ETH-Forschenden ist es gelungen, erstmals aufzuzeigen, wie sich bestimmte im Gehirn verarbeitete Körpersignale zwischen Menschen mit unterschiedlichen Angstpegeln unterscheiden. Möglich machte das die Kombination eines speziellen Beatmungssystems mit einem bildgebenden Verfahren.
Herzrasen, schnelle Atmung und Handschweiss sind Symptome von Angst, mit denen das Gehirn den Körper auf eine mögliche Bedrohung vorbereitet. Bei Personen mit erhöhtem Angstpegel verstärkt die Wahrnehmung dieser Symptome die Angst. Es wird «eine regelrechte Abwärtsspirale» ausgelöst, wie die ETH-Forschenden in einer Mitteilung vom Freitag schreiben.
Bisher war es aufgrund technischer Grenzen schwierig zu untersuchen, wo genau im Gehirn dieser Teufelskreis stattfindet – und wie er sich bei Menschen mit erhöhtem Angstpegel durchbrechen lässt. Vermutet wurde, dass Angst mit veränderten Vorhersagesignalen im vorderen Inselkortex einhergeht. Diese Annahme zu bestätigen, gelang nun Olivia Harrison, der Hauptautorin einer kürzlich im Fachmagazin «Neuron» erschienenen Studie.
Sie und ihr Team stellten fest, dass der vordere Inselkortex bei Menschen mit höherem Angstpegel anders auf vorhergesagte Änderungen des Atemwiderstands reagiert. Parallel dazu scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen höheren Angstpegeln und einer veränderten Wahrnehmung von Körpersignalen.
Harrisons Studie an 60 Personen mit niedrigen und mittleren Angstpegeln erbringt laut Mitteilung «als erste ihrer Art einen Nachweis dafür, dass der vordere Inselkortex Modelle des körperlichen Zustands erstellt».
Empirisch nachgewiesen wurde das dank einem von Harrison entwickelten, MRI-kompatiblen Beatmungssystem. Dieses wurde genutzt, um eine Atmungslernaufgabe zu entwickeln und die dynamische Gehirnaktivität bei Vorhersagen über die Atmung sowie Vorhersagefehlern zu untersuchen. Mithilfe von Computermodellen kognitiver Prozesse untersuchten die Forschenden sowohl das atembezogene Lernen als auch die Wahrnehmung eigener Denkprozesse.
Angst reduziere die Fähigkeit, die Veränderungen der eigenen Atmung zu bemerken. Wenn aber erste körperliche Symptome der Angst nicht wahrgenommen werden, dauern diese Symptome an und der Angstpegel verstärkt sich weiter.
Zwar habe die Forschung auch jetzt noch nicht auf alle Fragen Antworten, so die Forscherin. Aber Harrison weist darauf hin, dass Atemübungen in der fernöstlichen Medizin nicht von ungefähr einen so wichtigen Stellenwert haben: Yoga, Meditation und Sport hätten oft einen beruhigenden Effekt. Die zugrunde liegenden Mechanismen müssten aber noch erforscht werden.
Aber auch die Ergebnisse der Studie könnten beruhigend wirken, sagt Klaas Stephan, Co-Autor von Harrison: «Das Wissen, wie das Gehirn aktiv Modelle zum Schutz des Körpers erstellt, hilft, psychischen Krankheiten ihr Stigma zu nehmen. Diese Betrachtungsweise macht deutlich, dass sich Angst als Anpassungsreaktion auf eine individuelle Erfahrung erklären lässt».
*Fachpublikationslink https://doi.org/10.1016/j.neuron.2021.09'045 (sda)