Am 4. Juni 1989 marschierte die Volksbefreiungsarmee auf: In einem blutigen Einsatz schlug sie die Studentenbewegung nieder, die seit fast zwei Monaten den Tiananmen-Platz im Zentrum von Peking besetzt hatte. Schätzungen zufolge kamen bis 3000 Menschen ums Leben, zu einem grossen Teil Einwohner der Hauptstadt, die die Protestierenden schützen wollten.
Zahlreiche Studenten konnten nach Verhandlungen mit der Armee den Platz des Himmlischen Friedens gewaltlos verlassen, darunter mehrere Anführer. In den Tagen danach begann die Hetzjagd der Behörden, 21 Studentenführer wurden öffentlich zur Fahndung ausgeschrieben. Einige wurden gefasst, doch acht von ihnen gelang die Flucht nach Hongkong, nachdem sie sich teilweise monatelang in China versteckt gehalten hatten.
Verantwortlich dafür war eine der spektakulärsten Rettungsaktionen der Geschichte: Operation Gelber Vogel. Benannt wurde sie nach einem chinesischen Sprichwort: «Die Gottesanbeterin verfolgt die Zikade, ohne den gelben Vogel hinter sich zu bemerken.» Eine abenteuerliche Allianz hatte sich gebildet, um Tiananmen-Aktivisten ausser Landes zu bringen: Beteiligt waren Bosse der Triaden, der Hongkonger Mafia, Polizisten, Geschäftsleute, kommunistische Funktionäre mit Sympathien für die Studenten und westliche Geheimdienste.
Die Angaben über die Zahl der Geretteten gehen auseinander, es sollen zwischen 400 und 800 gewesen sein. Unter ihnen befanden sich neben Aktivisten auch flüchtige Soldaten und Polizisten. Die meisten wurden mit Booten nach Hongkong gebracht, doch es gab auch ausgefallenere Methoden. Chai Ling, Nummer vier auf der Liste der 21 «Meistgesuchten», wurde nach zehn Monaten Versteckspiel in einem Frachtcontainer mit fauligem Fisch transportiert. Die Operation Gelber Vogel dauerte bis zur Rückgabe der britischen Kolonie Hongkong an China 1997.
Was aber geschah mit den 21 «Most Wanted»? Drei leben auf der Insel Taiwan, elf in den USA und sieben noch immer in China. Einen Überblick über ihr Schicksal liefert das Multimedia-Special der Hongkonger Zeitung South China Morning Post. Hier die Prominentesten:
Der ehemalige Geschichtsstudent organisierte auf dem Tiananmen einen Hungerstreik und brachte es so zu internationaler Bekanntheit und zum Status als meistgesuchter Anführer der Protestbewegung. Am 2. Juli 1989 wurde er verhaftet. Bis 1993 und erneut ab 1996 sass er im Gefängnis. Im Vorfeld eines Besuchs von US-Präsident Bill Clinton 1998 durfte er aus «gesundheitlichen Gründen» in die USA ausreisen. Heute lebt der 45-jährige Wang Dan als Universitätsdozent in Taiwan und engagiert sich weiterhin für Demokratie auf dem Festland. Er setzt darauf, dass die jüngere Generation «sich früher oder später erhebt, um zu kämpfen».
Nach zehn Wochen im Untergrund und zwei gescheiterten Fluchtversuchen wurde Wuer, Angehöriger der muslimischen Minderheit der Uiguren, dank Operation Gelber Vogel mit einem Boot nach Hongkong gebracht. Für den prominenten Aktivisten verlangten die Schlepper 600'000 HK$ (etwa 60'000 Franken). Er studierte in San Francisco und lebt in Taiwan. «Ich bereue meine Handlungen nicht, aber der Preis war gigantisch», sagte der 46-Jährige der Financial Times. Aus Verantwortungsgefühl gegenüber seinen Eltern wollte Wuer Kaixi sich mehrfach den chinesischen Behörden stellen, doch die wollen nichts von ihm wissen. Sein vorerst letzter Versuch scheiterte im letzten Herbst in Hongkong, ihm wurde die Einreise verweigert.
Der heute 53-Jährige studierte damals Physik und hatte eine führende Rolle bei den Protesten. Elf Tage nach dem Armeeeinsatz wurde er verhaftet und sass bis 1995 im Gefängnis. Im folgenden Jahr konnte er mit Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen in die USA ausreisen. Heute arbeitet Liu als IT-Spezialist für die Investmentbank Morgan Stanley, ausserdem unterstützt er nach wie vor Bestrebungen für Demokratie in China.
Die bekannteste Frau auf dem Tiananmen konnte mit ihrem damaligen Ehemann Feng Congde (Nummer 13 auf der Liste) nach Hongkong fliehen (siehe oben). Die 48-Jährige lebt in den USA. Sie ist Geschäftsfrau, gläubige Christin und engagiert sich unter anderem mit einer wohltätigen Organisation gegen die Folgen der Ein-Kind-Politik in China.
Als Studentin der Literatur auf dem Tiananmen aktiv, konnte sie nach sechs Monaten im Untergrund aus China fliehen. Sie reiste nach Kalifornien, wo sie heute als Autorin und Wissenschaftlerin lebt.
Er hat sich ideologisch wohl am weitesten von seiner Vergangenheit als Tiananmen-Aktivist entfernt. Nach seiner Flucht dank Operation Gelber Vogel zog Li in die USA. Dort gründete der heute 48-Jährige den Hedgefonds Himalaya Capital, der eng mit Warren Buffetts Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway zusammenarbeitet. Li wird gar als möglicher Buffett-Nachfolger gehandelt. Er kann als einer der wenigen damaligen Studentenführer wieder problemlos nach China reisen. Mit Tiananmen will Li Lu nichts mehr zu tun haben, Anfragen für Interviews zu dem Thema blockt er konsequent ab.
Das «Schlusslicht» auf der 21er-Liste hat ebenfalls eine illustre Karriere gemacht. Nach 19 Monaten Haft konnte Xiong 1992 in die USA flüchten. Dort studierte der heute 49-Jährige Theologie und verpflichtete sich als Feldprediger bei der US-Armee. In dieser Funktion diente er unter anderem im Irak-Krieg. Wie die meisten seiner damaligen Kampfgefährten engagiert sich Xiong noch heute für die Demokratiebewegung in China.