regierung mitfinanzierten Organisation. Wie fleissig die OCCRP-Gruppe im Hintergrund gewirkt hat, zeigt sich aus der Datei, die auf ihrer Website aufgeschaltet ist: 66 Kontoinhaber mit 181 Konten werden mit ihren kriminellen oder politischen Verstrickungen namentlich aufgeführt. Befremdlich dabei: Einige der Personen erscheinen in Klarnamen, während sie im Buch lediglich mit ihren Initialen auftauchen. Eine Logik erschliesst sich auch darin nicht.

Im Buch findet auch der Art. 47 des Schweizer Bankengesetzes grosse Beachtung. Es macht sich demnach schon strafbar, wer sich überhaupt mit gestohlenen Bankdaten beschäftigt - also auch die Medienschaffenden. Das Recherchedesk der Tamedia hat sich deshalb nicht wie sonst üblich an der Datenausweidung beteiligt.

So eindeutig scheint die rechtliche Lage aber nicht zu sein, wie nun im Buch selbst ausgeführt wird: Der Westschweizer Medienrechtler Denis Masmejan, notabene Geschäftsführer der schweizerischen Sektion der Reporter ohne Grenzen, wird darin mit den Worten zitiert: «Wenn mich ein Journalist fragen würde, ob er solcherlei Informationen veröffentlichen kann, würde ich ?Ja? sagen.» Sein Argument: In jedem Land müssten die Gesetze in Übereinstimmung mit der Verfassung interpretiert werden. Und da Artikel 47 des Bankengesetzes klar die Pressefreiheit verletzte, könne dieser Passus für Journalisten nicht angewandt werden.

Hannes Munzinger, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer. Schweizer Geheimnisse. Kiepenheuer & Witsch, 2022, 283 Seiten, 25.90 Franken.

(aargauerzeitung.ch)

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