Die Last auf den Schultern der Iraner ist gross. Der innenpolitische Konflikt im Iran ist bereits beim Eröffnungsspiel gegen England über den Persischen Golf nach Katar geschwappt.
Mitten auf der Weltbühne setzte die Mannschaft ein politisches Zeichen gegen das Mullah-Regime und die Unterdrückung im Iran. Das Team Melli, wie das Nationalteam genannt wird, verzichtete auf das Singen der Hymne.
Die Aktion blieb im Iran nicht unbemerkt. Doch der Staatssender versuchte, den stillen Protest unbemerkbar zu machen, indem er die Übertragung auf die Zuschauer lenkte. Und Druck auf die Mannschaft auslöste.
Wie CNN unter Berufung auf eine Quelle berichtete, soll die iranische Regierung die Familien der Nationalspieler bedroht haben, um weitere Proteste zu verhindern. Welchem Druck das Team ausgesetzt ist, erkannte man beim zweiten Spiel gegen Wales. Die Welt hing während der Hymne an den Lippen der Iraner, die mit versteinertem Blick mitsummten.
Nun steht die Mannschaft vor einem weiteren Spiel, bei dem es um weit mehr als nur um Fussball geht: die Partie gegen die USA.
Die Regierungen der beiden Länder sind stark verfeindet. Seit 1980 gibt es zwischen ihnen keine diplomatischen Beziehungen. Eine Annäherung liegt in weiter Ferne.
Ausgerechnet im politisch aufgeladenen Spiel geht es bei beiden Teams um den Einzug ins Achtelfinale. Der Iran befindet sich nach seinem historischen Sieg gegen Wales in einer guten Ausgangslage. Mit einem Sieg würde das Team zum ersten Mal in der WM-Geschichte eine Runde weiterkommen.
Auch ein Unentschieden – sofern England gegen Wales gewinnt – reicht dem Iran, um in die K.-o.-Phase einzuziehen.
Die USA hingegen sind zwar ungeschlagen, konnten aber noch keinen Sieg erlangen. Bei einer Niederlage oder einem Unentschieden müsste der «Grosse Satan» nach Hause reisen.
Abgesehen von der Rivalität der Erzfeinde steht die WM im Schatten der landesweiten Proteste im Iran. Seit mehr als zwei Monaten hält die Protestbewegung nun an. Mit dem Ziel, das Mullah-Regime zu stürzen.
Das fussballverrückte Land kommt zum Stillstand, wenn die Nationalmannschaft aufläuft. Eigentlich.
Denn: Nationalstolz – so wie wir ihn kennen – ist bei der Bevölkerung derzeit nur gering vorhanden. Dies zeigt sich einerseits bei der WM in Katar, wo Iran-Fans versuchten, die ursprünglichen Flaggen von vor der Islamischen Revolution ins Stadion zu schmuggeln. Und andererseits auf Videos aus dem Iran, die Protestierende zeigen, welche die Flagge der Islamischen Republik abfackeln.
Nachdem die Revolutionsgarden und die Basijis gestern den Sieg der islamischen Mannschaft gefeiert haben, entsorgt die iranische Bevölkerung die Flagge des islamischen Terrorstaats in der Mülltonne. #IranRevolution pic.twitter.com/KJpJ7dtIOG
— Shoura Hashemi (@ShouraHashemi) November 26, 2022
Einige Videos zeigen auch, wer sich besonders über den Iran-Sieg freute: die Revolutionsgarde des Gottesstaates.
Diese bizarren Videos sind alle gleich. Die Polizisten, Revolutionsgarden und Basijis tanzen und die Bevölkerung steht irritiert daneben und filmt höchstens. Perfektes Sinnbild für die iranische Gesellschaft. #IranRevolution pic.twitter.com/VcjAll6C1X
— Shoura Hashemi (@ShouraHashemi) November 26, 2022
Für die Machthaber würde ein Weiterkommen vor allem eins bedeuten: Triumph – der sich zu Propaganda ausschlachten liesse, um von den landesweiten Protesten abzulenken.
Noch vor dem Anpfiff kam es zu einer Konfrontation: Der Fussballverband der USA teilte in den sozialen Medien eine iranische Flagge, die nur aus den Farben Grün, Weiss und Rot bestand. Das Emblem der Islamischen Republik in der Mitte wurde absichtlich weggelassen.
Der Verband wollte damit «Unterstützung für die Frauen im Iran zeigen, die für grundlegende Menschenrechte kämpfen». Mittlerweile ist der Beitrag entfernt worden.
Ungeschehen konnte der Verband die Aktion so nicht machen. Die iranische Regierung reagierte umgehend und forderte den Rauswurf der USA aus der Weltmeisterschaft.
An einer Medienkonferenz erfolgte die Retourkutsche. Ein iranischer Reporter stichelte gegen die USA. Er belehrte den Mittelfeldspieler Tyler Adams: «Sie sagen, dass Sie die iranischen Menschen unterstützen, aber Sie sprechen den Namen unseres Landes falsch aus.»
Nach der Zurechtweisung fragte der Reporter, wie es sei, ein Land zu repräsentieren, das schwarze Menschen diskriminiere. Adams antwortete, dass es überall Diskriminierung gebe.
Doch nicht nur der Reporter schoss gegen den «Grossen Satan», sondern auch der Trainer der iranischen Nationalmannschaft Carlos Queiroz. Er nannte die Social-Media-Aktion der Amis unsolidarisch und zielte gleich auf die sozialen Probleme des Landes: «Wenn wir über Menschenrechte, Rassismus und Schiessereien an Schulen sprechen, sind wir mit allen solidarisch.»
Im Vorfeld hatte sich Queiroz bereits mit Jürgen Klinsmann angelegt. Der ehemalige deutsche Fussballtrainer bezeichnete die iranische Spielweise als «unsauber», die «Teil der Kultur» sei. Mit letzterer Aussage kriegte Klinsmann sich mit dem iranischen Trainer Carlos Queiroz in die Haare. In einem Instagram-Beitrag kritisiert dieser Klinsmanns Aussagen scharf:
Klinsmann reagierte auf die Kritik und entschuldigte sich: «Mein Kommentar zum Spiel hat sich rein auf den Fussball bezogen.»
My comments on the Wales v Iran game were purely football related. Unfortunately, this was taken out of a footballing context. I have many Iranian friends and was always full of compliments for their people, culture, and history. I wish them only the best for the tournament. pic.twitter.com/qBAbOGCcX8
— J_Klinsmann (@J_Klinsmann) November 28, 2022
Im Vorfeld nannte das iranische Regime die Partie «Mutter aller Spiele». Dies hat eine Vorgeschichte. Denn es ist nicht die erste Partie, in der der Iran und die USA aufeinandertreffen.
Die erste Begegnung der beiden Nationalteams geht auf die Weltmeisterschaft in Frankreich im Jahr 1998 zurück. Die Partie, die viel Sprengkraft bot, ging als friedlich in die WM-Geschichte ein. Die Spieler schüttelten sich die Hände, überreichten im Zeichen des Friedens weisse Rosen und posierten gemeinsam für ein Bild.
Als Sieger vom Platz ging der Iran.
In Teheran seien daraufhin Tausende von feiernden Fans auf die Strasse gegangen. Bereits damals sind die Frauen Berichten zufolge ohne Kopfbedeckung aus dem Haus gegangen. Die islamische Regierung soll den Sieg über die USA noch heute als grössten Erfolg feiern.
Zumindest diese Geschichte des Hidschāb wiederholt sich.